Moskau. Der Arbeitseifer der russischen Regierung zeigt sich auf den Straßen. Der Verkehr stockt seit Stunden. Die Magistrale, die zum Weißen Haus in Moskau führt, dem Amtssitz der russischen Regierung, gehört grundsätzlich zu den verstopftesten Straßen in der Stadt. An diesem Mittwoch, nur einige Stunden, nachdem der neue russische Premier Michail Mischustin mit Russlands Präsident Wladimir Putin die Zusammensetzung der neuen Regierung verkündet hatte, rasen die Regierungsmitglieder und ihre Mitarbeiter mit blauen und roten Sirenen zum ersten Arbeitstag. Das Volk, für das all der lärmende Einsatz der Beamten geschehen soll, steckt bis in die Mittagsstunden im Stau.
Sergej Lawrow
- Er ist eine Konstante auf der Weltbühne: Sergej Lawrow.
- Der Außenminister ist bereits seit 16 Jahren im Amt.
- Lawrow wird es auch nach der Regierungsumbildung Außenminister bleiben.
- Er wurde 1950 in Moskau geboren.
- Im diplomatischen Dienst ist Lawrow seit 1972 beschäftigt, seine erste Station war die sowjetische Botschaft in Sri Lanka.
- Von 1992 bis 1994 war er Vize-Außenminister Russlands und von 1994 bis 2004 Repräsentant Russlands bei der UN in New York.
Es ist ein Spiegelbild des politischen Systems im Land, in dem die Gesellschaft als solche keine Position mehr hat. Sie soll die Führung lediglich beklatschen und ihr vor allem für soziale Milde wie etwa den Mindestlohn in der Höhe des Existenzminimums und die Verpflichtung auf regelmäßige Rentenerhöhungen herzlich danken.
Parlament soll rasch zustimmen
Mehr als 40 Punkte sollen nach dem Willen des Präsidenten in der Verfassung umgeschrieben werden. Bereits im April soll es eine „gesamtrussische Abstimmung“ geben. Von einem Referendum spricht dabei niemand. Die Veränderungen, die Putin bereits am vergangenen Mittwoch während seiner Rede an die Nation vorgetragen und bereits an diesem Montag als Gesetzespaket in die Duma, das Unterhaus des russischen Parlaments, eingebracht hatte, sind radikal – vor allem weil sie Putins Macht sichern. Bereits an diesem Donnerstag sollen die Abgeordneten über den als „Vervollkommnung der Regulierung bestimmter Fragen der Organisation öffentlicher Macht“ verkauften Staatsumbau in erster Lesung beraten. Zustimmung zum Paket ist da geradezu Pflicht. Selbst von Neuwahlen des Parlaments im Herbst ist bereits die Rede, inoffiziell.
Warum diese Eile, fragen sich russische Politologen wie Journalisten –und können nicht mehr als interpretieren und spekulieren. „Spezialoperation“ nennen sie Putins überraschende Ankündigungen, manche sprechen vom „Verfassungs-Blitzkrieg“. Die Änderungen, verpackt als „Stärkung der Demokratie“, beinhalten gleich mehrere Paradoxien: Es soll sich einiges ändern und doch noch nichts, weil vieles – wie so oft im Land – unklar formuliert ist. Putin will Macht abgeben, um sie nicht abzugeben. Zunächst aber verschafft er sich Spielraum und dürfte sich wohl erst 2023, ein Jahr, bevor seine Amtszeit endet, näher zu seinem weiteren Verbleib äußern. Er ist ein Meister im Verschleiern. Er schafft – nicht allein durch den Eintrag des bislang eher dekorativen Staatsrates in die Verfassung, eines mit regionalen Eliten besetzten Beratungsorgans – mehrere Machtzentren. Am starken Präsidenten hält er dennoch fest. Das birgt durchaus Risiken, weil sich die verändernde Struktur erst finden muss. Wie auch die Regierung, von der weniger als die Hälfte des Personals im Amt geblieben ist. „Ausbalanciert“, hatte Putin diese bei der Vorstellung genannt.
Medwedew großer Verlierer
Das Wort zeigt das Handeln dahinter: Mehrere politisch starke Gruppen sollen integriert werden. In der neuen Regierung sitzen Vertraute des neuen Premiers Mischustin aus der Steuerbehörde, die er vor seinem Wechsel ins Weiße Haus leitete. Es finden sich Vertraute des Moskauer Bürgermeisters Sergej Sobjanin (dieser wurde als möglicher Premier gehandelt), Vertraute Putins ohnehin.
Der große Verlierer ist Dmitri Medwedew, der entlassene Premier. Von 31 Posten sind lediglich drei mit Frauen besetzt. Starke Figuren wie der Außenminister Sergej Lawrow (seit bald 16 Jahren im Amt) und Verteidigungsminister Sergej Schojgu (auf unterschiedlichen Posten in jeder russischen Regierung vertreten) bleiben. Die Prioritäten, die Mischustin bei der ersten Sitzung nannte, sind dieselben, die auch schon Putin in seiner Rede erwähnt hatte: Demografie, Wirtschaftswachstum und die Nationalen Projekte. Letztere sind ein Lieblingsstichwort Putins. Russlands Opposition trifft Putins Überrumpelungstaktik derweil hart. Sie steht ohnmächtig und gespalten daneben.