Flutkatastrophe

„Gesundheit ist massiv bedroht“

Von 
Alessandro Peduto und Christian Unger
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Zahlreiche Häuser in Mayschoß sind nach der Hochwasserkatastrophe zerstört. Tagelang waren die Einwohner des Orts von der Außenwelt abgeschlossen. © dpa

Berlin/Ahrweiler. Ute Teichert ist seit mehr als einem Jahr im Ausnahmezustand. Pandemie. Eine von Deutschlands obersten Ärzte-Lobbyistinnen ist gefragte Expertin im Kampf gegen Corona. Teichert ist Chefin des Bundesverbandes der Amtsärzte, aller Medizinerinnen und Mediziner, die im öffentlichen Gesundheitsdienst arbeiten. Seit zwei Wochen hat Teichert ein neues Einsatzgebiet neben der Pandemie: die Flutkatastrophe. Ausgerechnet dort, wo sie selbst viele Jahre das Gesundheitsamt leitete, hat das Hochwasser mit aller Wucht zugeschlagen: im Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz. Dorthin kehrte Teichert dieser Tage zurück, erzählt sie im Gespräch mit dieser Redaktion. Nicht als Verbandschefin, sondern als Medizinerin und Helferin.

Der Eindruck, den sie aus der Katastrophenregion mitgebracht hat, wirft kein gutes Licht auf die Gesundheitsversorgung der Menschen im Ernstfall. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir in Deutschland durch Naturkatastrophen in eine Lage geraten, bei der Versorgung mit Strom, Wasser, Abwasser und auch Teile der medizinischen Versorgung komplett wegfallen.“ Derzeit sei „die Gesundheit der Menschen in den Flutregionen massiv bedroht“, da die Infrastruktur nicht funktioniere. „In den betroffenen Regionen herrscht Seuchengefahr. Der von den Überflutungen zurückgebliebene Schlamm ist eine Mischung aus Abwasser und Chemikalien, und die Müllberge stapeln sich.“

Mit ihrer Einschätzung ist Teichert nicht allein. In einem Papier des Bundesinnenministeriums vom März heißt es angesichts der Corona-Pandemie in Deutschland, es bestehe im „gesundheitlichen Bevölkerungsschutz“ zum Teil „erheblicher Handlungsbedarf“. Und: „Die für eine Trinkwassernotversorgung erforderliche Vorsorge- und Standortplanung ist jedoch nicht (mehr) aktuell.“

Auch Krankenhaus geschlossen

So ein Ernstfall ist nun eingetreten. Arztpraxen im Flutgebiet sind nicht zu erreichen, Apotheken mussten schließen, auch das Krankenhaus in Bad Neuenahr-Ahrweiler. „Viele Menschen sind durch die Fluten obdachlos geworden und stehen ohne die benötigten Medikamente da“, sagt Teichert. Es sei davon auszugehen, dass sie „keinerlei medizinische Versorgung haben“. Besonders bei Älteren, die an Diabetes erkrankt seien oder Probleme mit dem Herzen hätten, sei dies ein „großes Pro–blem“. Sie habe vor Ort erlebt, wie in Ahrweiler zwar ein „provisorisches Zelt für die medizinische Versorgung“ errichtet worden sei. „Menschen aus anderen Dörfern kommen dort aber nicht hin.“

Zwar existiert bereits eine „Bundesreserve“ etwa für Erdöl, auch Nahrungsmittel und Notunterkünfte. Doch hat die Bundesregierung erst durch die Corona-Pandemie erkannt, dass sie schnellstens einen großen Vorrat an Medikamenten und Schutzausrüstung im Gesundheitssektor benötigt. Bisher gibt es das nicht. Dabei reichen Materialien und gelagerte Medikamente allein nicht aus. Im Katastrophenfall ist eine Reserve an Personal entscheidend. Im Flutgebiet wird das deutlich: Pflegerinnen und Pfleger fehlen in der aktuellen Notlage. Viele Einrichtungen mussten aufgrund der Hochwasserlage schließen, Pflegebedürftige verlegt werden. Das Sozialministerium in Rheinland-Pfalz hat nun Freiwillige dazu aufgerufen, sich bei der Landespflegekammer zu melden.

Auch an anderer Stelle werden Mängel im Krisenmanagement sichtbar: Der extra für die Kommunikation zwischen den Einsatzkräften so wichtige Digitalfunk bricht im Ahrtal und anderen Orten der Flut zeitweise zusammen. Die Flut hat Funkmasten zerstört oder sie vom Stromnetz gekappt. Nur ein Teil der Stationen verfügt über Notstromaggregate oder Batterien. Zudem waren die Netze schnell ausgelastet, da offenbar einzelne Landkreise die Basisstationen im Digitalfunk auf eine geringe Auslastung ausgerichtet hatten. Die Anzahl der Kanäle war daher begrenzt. Die Folge: Polizisten und Feuerwehrleute wollen Funksprüche absetzen – hängen aber minutenlang in einer digitalen Warteschleife, weil das Netz überlastet ist.

Im Ernstfall oft improvisiert

Es sind Mängel im Katastrophenschutz. Sie führen dazu, dass freiwillige Helfer und Einsatzkräfte im Ernstfall oftmals improvisieren. Ein Leiter einer Rettungshundestaffel erzählt, dass er zur Kommunikation lieber den umstrittenen Messengerdienst WhatsApp nutze. Ein anderer Helfer notiert sich Durchwahlen der Leitstellen mit Kugelschreiber in einem Notizheft.

Zwei Wochen nach der Flutkatastrophe zeigen sich erste Erfolge des Dauereinsatzes – auch wenn das Ahrtal weiter vom Leid gezeichnet ist. Bei einem Besuch in Mayschoß sprach Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) von einem schweren Trauma. Die Katastrophe habe das Bundesland „sehr verändert“. „Es gibt Gemeinden, die stufenweise und schrittweise übergehen in ein normales Leben“, sagte Einsatzleiter Heinz Wolschendorf in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Andere Gemeinden seien noch nicht so weit. (mit dpa)

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