Wildtiere - In Hessen gibt es mittlerweile zwei sesshafte Weibchen – Schafzüchter fordern, dass sie abgeschossen oder eingefangen werden

Mehr Wölfe, mehr Konflikte

Von 
Göran Gehlen
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Ein Wolf im Wildpark Alte Fasanerie (Klein-Auheim). © Boris Roessler/dpa

Wiesbaden. Zwei Tage war das neue Jahr alt, da war das Thema Wolf zurück: Im Vogelsbergkreis wurde ein Reh gerissen, möglicherweise von dem Raubtier. Der letzte Verdachtsfall des alten Jahres war da gerade sechs Tage alt. Der geringe Abstand zeigt: Die Debatte um den Wolf in Hessen dürfte 2021 schnell Fahrt aufnehmen.

Zwei sesshafte Wölfinnen gibt laut dem Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie. Eine lebt im Vogelsberg, die andere im Grenzgebiet zwischen Nord- und Osthessen. Hinzukommen wandernde Tiere. Trifft dabei ein Männchen auf eines der Weibchen, könnte Hessen bald sein erstes Rudel bekommen. Das Bundesland sei „erst am Anfang der Besiedelung“, glaubt auch der Landesjagdverband.

Mehr Wölfe bedeuten mehr Konflikte. Denn neben Wildtieren gehören Weidetiere zur potenziellen Beute des streng geschützten Räubers. Dafür werden die Tierhalter finanziell entschädigt und beim Herdenschutz – dem Bau von Elektrozäunen – unterstützt. Doch die Debatte um dem Umgang mit dem Wolf wird eher schärfer.

„Die Lösung muss auf Wolfseite gefunden werden und nicht aufseiten der Weidetierhalter“, sagt Burkhard Ernst, Sprecher des Hessischen Verbands für Schafzucht- und -haltung. Bevor der erste Wolf über die die Grenze nach Hessen komme, müssten alle Herden mit einem Grundschutz ausgerüstet sein, damit der Wolf lerne, dass die Tiere keine leichte Beute seien.

Nachwuchs bereitet Sorge

Das Problem: Für die in Hessen sesshaften Wölfe komme das zu spät. „Ich bin der klaren Auffassung, dass diese Wölfe Fehlverhalten zeigen“, sagt Ernst. Es sei ein Irrglaube, dass man einem übergriffigen Tier das wieder abgewöhnen könne. Selbst Elektrozäune brächten nur etwas, wenn das Tier einen Schlag bekomme – was bei Bodenkontakt erfolge. „Wenn ein Wolf gelernt hat, über Zäune zu springen, ist das ein Problem.“

Für die Schäfer ist die Schlussfolgerung: Die beiden Wölfinnen müssen weg – und das nach Möglichkeit, bevor sie Nachwuchs bekommen. Dabei komme nicht ausschließlich ein Abschuss infrage, auch ein Einfangen sei denkbar. Danach müssten alle Weidetierhalter mit einem Herdenschutzzaun ausgerüstet werden, damit neue Wölfe kein Fehlverhalten erlernten. Davon sei man allerdings weit entfernt.

Thomas Norgall, Naturschutzreferent des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), sagt: „Bundesweit sieht man eine gewisse Verhärtung der Fronten. Es gibt eine große Gruppe, die der Meinung ist: Der Wolf muss weg.“ Allerdings sei der Abschuss rechtlich kaum möglich und die Debatte darüber führe in eine Sackgasse. „Wir haben die Tendenz, dass wir eher mehr Wölfe in Hessen bekommen.“

Für Naturschützer sollte sich die Diskussion eher um die Frage drehen, wie man sogenannte Rissschäden verhindern und kompensieren kann. „Die wirtschaftlichen Folgen für die Tierhalter müssen gesellschaftlich getragen werden, und man muss den Herdenschutz mitdenken. Das ist ethisch und rechtlich geboten.“ Daher müssten sich Naturschützer und Schafhalter verbünden, um gemeinsam Druck für Gewährung der nötigen Zuschüsse auszuüben. „Schafhalter haben einen hohen Stellenwert für die Erhaltung von Orchideenwiesen und Naturschutzgebieten.“

Das hessische Umweltministerium setzt auf die Kombination von Entschädigung und Zuschüssen: 2019 habe man die Herdenschutzprämie erhöht, damit Halter für sichere Zäune sorgen könnten, sagte eine Sprecherin. Zudem sei 2020 eine Weidetierprämie eingeführt worden, die soll die Existenz der Halter sichern. „Beide Förderungen werden finanziell noch einmal angehoben und Zugangshürden abgesenkt.“ lhe