Berlin. In der Welt der Bundeswehr ist die Herdenimmunität keine Utopie. Das Ziel rückt näher. Von den insgesamt rund 250 000 Bundeswehr-Angehörigen sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums schon 223 000 mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft worden. Für jede Soldatin und für jeden Soldaten im Auslandseinsatz gehört das Vakzin seit März ohnehin zum Katalog der sogenannten duldungspflichtigen Impfungen. Es ist gut möglich, dass es demnächst zur Grundimmunisierung gehören wird, die gemeinhin jedem Militär abverlangt wird – wie bisher gegen Tetanus, Polio, Diphtherie, Hepatitis A und B oder Influenza.
Gegen Influenza ja, gegen Covid-19 nicht? „Da uns Covid-19 noch auf absehbare Zeit beschäftigen wird, befürworte ich eine Aufnahme in den Katalog duldungspflichtiger Impfungen“, sagte die Wehrbeauftragte Eva Högl unserer Redaktion. Dann wären die Soldaten die Vorreiter – und beispielgebend für andere Berufsgruppen? Högl bringt das Verteidigungsministerium in Zugzwänge. Aus dem Wehrressort hört man seit Monaten stets dieselbe Antwort: Es werde eine Entscheidung vorbereitet, „ob und wann die Impfung gegen Covid-19 in das Portfolio der allgemein duldungspflichtigen Impfungen für die Bundeswehr aufgenommen werden kann“.
Diesen Zustand der Dauerprüfung ist Högl offensichtlich leid – sie macht Druck. „Bei meinen Truppenbesuchen erlebe ich eine hohe Bereitschaft unserer Soldatinnen und Soldaten, sich impfen zu lassen“, erzählt sie. „Viele wünschen sich eine Covid-19-Impfung lieber heute als morgen.“ Was also lässt Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zögern, wo die Truppe doch sonst an der vordersten Corona-Front kämpft und im Saarland ein Impfzentrum sieben Tage lang rund um die Uhr führt?
Vorbehaltliche Ablehnung
Es ist nicht zuletzt eine prinzipielle Frage. Sollen die Streitkräfte vorangehen? Ärzten und Pflegern oder Lehrern und Erziehern schreibt man eine Impfung nicht vor. Ähnlich wie bei den Soldaten ist in diesen Berufsgruppen die Impfquote sehr hoch – auf freiwilliger Basis, wohlgemerkt. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung eine Impfpflicht ablehnt. Erst Anfang der Woche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Position bekräftigt, wenn auch mit einem zeitlichen („im Augenblick“) Vorbehalt.
„Es gibt in Deutschland keine Impfpflicht“, erinnert die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Für sie folgt daraus, dass es auch für die Soldaten und Soldatinnen „keine Impfpflicht geben kann“. Sie wünscht sich aber, „dass alle so vernünftig sind, allein um die Kameraden zu schützen“, wie Strack-Zimmermann im Gespräch mit unserer Redaktion hervorhebt.
Der Grünen-Wehrexperte Tobias Lindner betont, es sei überhaupt nichts Neues, dass Soldatinnen und Soldaten verschiedene Impfungen durchaus dulden müssten. „Deshalb wäre es auch nicht überraschend, wenn eine Corona-Schutzimpfung zukünftig hierzu gehört“, erklärte der Grünen-Abgeordnete unserer Redaktion.
Nach dem Soldatengesetz sind die Soldaten zu Impfungen verpflichtet, deren Anwendung von den einschlägigen Fachgesellschaften zur Vermeidung von bestimmten Infektionserkrankungen empfohlen wird, wie es offiziell heißt. Zur Grundimmunisierung kommen bei Auslandseinsätzen weitere Vakzine dazu, zum Beispiel gegen Tollwut oder eben Corona.
Begründet wird die Duldungspflicht mit den „besonderen Bedingungen des engen Zusammenlebens in den Einsätzen und auch in Gemeinschaftsunterkünften in Deutschland“, wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums unserer Redaktion erläuterte. Soldatinnen und Soldaten seien „per se einem relativ höheren Infektionsrisiko ausgesetzt als andere Bevölkerungsgruppen“. Die Impfungen in der Bundeswehr zielten gleichzeitig auf den Schutz der Gemeinschaft und des Individuums ab.
Die Duldungspflicht gilt nur für die rund 180 000 Soldaten, nicht jedoch für die rund 70 000 Zivilbeschäftigten in der Truppe. Bei Auslandseinsätzen beträgt die Impfquote 98 Prozent. Ausnahmen sind nur dann möglich, wenn es den Truppenärzten medizinisch geboten erscheint. Wer sich trotzdem nicht impfen lassen will, riskiert ein Disziplinarverfahren – und Sanktionen.