Moskau. „Der Mensch wird hier zum Gegenstand, zum Eigentum der Gefängnisleitung. Das Hauptziel ist die Isolation von der Außenwelt.“ So beschreiben Menschenrechtler das Moskauer Untersuchungsgefängnis Nummer 1 im Nordosten der russischen Hauptstadt. Es ist eine berüchtigte Haftanstalt, in der bereits der gefallene Ölmagnat Michail Chodorkowski einsaß. Eine der härtesten in Russland überhaupt.
Seit Montagabend harrt Kreml-Kritiker Alexej Nawalny für vorerst 30 Tage in einer Einzelzelle hier aus, nachdem er bei seiner Einreise nach Russland an der Passkontrolle festgenommen und am Tag darauf direkt auf der Polizeiwache verurteilt worden war. „Mit seiner Angstlosigkeit kämpft Alexej für die Freiheit von uns allen. Nun müssen wir für die Freiheit von Alexej kämpfen“, sagen seine Mitstreiter – und haben nun Nawalnys neuen Enthüllungsfilm veröffentlicht: „Ein Palast für Putin. Geschichte der größten Bestechung“ heißt das fast zweistündige Werk.
24 Millionen Klicks
Innerhalb von nur einem Tag klickten mehr als 24 Millionen YouTube-Nutzer das Video an. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein 17 691 Quadratmeter großes Anwesen bei Gelendschik an der russischen Schwarzmeerküste. Vorwürfe, dass dort an einer Art inoffizielle Residenz für Putin gebaut werde, sind nicht neu. Bereits 2010 hatte ein damals an dem Bau beteiligter Geschäftsmann darüber geplaudert. Das Gelände wird vom Geheimdienst FSB überwacht. Nawalnys Team ist es offenbar gelungen, den Palast samt Spa-Complex und einer Extra-Datscha am Ufer per Drohne von einem Schlauchboot aus zu filmen. Auch an Grundrisse und selbst Beschreibungen von Möbeln – allein die Sofas sollen bis zu umgerechnet 22 000 Euro kosten – wollen sie gekommen sein. Anhand eines Modells machen sie die Räume „begehbar“. Finanziert werde die Anlage mit einem geschätzten Wert von umgerechnet 1,1 Millionen Euro durch ein Geflecht aus Transaktionen von Unternehmen, die mit Putins Freunden aus Dresden und Sankt Petersburg zusammenhängen.
Die Recherchen für den Film unternahm der Oppositionspolitiker noch in Deutschland, als er sich nach dem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok in Berlin und im Schwarzwald erholte. Es ist ein angriffslustiges und anklagendes Stück Infotainment, ein „psychologisches Porträt“, wie Nawalny im Film sagt, das zeigen soll, wie ein „einfacher Sowjetoffizier zu einem Irren wurde, der auf Geld und Luxus fixiert ist“. Der Kreml dementiert: „Der Präsident besitzt keine Paläste.“
Nawalny lässt sich im Dresdner Stasi-Archiv Putins KGB-Dienstausweis zeigen, schaut sich Fotos und Dokumente an und stellt fest: So viele Weggefährte auf den Fotos von damals umgeben auch jetzt Putin und gehören zu den reichsten Unternehmern Russlands. Der Film zeigt Korruptionsschemata auf, anhand derer sich Putin von den besagten Unternehmern „sponsern“ lasse. Nawalnys Team versucht, mit dem Video die für diesen Samstag angekündigten Proteste anzufeuern. Wegen Corona ist jede Art von Massenansammlungen verboten. Viele wollen dennoch durch die Straßen der russischen Städte ziehen.