Brüssel. Noch bis zum vergangenen Sonntag hatte die EU an eine gute Zukunft mit Belarus geglaubt. Anfang dieses Jahres unterzeichneten Brüssel und Minsk sogar noch ein Visa-Abkommen sowie einen Vertrag über die Rücknahme illegaler Migranten. Beides sollte in diesen Tagen in Kraft treten. Doch alles, was Brüssel über diesen Wahlgang an Verhaftungen von Oppositionellen, an Berichten über Wahlbetrug und schließlich über das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten hörte, machte klar: Die gemeinsame Zukunft sieht anders aus, möglicherweise ganz anders. „Nur die Wahrung der Menschenrechte, der Demokratie und freie und faire Wahlen werden Stabilität und Souveränität in Belarus garantieren“, drückten sich am Montag der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und der für die Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Olivér Várhelyi in einer ersten Erklärung noch diplomatisch-zurückhaltend aus.
Da waren andere schon weiter. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) brachte eine Verschärfung der 2016 fast vollständig ausgesetzten Sanktionen ins Spiel. Der Außenminister Litauens, Linas Linkevicius, bezeichnete das Vorgehen der weißrussischen Behörden gegen Demonstranten als „absolut unvorstellbar“. Im September will das Europäische Parlament „Stellung beziehen“, wie der außenpolitische Experte der Sozialdemokraten im EU-Abgeordnetenhaus, Norbert Neuser, am Dienstag erklärte. Und er drohte offen: „Es ist nicht auszuschließen, dass das Parlament … Sanktionen gegen Lukaschenko und Belarus verhängen wird.“ Dazu ist allerdings ein Beschluss der 27 EU-Außenminister nötig. Der könnte bald fallen. Am Dienstag schlug Borrell neue Töne an und sprach sich für ein schnelles Sondertreffen der EU-Außenamtschefs aus. Die Chefdiplomaten sind zwar nicht für radikale Antworten bekannt. Dass die EU aber den bisher eingeschlagenen Weg der engen Partnerschaft mit Präsident Lukaschenko weitergeht, scheint nach den Ereignissen der zurückliegenden Tage nicht denkbar.
Ende des Schmusekurses
Dabei war die Zusammenarbeit mit dem Regime nach 2016 sogar vielversprechend angelaufen. Damals hatten die EU-Außenminister die seit 2004 bestehenden Sanktionen weitgehend aufgehoben. Der damalige Bundesaußenminister und heutigen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte, man wolle testen, zu wie viel Entgegenkommen die weißrussische Seite bereit sei. Nun scheint klar: Das war nicht viel. Die Rufe nach einer Vollbremsung des Schmusekurses werden lauter.
Das Außenministerium in Minsk hat unterdessen die Kritik aus dem Ausland zurückgewiesen. Die schnellen Erklärungen zahlreicher europäischer Politiker seien absolut inakzeptabel, erklärte das Ministerium nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Belta. „Es ist bereits geplant, schicksalhafte Entscheidungen für die Beziehungen unseres Landes mit der EU zu treffen“, hieß es. Das Ausland solle die Instabilität in der Gesellschaft nicht weiter anstacheln. (mit dpa)
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Europas Alptraum