Viernheim. Musik lässt Leid und Not vergessen: Als der Viernheimer Musiker Holger Bläß mit Kollegen im polnischen Mlawa, Viernheims Partnerstadt, vor rund 1200 Gästen Pop und Jazz spielte, flossen fast die Tränen: Deutsche, Polen und Ukrainer wurden zu einer Gemeinschaft. „Das war emotional, wir wurden gefeiert, wir wurden tatsächlich zu Botschaftern für Viernheim.“ Ohne Musik ist das Leben für ihn unvorstellbar. Allerdings geht er mit Musik anders um als viele andere: Sie ist für ihn ein Miteinander.
Enge Beziehung zur Großmutter
Holger Bläß (geboren 1974) ist in Viernheim aufgewachsen, hat sich jedoch als Kind und Jugendlicher als Mannheimer gefühlt. Das hat mit seiner Großmutter Elsbeth zu tun. Holger konnte jederzeit mit Freunden zu der „coolen Oma“ nach Mannheim radeln. „Sie hat uns angenommen, wie wir waren.“ Die patente Frau ist den Jungs aus Spaß mit dem Kochlöffel nachgerannt, um sie zu „versohlen“, was nie passierte. Die Jungen wiederum hatten sie in Viernheim an einen Baum gefesselt. Das wirkte so dramatisch, dass eine Nachbarin mit einer Schere der Oma zu Hilfe eilen wollte.
Holgers Vater Helmut spielte Gitarre und war in einer der ersten Bands, die Beatles-Songs coverte. Sein Bruder Oliver schlich sich abends aus dem Bett, um bei den Proben heimlich zuzuhören. Holger Bläß sagt: „Aber mir hat das damals nichts bedeutet.“ Doch dann wurde in der Alexander-von-Humboldt-Schule ein Weihnachtsevent geplant. Holger meldete sich und ließ sich von seinem Bruder extra ein paar Griffe auf der Gitarre zeigen. Die Griffe passten dann nicht zu den Liedern, so lernte Holger weitere Griffe. Damit war es geschehen: Der zwölf Jahre alte Jugendliche ließ sich für die Musik begeistern.
Er hat zwar nach der Aufführung keine Weihnachtslieder mehr gespielt, aber mit anderen Jugendlichen die Rock- und Heavy-Metal-Musik erobert. Später entdeckte er den Blues. „Jahrelang haben wir im Mannheimer Power Tower geprobt. Alles war versifft, aber das machte nichts.“ An sein erstes Viernheimer Jazz-Konzert erinnert er sich genau: „Das war in der Kulturscheune.“
Geprägt wurde das musikalische Naturtalent unter anderem von Lehrern der Viernheimer wie der Mannheimer Musikschule. Aber vor allem lernte er beim Spielen in Bands.
Nach dem Abitur begann er erst einmal eine Kfz-Ausbildung, denn alle hatten ihm prophezeit: „Musik ist eine brotlose Kunst.“ Aber nach sechs Wochen wusste er: „Das ist nichts für mich.“ Trotzdem hielt er die Lehre durch. Das war und ist typisch für Holger Bläß. „Wenn ich etwas angefangen habe, dann ziehe ich es durch.“ Danach war aber auch klar, dass er sich endgültig für die Musik entscheiden wollte. An einer privaten Frankfurter Musikwerkstatt absolvierte er eine musikalisch-pädagogische Ausbildung zum staatlich anerkannten Berufsmusiker.
Noch während der vierjährigen Ausbildung wurde er Lehrkraft in Musikschulen. „Damit konnte ich mein Studium finanzieren.“ Bläß ist kein sturer Pauker: Für seine Schüler schafft er einen Raum der Entspannung, so dass sie eigenen Impulsen nachspüren können. Er sagt: „Meine Kollegen und ich hatten mit diesem Konzept große Erfolge.“ Nun unterrichtet er jedoch nur noch wenige Schüler.
Sessions im Café Cojote
Am meisten fasziniert ihn das Spiel mit Bands mit und ohne Publikum. Er trat in Heidelberg (Villa Nachtschicht), Mannheim (Capitol) und Viernheim, aber auch in der Schweiz auf. Im früheren Café Cojote organisierte er 13 Jahre lang jeden Monat Sessions mit Party. „Ich habe im Lauf der Jahre zu den Events rund 150 Kollegen zum Mitmachen eingeladen.“ Denn Bläß hat immer die Organisation und das Ganze im Sinn, damit Musiker wie Publikum sich wohlfühlen.
Der Musiker ist auch Leistungssportler. Mit sechs Jahren schon spielte er Tennis und ist heute Tennislehrer. Mehrmals nahm er am Viernheimer Triathlon teil, zwei Mal war er beim Ironman-Wettbewerb dabei. Das Interesse am Ironman führte ihn nach Hawaii, wo er die Weltmeisterschaft sehen wollte. Als er an einem Morgen alleine auf dem Berg Mauna Kea war und anschließend am Meer saß, hörte er den Song „Hawaii 78“ von Israel Kamakawiwo’ole. „Ich hörte die Klage und war tief gerührt.“
Bläß suchte den Kontakt zur indigenen Bevölkerung auf Hawaii. Über das Surfen lernte er seinen besten Freund James kennen. Aber erst über seine Partnerin Nicki gelangen weitere Begegnungen mit den Einheimischen. Bläß sagt: „Es entstand eine tiefe Verbindung.“ So nannte das Paar seinen im vergangenen November geborenen Sohn Kimo James. Kimo steht für „Von Gott geschützt“. Nach der schweren Corona-Zeit wünscht sich Holger Bläß nun, dass die Musik in ihrer Bedeutung wieder anerkannt wird.