Berlin. Die Corona-Fälle in deutschen Schlachtbetrieben häufen sich. Zuletzt wurden zahlreiche Mitarbeiter in einem niedersächsischen Unternehmen positiv getestet. Damit bekam die Debatte über bessere Arbeitsbedingungen in der Branche neue Nahrung.
„Aufräumen“ will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in der Fleischindustrie. Das hatte der SPD-Politiker schon in der vergangenen Woche angekündigt. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) findet die Situation in der Branche „erschreckend“ und stellte ganz im Sinne Heils „notwendige Änderungen“ in Aussicht. Die sollten eigentlich am Montag im Corona-Kabinett der Bundesregierung verabschiedet werden. Doch manche Ideen des SPD-Ministers gehen der Union offenbar zu weit. Es gebe noch „Gesprächsbedarf“, räumte Heil ein. Eine Beschlussfassung wird nach seinen Worten nun für Mittwoch angepeilt.
Schon vor Corona hatte die Branche einen zweifelhaften Ruf. Immer wieder wurde über Verstöße gegen den Mindestlohn oder den Arbeitsschutz berichtet. Aktuell sind nun auch die hygienischen Zustände in den Fokus geraten. Durch Überbelegungen in Sammelunterkünften osteuropäischer Mitarbeiter, die dafür zum Teil auch noch Wuchermieten von ihrem Lohn abgezogen bekommen, wurde offenbar die Ausbreitung des Virus begünstigt.
Unklare Verantwortlichkeiten
Verantwortlich dafür sind nach Einschätzung Heils „strukturelle Probleme“. So lassen Betriebe das Schlachten, Zerlegen und Verarbeiten des Fleischs von Subunternehmen erledigen, die dafür häufig ausländische Werkvertragsarbeiter einstellen. Derlei „dubiose Vertragsstrukturen“ (Heil) erschweren die Zuordnung von Verantwortlichkeiten. Der SPD-Politiker plant deshalb ein Verbot entsprechender Werkverträge. Schon vor einigen Tagen wurde dazu ein Gesetzentwurf bekannt, in dem es hieß, künftig solle „das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch“ nur noch von Beschäftigten „des eigenen Betriebs zulässig sein“.
Zugleich pocht Heil auf deutlich höhere Bußgelder bei Verstößen sowie auf stärkere Kontrollen der Unternehmen, was aber Ländersache ist. Unzureichende Überprüfungen gelten als entscheidende Ursache dafür, dass eine bereits vor drei Jahren beschlossene Gesetzverschärfung weitgehend ins Leere gelaufen ist. Damals wurde zum Beispiel festgelegt, dass beauftragte Subunternehmen auch für Sozialversicherungsbeiträge haften müssen. Außerdem wurde das „Messergeld“ abgeschafft – eine Art Leihgebühr für das Arbeitsgerät, die Arbeitgeber von ihren Beschäftigten verlangt hatten.
Eine staatliche Festlegung von Mindestpreisen für Fleisch, wie es Grünen-Chef Robert Habeck forderte, ist für die große Koalition kein Thema. Auch der Vorstoß von Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) für eine Erhöhung der Mehrwertwertsteuer auf Fleisch fand keine Gegenliebe.
In Deutschland arbeiten rund 162 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Schlacht- und Fleischverarbeitung. Der Anteil der Werkverträge liegt im Dunkeln. Die größten Schweineschlachtbetriebe sind die Unternehmen Tönnies mit einem Marktanteil von knapp 30 Prozent sowie Vion und Westfleisch (jeweils rund 14 Prozent).