Insbesondere, was das Wohnen anbelangt, wirkte die Pandemie sich nicht so schlimm auf den Immobilienmarkt aus, wie man es noch Mitte 2020 befürchtete. Auch jenseits des Wohnungsmarktes konnte Corona eine nicht so negative Wirkmacht entfalten, wie es zunächst den Anschein machte; teils sogar ganz im Gegenteil
Der Hotel- und Gaststättenmarkt etwa wurde zwar zunächst ebenso getroffen wie Büroimmobilien und Einzelhandel. Alle vier Assets konnten sich jedoch mit dem Ende der schärfsten Restriktionen rasch wieder erholen. Was speziell Logistik-Immobilien anbelangt, so war die Pandemie durch den ausgelösten Online-Boom sogar ein echter Game-Changer, der einen zuvor auf viele Jahre abzusehenden Trend massiv verkürzte.
Heute allerdings, Ende 2022, ist von dieser „Es ist nochmal gut gegangen“-Denkweise nicht mehr viel übrig. Die Auswirkungen des russischen Einmarschs in der Ukraine und der davon ausgelösten Lieferprobleme und Sanktionen haben Europa hart getroffen. Derzeit bewegen sich weite Teile der Immobilienbranche deshalb zwischen Hoffen und Bangen. Eines sei dabei aber bereits verraten: So düster, wie es von manchen Zeitgenossen gezeichnet wird, sind weder Gegenwart noch Zukunft der Branche.
Das Ende des Zinstiefs
Noch zu Jahresbeginn wirkte es fast wie ein festzementierter Trend: Die Zinsen seit Jahren bereits historisch tief, dementsprechend nicht nur ein Boom bei Bau und Kauf von Immobilien, sondern ebenso eine zuvor ungekannte Preissteigerung.
Allein bei den Eigenheimen steigerte sich deshalb der Preisindex zwischen 2015 (wo er beim Basiswert 100 lag) und 2021 auf 180 Zähler. Was Löhne und Kaufkraft anbelangt, waren Einfamilienhäusern zu diesem Zeitpunkt rechnerisch zwar tatsächlich günstiger als im Vergleich der langen Zeitreihen bis zurück in die 1970er. In absoluten Zahlen hingegen stellten vor allem die letzten Jahre sämtliche vorherigen Rekorde in den Schatten.
Seitdem die EZB den Leitzins angehoben hat, ist diese Phase als beendet anzusehen. Das hat aktuell weniger Auswirkungen auf die Preise von Immobilien selbst als vielmehr die allgemeine Bau- und Renovierungstätigkeit basierend auf den Finanzierungskosten:
- Selbst bei einer moderaten Zinssteigerung wie aktuell wird die monatliche Belastung für Kreditnehmer beträchtlich größer.
- Es fallen deshalb all jene Auftraggeber durch das Raster, die sich überhaupt nur in einer Niedrigstzinsumgebung die Gelder leisten konnten – und die aufgrund der höheren Lebenshaltungskosten für Kreditgeber beispielsweise als riskanter eingestuft werden.
- Vor allem für die Baubranche wird sich dies bemerkbar machen – Auftrag ist schließlich Auftrag.
Nicht zuletzt werden außerdem Investoren getroffen: Es wird dadurch schwieriger, in immobile Assets zu investieren. Denn nicht zuletzt steigt mit den Zinsen das Ausfallrisiko, speziell weil bei bestehenden, aber noch nicht amortisierten Projekten die Rentabilitätsrechnungen eine völlig andere Dimension erhalten.
Interessant ist die Lage indes für die Branche Private Equity / Private Debt. Diese verlangt bei Fremdkapitalvergabe zwar traditionell höhere Zinsen als Bankinstitute es tun. Aufgrund der deutlich flexibleren Skalierbarkeit und Variationsvielfalt können diese nicht dem Bankrecht unterliegenden Häuser ihre Mittel in Form von Mezzanine jedoch zu anderen Konditionen offerieren – etwa gegen verbriefte Genussscheine, Anleihen oder stillen Beteiligungen.
