Rechtsextremismus - Neben Rassismus spielt auch der Antifeminismus eine große Rolle bei militanten Einzeltätern wie beim Anschlag in Hanau / Experten fordern stärkere öffentliche Debatte

Hass gegen Frauen als Einfallstor für Radikalisierung

Von 
Agnes Polewka
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Mannheim. Am 22. Juli 2011 hat Anders Behring Breivik einen neuen Prototypen geschaffen: den militanten, rechtsextremistischen Einzeltäter. Christchurch, El Paso, Dayton. David S. in München, Stephan B. in Halle – und Tobias R. in Hanau.

Sie alle haben einen ähnlichen Weg des Terrors eingeschlagen. Getrieben von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und – bis zuletzt wenig beachtet – Frauenhass. „Die meisten rechtsextremistischen Einzeltäter haben ein gestörtes Frauenverhältnis, sind bindungsunfähig. Das zieht sich durch wie ein roter Faden“, sagt der Politikwissenschaftler und Extremismusexperte Florian Hartleb, der das Buch „Einsame Wölfe – der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ geschrieben hat. Die Frustrationen, nicht bei Frauen landen zu können, spielten dabei eine größere Rolle, als man öffentlich diskutiere.

Tobias R. erschoss im hessischen Hanau insgesamt zehn Menschen. Zwei Schüsse trafen seine Mutter in den Kopf. Dann richtete er die Waffe gegen sich selbst. Wie Breivik und Stephan B. in Halle lebte auch Tobias R. (43) noch bei seiner Mutter. Er hat ein verstörendes „Manifest“ hinterlassen, das dieser Redaktion vorliegt. 24 Seiten Verschwörungstheorien über eine „Geheimorganisation“, die ins menschliche Gehirn vordringen könne.

Es ist das Konvolut eines Mannes, das seine psychische Krankheit spiegelt. Gesprenkelt mit rassistischen Einlassungen und Überzeugungen, die darauf fußen, dass es ein Bestandteil von Männlichkeit sei, Frauen „zu haben“, über sie zu verfügen. „Da nun mal in jedem Menschen der Wunsch, nicht allein zu sein, da ist, kann der Zustand der Nichterfüllung freude- und leistungshemmend sein“, schreibt R., schiebt aber im nächsten Absatz hinterher: „Allerdings kam ein Kompromiss, den ich mit Sicherheit öfter hätte schließen können, nämlich eine weniger gutaussehende Frau zu nehmen, mit der ich mich irgendwie verstand, nicht in Frage – ich wollte das Beste haben oder gar nichts.“

Wenn Täter gleich mehrere Personengruppen mit Hass überziehen, stellt das die Sicherheitsbehörden vor noch größere Herausforderungen. „Wir sprechen hier von einer komplexen Gemengelage, vielleicht auch von psychischen Störungen. Wir sprechen über persönliche Kränkungen, bei Frauen nicht landen zu können, die eine Projektionsfläche in politischer Radikalisierung finden. Meistens sind die Täter unbeschriebene Blätter, das macht es so schwierig, gegen sie vorzugehen“, sagt Hartleb.

Die Selbstradikalisierung der Täter findet meist virtuell statt. Sie finden eine ideologische Heimat in dunklen Ecken des Internets, in digitalen Räumen, sogenannten Imageboards, wie 4chan oder 8kun/8chan, in denen sich meist junge und männliche Nutzer treffen. Ein Ort, an dem man sich offen rassistisch und antisemitisch gibt, frauenfeindlich und homophob. Ein Ort, an dem man Gewaltfantasien spinnen kann und dafür gefeiert wird.

„Männer, die mit Blick auf ihre Männlichkeit stark verunsichert sind, werden dort zur leichten Beute. Sie sind empfänglich für bestimmte Angebote, die sie vermeintlich aus ihren demütigenden Erfahrungen, ihren Ressentiments, ihrer Einsamkeit herausholen“, sagt Paula-Irene Villa Braslavsky, Professorin für Soziologie und Gender Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Diese Imageboards gäben den Männern einen Resonanzraum für ihre Verletzungen und ihre Ratlosigkeit. Sie fühlten sich ernst genommen und anerkannt. Eine Radikalisierungsdynamik könne in Gang gesetzt werden. Ein Phänomen, das auch der Verfassungsschutz laut eigenen Angaben im Blick hat.

Dabei werden oft unterschiedliche Ideologien miteinander verwoben – wie der Rassismus und der Antifeminismus. „Die Klammer, das gemeinsame Thema sind Reinheitsfantasien, die es schon seit dem 19. Jahrhundert gibt“, sagt Villa Braslavsky. Ihnen liegt die Vorstellung zugrunde, dass Geschlecht und Ethnie bestimmte Zugehörigkeiten schaffen. Bestimmte Formen der modernen Gesellschaft – so die Annahme – stören diese Reinheit: Migranten, die für einen „Bevölkerungsaustausch“ sorgen, oder Frauen, die ihren „angestammten Platz“ verlassen.

„Leider werden der Frauenhass und der Hass auf den Feminismus im politischen Mainstream oft etwas unter den Teppich gekehrt. Ich würde mir hier mehr Aufmerksamkeit wünschen“, sagt Villa Braslavsky. Auch weil sich diese „Klammer“ bereits in Anders Behring Breiviks 1515 Seiten langem „Manifest“ herauslesen lässt, wo von der „Feminisierung der europäischen Kultur“ und von einem „Angriff des radikalen Feminismus“ durch die „Unterstützung der muslimischen Masseneinwanderung“ die Rede ist. In dem Fremdenhass und Antifeminismus miteinander verschränkt werden.

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