Fußball - Die letzte Saison der höchsten DDR-Spielklasse hatte es in sich – es war ein Hauen und Stechen um den Einzug in die Bundesliga

Als 1990 die Oberliga beerdigt wurde

Von 
Jens Mende
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August 1989: Der damalige Dresdner Matthias Sammer (r.) im Zweikampf mit Jörg Bär (Bischofswerda). © dpa

Berlin. Es war der Anstoß zur eigenen Abschaffung. Am 11. August 1990 startete die DDR-Oberliga in ihre 42. und letzte Saison – für den gesamten ostdeutschen Fußball war ab sofort nichts mehr wie zuvor. „Als der Einheitstermin feststand, war alles kaputt. Es gab keine Förderung durch den Deutschen Turn- und Sportbund der DDR mehr, die Trägerbetriebe waren weggebrochen“, erinnerte Hans-Georg Moldenhauer an diese besondere Spielzeit.

Bescheidenes Ost-Erbe

  • Das sportliche Erbe der Ostclubs in den höchsten Fußball-Ligen ist bescheiden.
  • Nur die damaligen DDR-Zweitligisten 1. FC Union Berlin (heute in der Bundesliga) und Wismut Aue (als FC Erzgebirge Aue in der 2. Liga) spielen in der kommenden Saison noch oben mit.
  • Der Bundesliga-Spitzenclub RB Leipzig aus der DFB-Gründerstadt ist erst 2009 entstanden.

Als letzter Präsident des DDR-Fußballverbandes DFV handelte Moldenhauer die 2+6-Quote für die 1. und 2. Liga mit aus: „Nur zwei unserer Vereine waren damals dagegen.“ Drei Jahrzehnte später wäre der Fußball-Osten froh über zwei erstklassige und sechs zweitklassige Clubs. „Der Frust sitzt tief. Es ist beängstigend, was sich in unserer Oberliga abspielt“, erklärte Bernd Stange, ehemaliger DDR-Auswahltrainer und zu der Zeit Coach in Jena.

Denkwürdiger Abschied

Es wurde eine denkwürdige Abschiedssaison. Stars wie Andreas Thom, Matthias Sammer, Ulf Kirsten und viele mehr hatten bereits in den ersten Monaten nach dem Fall der Mauer den Sprung in die Bundesliga vollzogen. Für die Clubs von Dynamo Dresden über den FC Carl Zeiss Jena bis zum Ex-Europacupsieger 1. FC Magdeburg wurde es ein Existenzkampf: Entweder rein in die lukrative Profisparte des gesamtdeutschen Fußballs oder runter in die Amateur-Niederungen.

Die Fans konnten endlich live den FC Bayern, Werder Bremen oder den HSV sehen – und kehrten ihren Clubs den Rücken. Im Schnitt kamen nur noch 4807 Zuschauer in der Ausscheidungssaison in die Stadien, Negativrekord in der DDR-Oberliga. Trainer Stange fühlte sich teilweise „wie auf einer Beerdigung“.

Der Spitzenfußball im Sozialismus funktionierte anders als der im Westen: Die Staatsführung regierte bis hinein in die Vereine; Staatssicherheit, Polizei und Armee hielten sich ihre eigenen Clubs; die Bezirkschefs der Sozialistischen Einheitspartei bestimmten mit; große Kombinate unterstützten die Betriebssportgemeinschaften. Ganze Vereine wurden zwangsversetzt, die Spieler wurden delegiert, konnten sich den Club nicht aussuchen. Ex-DDR-Nationaltorhüter René Müller aus Leipzig sprach später von „einer modernen Form der Leibeigenschaft“.

All das war quasi über Nacht Geschichte, einige Vereine schütteten plötzlich Jahresgehälter von bis zu 250 000 Mark aus, um im Bundesliga-Roulette zu gewinnen. Der DFB stellte einen Solifond von über 2,2 Millionen D-Mark zur Verfügung für in Not geratene Clubs. „Der ist ausgenutzt worden“, erzählte Moldenhauer 30 Jahre später. Innerhalb der Oberliga gab es die ersten Millionen-Transfers. Dynamo Dresden holte mit dem Geld aus dem Verkauf von Matthias Sammer zum VfB Stuttgart und von anderen Profis Heiko Scholz vom 1. FC Lok Leipzig. Außerdem verpflichteten die Sachsen mit Peter Lux und Sergio Allievi Bundesliga-erprobte Spieler aus dem Westen.

Neben Vizemeister Dynamo gehörte am Ende der letzte, überraschende Nordost-Meister (die DDR gab es da schon nicht mehr) Hansa Rostock zu den Bundesliga-Aufrückern. Der Dritte bis Sechste des 14er-Feldes rückte in die 2. Liga. Der Siebte bis Zwölfte musste sich mit den Staffelsiegern der 2. DDR-Liga um die zwei restlichen Zweitliga-Plätze streiten: Den Sprung schafften Rot-Weiß Erfurt, der HFC Chemie, der Chemnitzer FC, Carl-Zeiss Jena, Lok Leipzig und Stahl Brandenburg mit dem späteren Europameister Steffen Freund.

Keiner von diesen Clubs ist 30 Jahre danach in den Bundesligen noch dabei. „Der Abstand war schon gewaltig“, erinnerte sich Matthias Sammer an die Fußball-Wende. Der Dresdner hatte im September 1990 mit zwei Toren für den 2:0-Sieg im letzten DDR-Länderspiel in Belgien gesorgt und durfte drei Monate später als erster Spieler aus den neuen Bundesländern das Adler-Trikot des DFB überstreifen. 1996 wurde Sammer wie Freund Europameister.

Als Stasi-Mitarbeiter enttarnt

Die politische Wende brachte auch Sicherheitsprobleme und die Aufarbeitung von DDR-Überwachungspraktiken, in die der Fußball mit verstrickt war. Wegen Fan-Krawallen musste die Partie FC Sachsen gegen Jena ebenso wie das Europapokal-Spiel Dresden gegen Roter Stern Belgrad abgebrochen werden. Am 3. November 1990 wurde bei einer Fan-Auseinandersetzung in Leipzig ein Berliner Anhänger von einer Polizeikugel getötet. Das Vereinigungsspiel DFV gegen DFB wurde daraufhin abgesagt. Der Dresdner Torsten Gütschow, Torschützenkönig der letzten Saison, wurde später wie andere prominente Spieler und Trainer als inoffizieller Mitarbeiter (IM) der DDR-Staatssicherheit enttarnt. 

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