Kroppach/Atchanve. Die Spenderin ist erst acht Jahre alt: Laura klingelt beim Weltenbummler, Radiomoderator und Ex-Reisemanager Reiner Meutsch im Westerwald. Vor seinen Augen, erzählt er später, zertrümmert sie ihr Sparschwein. 18,60 Euro klimpern heraus. Ersparnisse eines Kindes für Meutschs Stiftung Fly & Help. Diese baut Schulen in Entwicklungsländern. Gerade entstehe die 500. Schule im westafrikanischen Togo, wie es von Fly & Help heißt.
Etliche Spender – von Kindern und Senioren bis zu Großunternehmen und Fluggesellschaften – unterstützten die Stiftung. Und damit laut dem Bundesentwicklungsministerium einen Rekord: Keine andere private deutsche Initiative habe so viele Schulen in Entwicklungsländern gefördert. Weißes Hemd, Jeans, graue Haare, braungebrannt: Meutsch (65) erzählt in seinem Garten in Kroppach im Westerwaldkreis, wie alles angefangen hat. Am Himmel tirilieren Lerchen, Wasser plätschert in einen Teich. In einem Hangar hinter Bäumen parkt Meutschs weiß-blauer Helikopter. Er ist immer zum Abflug bereit, wie Meutsch sagt.
Mit kleinem Flugzeug unterwegs
Nach der Mitarbeit im väterlichen Busunternehmen hat Meutsch das Reiseunternehmen Berge & Meer mitgegründet. Nebenbei moderiert er für den Privatsender RPR1. die Sendung „Mein Abenteuer“ – inzwischen schon seit 35 Jahren. Als er für die Vermarktung von Pauschalreisen nach Tchibo auch Aldi gewinnt, steigt er 2009 aus der Firma aus: „Ich habe sie wirklich gut verkauft.“ Meutsch erfüllt sich einen Kindheitstraum, geht 2010 mit einem kleinen Flugzeug auf Weltreise: 108 000 Kilometer, 77 Länder, fünf Kontinente seien es geworden. Zugleich unterstützt er den Bau der ersten fünf Schulen.
Das Lächeln der Kinder in den Entwicklungsländern motivierte ihn, weiterzumachen, wie er sagt. Binnen 20 Jahren will Meutsch 100 Schulen bauen. Doch es gibt immer mehr Förderer und Medienberichte: Das Großprojekt wird rasch noch größer. Nun sind es in nur elf Jahren den Angaben zufolge bald 500 Schulen in 52 Ländern auf drei Kontinenten geworden; in Afrika, Lateinamerika und Asien – von Benin bis Kenia, Brasilien bis Peru und Indien bis Kambodscha. Derzeit besuchen laut Meutsch rund 100 000 Kinder die Schulen, deren Bau jeweils rund 50 000 Euro kostet. Er betont: „Jede Spende kommt eins zu eins beim Schulbau an, weil ich alle zusätzlichen Verwaltungskosten übernehme.“
Auch für 2021 hat sich der Träger des Bundesverdienstkreuzes viel vorgenommen: Mehr als 100 neue Schulen will er bauen – das käme statistisch einer neuen Schule etwa alle 3,5 Tage gleich. Im Ort Atchanve im Süden Togos, in dem derzeit Schule Nummer 500 entsteht, ist die Aufregung groß. Bisher lernen dort rund 200 Kinder in Hütten aus Stroh und Lehm. Oft muss der Unterricht bei Regen ausfallen. Das soll sich nun bald ändern. Bis Oktober soll ein Schulgebäude mit drei Klassenräumen, Büro und Lagerraum stehen.
Bislang gab es weder fließendes Wasser noch Toiletten, erklärt Schulleiter Kossi Ategue. Da die Hütten weder Fensterscheiben noch richtige Türen haben, bestehe zudem stets die Gefahr, dass sich Schlangen oder Skorpionen einnisten. „Daher haben viele Eltern ihre Kinder erst gar nicht in die Schule geschickt“, sagt er. Ein richtiges Schulgebäude werde dazu beitragen, dass weniger Kinder dem Unterricht fernbleiben, so Ategue. „Wir hoffen, dass sich die hohe Analphabetismusrate senkt.“ Auch die Kinder können es kaum abwarten. „Ich möchte richtige Sitzbänke und eine Kantine“, schwärmt der elfjährige Emmanuel Adjeda. Bislang haben die Schüler sich mindestens zu dritt auf eine kleine, wackelige Bank quetschen müssen. Auch Hunger erschwert das Konzentrieren.
Unterricht im Schatten der Bäume
In vielen Ländern Afrikas müssen Kinder unter ähnlich schwierigen Bedingungen lernen. Viele Schulen, vor allem in ländlichen Gegenden, sind extrem einfache Gebäude – Hütten oder aus Altmetall zusammengezimmerte Bretterbuden. Mancherorts wird der Unterricht im Schatten eines großen Baums abgehalten. Dazu ist das Bildungsniveau wegen schlechter staatlicher Finanzierung des Bildungssystems, fehlender Lernmaterialien und schlecht ausgebildeter Lehrer gering. Laut der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, der Unesco, gehen in Entwicklungsländern rund 258 Millionen Kinder und Jugendliche nicht zur Schule. Das entspricht fast einem Fünftel der Weltbevölkerung dieser Altersgruppe. In Afrika südlich der Sahara bleibt laut einer Unesco-Studie von 2018 sogar jedem dritten Kind die Schulbildung verwehrt. Die Pandemie dürfte die Lage noch verschlimmert haben.
Auf seiner Terrasse kann Meutsch stundenlang von seinen teilweise kuriosen Erlebnissen bei hunderten Schulbesuchen erzählen. Bei einer Visite im ostafrikanischen Ruanda habe eine Ärztin plötzlich seine Hilfe bei einem Kaiserschnitt gefordert: „Ich schneide die Bauchdecke auf, Sie müssen den Bauch aufhalten.“ Kurz darauf habe er das Baby im Arm gehalten. lrs