Insbesondere da die Verschärfungen von Basel III EU-weit vor der Einführung stehen, dürfte diese Branche künftig noch eine weitere Bedeutungssteigerung erfahren.
Die weiterhin steigenden Kosten für Bau und Sanierung
In einer „normalen“ Zeit hätten die steigenden Zinsen einen marktwirtschaftlich völlig normalen Vorgang zur Folge: Wenn Bauen insgesamt weniger attraktiv wird, würde die Nachfrage sinken und damit der Preis für das Bauen – spürbar.
Bloß ist 2022 kein „normales“ Jahr und es ist nicht abzusehen, ob 2023 eines werden wird. Hier kommen nun die direkten Auswirkungen des Ukraine-Krieges ins Spiel: Beide Kriegsparteien sind bei verschiedenen Baumaterialien, deren Grundstoffen sowie Energieträgern wichtige Handelspartner von Deutschland und Europa. Aktuell wirkt jedoch ein Konglomerat von Faktoren:
- Russland ist mit einer ganzen Reihe von Sanktionen belegt, darunter solche, die das Thema Immobilien in ganzer Breite betreffen.
- Russland selbst liefert seit Ende August faktisch gar kein Gas mehr nach Deutschland.
- In der Ukraine sind weite Regionen, aus denen für die deutsch-europäische Baubranche wichtige Güter stammen, durch die Kriegshandlungen handlungsunfähig.
- Weiter gibt es in der Ukraine eine verschärfte Personalnot durch Einziehung von Personen im wehrfähigen Alter.
Trotz der theoretisch gebotenen Vergünstigung von Bau- und Sanierungskosten erleben wir deshalb bestenfalls eine Stagnation der Kosten, selbst wenn der Fokus nur auf die Preise für Material und Energie gerichtet wird – ohne Einbeziehung der gestiegenen Kreditzinsen. Hinzu kommt die dramatisch hohe Inflation im Bereich von 11 Prozent.
Die – im Vergleich – niedrigen Zinsen
Ja, die Zinsen sind gestiegen. Wenn allerdings die Basis zuvor Null Prozent war, dann ist realistisch betrachtet alles ein Anstieg. Das bedeutet jedoch nicht, der Anstieg wäre dramatisch. Aktuell liegen die Leitzinsen seit Ende Oktober bei
- 2,00 % für Hauptrefinanzierungsgeschäfte;
- 2,25 % für Spitzenrefinanzierungsfazilität;
- 1,50 & für Einlagefazilität.
Zwar zahlte man 2020 für einen typischen, auf zehn Jahre festgelegten Baukredit nur etwa 0,7 Prozent Zinsen. Doch selbst, wenn dieser Wert Ende 2020 in Richtung 3,9 Prozent tendiert, so handelt es sich hierbei im langjährigen Vergleich nach wie vor um ein eher zinsgünstiges Niveau.
2009 etwa waren für zehnjährige Baukredite 5,30 Prozent zu bezahlen. 1980 lagen die Bauzinsen sogar im Bereich von rund 10,00 Prozent, ohne dass es die damalige Bautätigkeit (in West-Deutschland) dramatisch gehemmt hätte.
Naturgemäß ist noch offen, wie gut die Anti-Inflationsmaßnahmen der EZB wirken. Richtig ist zudem, dass es noch nie einen derartigen Anstieg in einem so kurzen Zeitraum gab. Allerdings heute bereits Angst vor einer Hochzinsphase zu haben, wäre falsch. Aufgrund des Nachfragerückgangs melden einige Finanzierer und Vergleichsportale sogar bereits wieder leicht sinkende Zinsen.
Die enorme Unsicherheit
Wie geht es 2023 weiter? Diese Frage dürfte sich aktuell wohl jeder stellen, der in irgendeiner Form Berührungspunkte mit der Bau- und Immobilienbranche hat. Tatsächlich verorten einige Experten in der diesbezüglichen Unsicherheit sogar die derzeit größte Herausforderung für die Branche.
