Stuttgart. Die baden-württembergische Regierung hat verbindliche Handlungsempfehlungen für die Stadt- und Landkreise beschlossen, wenn vor Ort die Zahl der neuen Corona-Ansteckungen zu hoch werden. Je nach Grad der Infektionen reicht die Palette von einer „Maskenpflicht im öffentlichen Raum über kontaktreduzierende Maßnahmen bis hin zu Ausgangsbeschränkungen“. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nahm die Verantwortlichen vor Ort in die Pflicht: „Die Landkreise haben da eine sehr, sehr hohe Verantwortung.“
Detailliert auf vier Seiten haben die Experten von Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) die Vorgaben für die Landräte und die Oberbürgermeister der neun Stadtkreise zusammengefasst. Die Ministerpräsidenten haben in der Runde mit Kanzlerin Angela Merkel vereinbart, dass künftig die Corona-Infektionen vor Ort eingedämmt werden sollen. Wenn innerhalb von sieben Tagen mehr als 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner erreicht sind, gilt „Alarmstufe rot“. Vorher greift bei 35 Ansteckungen „Alarmstufe gelb“, bei der die Bevölkerung zu besonderer Vorsicht ermahnt, die Tests ausgeweitet und eine detaillierte Analyse betrieben werden soll.
Zweistufiges Verfahren
„Das Ziel der Vorwarnstufe ist, dass möglichst die Eingreifschwelle gar nicht erreicht wird“, betont Lucha. Das Landesgesundheitsamt soll dafür sorgen, dass die Personen für die Corona-Tests überall nach den gleichen Regeln ausgesucht werden. „Wir brauchen einen repräsentativen Überblick und müssen die geschaffenen Testkapazitäten auch nutzen“, betont für den Landkreistag Hauptgeschäftsführer Alexis von Komorowski.
„Wenn der Schwellenwert von mindestens 50 gemeldeten Fällen je 100 000 Einwohner erreicht ist, müssen Maßnahmen ergriffen werden“, heißt es im Handlungsleitfaden unmissverständlich. Zu einer Situation wie im Kreis Greiz in Thüringen, wo Landrätin Martina Schweinsberg trotz 75 Ansteckungen einfach abwartete, soll es im Südwesten nicht kommen. „Unsere Landräte tragen das mit“, betont Lucha.
Geht es um ein klar eingrenzbares Infektionsgeschehen, etwa den Ausbruch in einem Pflegeheim oder engem Wohnquartier, sollen Beschränkungen nur für diese Einrichtung erlassen werden. Dazu zählt die Isolierung von Covid-19-Erkrankten, Quarantäne für Kontaktpersonen und ein Besuchsverbot.
Viel heikler sind „diffuse regionale Häufungen mit unklaren Infektionsketten“. Da reicht das Spektrum bis zu Ausgangsbeschränkungen im betroffenen Kreis samt „Beschränkungen der Mobilität aus den betroffenen Gebieten“. Reiseverbote sollen verhindern, dass Bürger zum Beispiel ihre Freizeitaktivitäten in Nachbarkreise ohne Ausgangsbeschränkungen verlagern. Wer im Ernstfall diesen Eingriff in die Bewegungsfreiheit anordnen soll, ist allerdings noch nicht geregelt.
Die 44 Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg sind aktuell weit weg von der Eingriffsschwelle. 16,1 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner meldet das Robert-Koch-Institut für den Hohenlohekreis für die letzten sieben Tage. Der Landeswert liegt bei 4,5 Ansteckungen.
Gut aufgestellt sieht Lucha die Gesundheitsämter. Ende Mai werde man den Richtwert der Ministerpräsidenten erreichen, die für die Nachverfolgung von Corona-Kontaktpersonen je 20 000 Einwohner ein Fünfer-Team fordern. 3000 Mitarbeiter seien dafür notwendig. Ende April hatten die Ämter nach Angaben von Komorowski bereits auf 2375 Vollzeitstellen aufgestockt. Vor der Pandemie waren das in allen Gesundheitsämtern zusammen 461 Vollzeitstellen. Ärzte im Ruhestand und Medizinstudenten meldeten sich, vor allem wurden aber Mitarbeiter von anderen Ämtern abgeordnet.
Von Komorowski fordert 200 zusätzliche Dauerstellen in den Gesundheitsämtern. Neben Ärzten brauche man Biologen und Hygienekontrolleure. Dass es einen zusätzlichen Personalbedarf gibt, streitet Lucha nicht ab. Aber auf eine konkrete Zahl lässt er sich nicht festlegen. Dazu verweist er auf einen Nachtragshaushalt, der wohl erst nach dem Sommer kommt.