London. Nach dem gescheiterten Versuch, Asylsuchende an Ruanda abzugeben, sucht die britische Regierung nach Wegen, um sich der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu entziehen. Das zum Europarat gehörende Gericht in Straßburg hatte zuvor mit einer einstweiligen Verfügung den ersten Flug von Asylsuchenden nach Ruanda verhindert.
Großbritannien hat mit dem ostafrikanischen Land eine Abmachung getroffen, die es ermöglichen soll, illegal eingereiste Flüchtlinge, gleich welcher Nationalität, ohne Prüfung ihres Asylanspruchs an Ruanda weiterzugeben. Sie sollen dann dort einen Asylantrag stellen. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen.
Justizminister Dominic Raab kündigte am Donnerstag an, in Kürze ein Gesetz vorzulegen, das die Gültigkeit von einstweiligen Verfügungen durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof für Großbritannien ausschließt. Die entsprechenden Anträge waren zuvor von britischen Gerichten in allen Instanzen abgelehnt worden. „Wenn drei Gerichte (...) in diesem Land sich mit der Frage befassen und sie ablehnen, ist es nicht rechtens, dass sich Straßburg in dieser Weise einmischt“, sagte Raab dem Nachrichtensender Sky News.
Vorgehensweise umstritten
Die neue britische Asylpolitik ist jedoch höchst umstritten: Die Vereinten Nationen halten sie für einen Bruch internationalen Rechts, die Bischöfe der Church of England bezeichneten das Vorhaben als „eine Schande für Großbritannien“, und selbst Thronfolger Prinz Charles soll im Privaten von einem „entsetzlichen“ Plan gesprochen haben. Yvette Cooper von der oppositionellen Labour-Partei warf Innenministerin Patel vor, gewusst zu haben, dass unter den Abgeschobenen Opfer von Folter und Menschenhandel gewesen seien.
In Deutschland, das machte der Botschafter der Bundesrepublik Miguel Berger in einem Interview des BBC-Radios am Mittwoch deutlich, wäre ein solches Vorgehen undenkbar. „So etwas tun wir nicht. Wir haben mehr Asylbewerber innerhalb eines Monats als Großbritannien in einem ganzen Jahr.“ Diese durchliefen das normale Asylverfahren, sagte Berger und fügte hinzu: „Wir würden nie die Absicht haben, irgendwelche Asylsuchenden nach Afrika zu bringen.“
Ginge es nach der britischen Regierung, hätte der Flieger am Dienstagabend mit mehreren Dutzend Schutzsuchenden besetzt die Reise ins rund 6 600 Kilometer entfernte ruandische Kigali antreten sollen. Doch viele Einzelklagen, die an britischen Gerichten entschieden wurden, ließen die Passagierliste Stück für Stück schrumpfen, weshalb am Tag des geplanten Abflugs nur noch eine Handvoll Asylsuchende übrig waren. Die folgenreichste Entscheidung kam in letzter Minute aus Straßburg: Der dortige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte forderte, dass ein Iraker erst nach dem Abschluss seines Verfahrens in Großbritannien außer Landes gebracht werden solle. Das öffnete die Tür für weitere Einsprüche – die letztlich alle erfolgreich waren.