Zahlreiche große Medienhäuser stellten unlängst bereits die Frage, ob nun „die Immobilienblase platzt“. Tatsache ist jedoch: Stand Mitte November 2022 ist dieses Risiko bei realistischer Betrachtung nicht so groß, wie es medial häufig gemacht wird. Dafür gibt es gute Gründe:
- In der Tat sinken die Preise für zu veräußernde Immobilien, weil die Nachfrage geringer wird. Allerdings sehen selbst Experten echte Blasen-Risiken nur in wenigen deutschen Regionen – dort, wo sich in den zurückliegenden Jahren die Preise am stärksten von ortsüblichen Mieten und Einkommen entfernt hatten.
- Bei den meisten großen Wohnungsvermietern sind die Buchwerte weiterhin stabil bis leicht steigend. Das gilt selbst dort, wo einige von ihnen Objekte in jüngster Vergangenheit veräußert haben.
- Es fehlt vor allem bei Wohnimmobilien jegliches Signal für Leerstände. Nach wie vor herrscht in Städten aller Größenklassen teils dramatische Wohnungsnot – die sich wohl eher noch verschärfen dürfte.
Definitiv ist die Lage gefährlicher geworden als beispielsweise noch vor einem Jahr. Deswegen aber die gesamte deutsche Immobilienbranche an der Schwelle eines Abgrundes zu sehen, wäre vermessen.
Wirklich kritisch ist lediglich die momentan herrschende Konfusion. Wie es in der Ukraine weitergeht und wie Russland mittelfristig als Handelspartner dastehen wird, ist derzeit völlig offen und wird leider nur durch den Kriegsverlauf und die Haltung beider Seiten besser bewertbar.
Der offene Sanierungsmarkt
In den zurückliegenden Monaten wurden zahlreiche öffentliche und private Bauprojekte zurückgestellt oder bis auf Weiteres terminiert. Bei all diesen Realitäten wird jedoch häufig übersehen, welchen technischen und energetischen Nachholbedarf der deutsch-europäische Markt an Bestandsimmobilien nach wie vor hat.
Zahlreiche Gebäude jeglicher Couleur sind technisch teilweise Jahrzehnte vom Niveau der frühen 20er Jahre entfernt. Gleichsam zeigt jedoch gerade die durch den Ukraine-Krieg schonungslos aufgedeckte Abhängigkeit des Kontinents, wie wichtig es einerseits ist, die Energieverbräuche in der Breite massiv zu reduzieren und wie nötig eine weitaus größere energetische Autarkie als bisher ist.
Beide Faktoren treffen auf einen Staatenbund, bei dem die Bestandsimmobilien einer der wichtigsten Hebel sind, um diese Ziele zu erreichen: Weniger Verbrauch, mehr Autarkie.
Insofern gäbe es selbst ohne jegliche Bautätigkeit (was unrealistisch ist) eine auf Jahre hinweg auskömmliche Auftragslage einzig bei der Sanierung von bereits bestehenden Gebäuden. Nicht zuletzt wirkt sich dies auf das Thema Finanzierung und Investment aus einer anderen Richtung aus:
Was CO2 und vergleichbare Klimafaktoren anbelangt, hat Sanierung ein deutlich besseres Standing als Neubau. Insofern kann dieser Teilbereich der Immobilienbranche selbst im Angesicht aller Unsicherheiten auf eine relativ sichere Zukunft blicken.
Zusammengefasst
Die Immobilienbranche befindet sich derzeit inmitten eines Wandels. An manchen Stellen ist dieser tiefgreifend. Großmaßstäblich ist er zudem verstörend für eine Branche, die seit gut und gerne zehn Jahren unter gleichbleibenden Vorzeichen von niedrigen Zinsen und steigenden Preisen agieren konnte.
Verständlich sind aktuell Zukunftssorgen und Zurückhaltung. Dies allerdings als Beweis für eine herannahende oder gar schon losrollende Katastrophe zu sehen, wäre völlig überzogen. Gerade Anleger sollten sich hüten, sich von Meldungen zu falscher Panik verleiten zu lassen.
Wahr ist nur, dass die Immobilienbranche derzeit einen Transformationsprozess erlebt. Wie tiefgreifend und langanhaltend (und überhaupt negativ) dieser sein wird, steht jedoch in den Sternen.