Viernheim. „Ich bin kein Judenhasser und kein Antisemit. Es war keine persönliche Entscheidung, sondern meine Pflicht. Wenn nicht ich, dann wäre es ein anderer gewesen.“ Adolf Eichmann beteuert immer wieder seine Unschuld. Der israelische Polizist Avner Less verhört den SS-Obersturmbannführer, der 1960 des millionenfachen Mordes angeklagt wird.
Aus der Niederschrift von über 275 Verhörstunden in Israel haben die Hannoverschen Kammerspiele eine szenische Lesung gemacht. Die Auszüge aus den Verhörprotokollen werden den Oberstufenschülern der Albertus-Magnus-Schule (AMS) als besondere Geschichtsstunde präsentiert. Die Schauspieler Bernd Surholt und Harald Schandry schlüpfen in die Rollen von Eichmann und Less und lassen das authentische Textmaterial für sich sprechen.
Historische Schlagzeilen ermöglichen die zeitliche Zuordnung. „Dezember 1938, Juden ist es verboten, Theater zu besuchen“, zitiert Schandry eine Überschrift. „Das stimmt doch nicht“, hakt Surholt als Eichmann ein – und die Zuhörer sind mitten drin in den Auszügen des Verhörprotokolls. Dort werden kurz der Lebensweg Eichmanns, der 1906 geboren wurde, und seine Begeisterung für das Hitler-Regime aufgezeigt. „Es war ein Nationalismus, der mir zusagte“, bekennt sich der SS-Mann.
Der Verhörende findet, dass es Eichmann verstanden habe, jüdische Mitbürger in ihre eigene „Auswanderung“ einzubinden. So sei die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien auf Anregung der Juden selbst entstanden, die vorher von Behörde zu Behörde liefen. 1939 sollte Eichmann eine weitere Zentralstelle gründen, im Reichssicherheitshauptamt war dann die Suche nach einem eigenen Territorium für Juden seine Aufgabe.
Die 1941 befohlene „physische Vernichtung der Juden“ habe er abgelehnt, behauptet Eichmann. Als „ungeheuerlich“ beschreibt er seine Empfindung, als man ihm das Vergasen erklärte und direkt mit einem Wagen voller Juden vorführte. „Ich konnte nicht hinsehen… Arzt hätte ich nicht werden können“, beruft er sich auf sein sensibles Gemüt. „Als die Leichen in die Grube geworfen wurden, war ich bedient, war fertig.“ Immer wieder betont Eichmann, dass er weder einen Juden noch einen Nicht-Juden getötet oder den Befehl zum Töten gegeben habe.
Auch leugnet er, von der „Endlösung“ besessen gewesen sein, wie es Auschwitz-Leiter Rudolf Höß ausgesagt habe: „Das ist unwahr, geflunkert, an den Haaren herbeigezogen.“ Und doch können ihm die Polizisten die Verantwortlichkeit nachweisen. „Ich hatte nur den Befehl zum Deportieren – nicht zum Vergasen“, versucht sich der Organisator der Transporte zu rechtfertigen. „Ich war Gehorsam gewohnt, ich habe stur Befehlen gefolgt – darin habe ich meine Erfüllung gefunden“, verteidigt er sich.
Nationalsozialistische Thesen
Im Gespräch mit den Schülern arbeiten die Schauspieler die nationalsozialistischen Thesen auf – zum Beispiel, dass die eine Rasse besser sei als die andere. „Es ist wissenschaftlich völlig falsch, wir sind genetisch nahezu gleich. Kein Mensch hat das Recht, sich über andere zu stellen“, sagt Surholt. Zudem beleuchten die Akteure, an welchen Stellen des Verhörs Eichmann lügt und sich anders darstellt, als er tatsächlich war.
Die Schüler wollen wissen, wie die Jahre zwischen Kriegsende und seiner Verhaftung für Eichmann verlaufen sind. Schon zu Kriegszeiten habe es wenige Fotoaufnahmen von ihm gegeben, damit man ihn schwer erkennen könne. Nach einer erster Verhaftung sei er geflohen und habe sich bei Celle versteckt – mit falschen Dokumenten und neuer Identität. „Dort hat er Eier an KZ-Überlebende verkauft“, berichtet Schandry. Viel später wurde er aus Argentinien für den Prozess nach Israel gebracht.
Und auch wenn der „Schreibtischtäter“ immer wieder jede aktive Beteiligung abstritt und auf den Führerbefehl verwies: Historische Unterlagen bewiesen, dass Eichmann von dem Töten wusste, ebenso von Leichen, aufgeschichtet wie Brennholz, die zu Asche verarbeitet worden seien und in Seen und Flüsse, auf Felder und in Straßenteer verteilt wurden.
Schandry betont: „Eichmann wusste das alles. Er hat Schuld auf sich geladen – nicht nur moralisch, sondern eben auch juristisch.“ Der Prozess in Israel endet mit dem Urteil und der Schlagzeile vom 31. Mai 1962: „Eichmann gehängt“.