Nachtleben - Club Nobless beklagt „brutal schwere Zeit“ / Zahlreiche Mitarbeiter wegen Corona gekündigt

„Zum Nichtstun verdammt“

Von 
Markus Mertens
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Unfreiwillig leer: Der Club Nobless ist seit Beginn der Corona-Krise geschlossen. © Nobless Club

Alain Djuvelek fühlt sich und seine ganze Branche von der Politik aufs Abstellgleis bugsiert. Denn im Zuge der Corona-Verordnungen des Landes Baden-Württemberg dürfen Akteure des Mannheimer Nachtlebens wie Clubs und Diskotheken ihrem Geschäft seit fast drei Monaten nicht nachgehen. Davon betroffen ist auch und ganz besonders der Club Nobless, den Djuvelek als Betriebsleiter verantwortet.

Clubs und Diskotheken in der Corona-Krise

  • Seit dem Erlass der ersten städtischen Allgemeinverfügung vom 13. März und in Folge der Corona-Rechtsverordnungen des Landes Baden-Württemberg können Mannheimer Clubs und Diskotheken ihrem Kerngeschäft nach wie vor nicht nachgehen.
  • Betreiber von Diskotheken, Bars und Nachtclubs stehen aufgrund der faktischen Schließungen – trotz beantragter oder sogar bereits ausgezahlter Corona-Soforthilfe – nicht selten vor existenziellen Problemen bis hin zur Insolvenz.
  • Laut Wirtschaftsministerium des Landes und durch ein Urteil des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofes dürfen Bars und Clubs zwar theoretisch wieder öffnen, aber nur dann, wenn sie wie ein Restaurant ausschließlich Speisen und Getränke ausgeben.
  • Von Betreibern wird dieses Vorgehen als „Pseudo-Betriebserlaubnis“, die finanziell nur weitere Verluste einbringe, massiv kritisiert.
  • Zuletzt ins Spiel gebrachte kommunale oder bundesweite Fonds zur finanziellen Entlastung, Entschädigung und Stabilisierung des Nachtlebens (wir berichteten) sind weiterhin im Gespräch, derzeit jedoch weder beschlossen noch realisiert. 

Unter normalen Umständen kommen in den rund 2000 Quadratmeter großen Räumlichkeiten jedes Wochenende rund 1000 Menschen zusammen, um in stilvollem Ambiente die Nacht zum Tag zu machen. „Wir sind hier zum Nichtstun verdammt“ bringt es Djuvelek auf den Punkt – und führt die Kennwerte dieser „brutal schweren Zeit“ auf. Allein die finanzielle Ausstattung der Soforthilfen sei in Konzeption und Größenordnung „viel zu unspezifisch geplant“ worden.

Betrieb mit 50 Beschäftigten

Als Betrieb mit rund 50 Angestellten habe das Nobless zwar Soforthilfen des Landes beantragt und auch bewilligt bekommen, doch die „hohen fünfstelligen Summen“ im Monat für Strom, Gas, Wasser und Miete mit den zugesprochenen 9000 Euro für drei Monate zu bewältigen, sei „schlichtweg unmöglich“. „Da hat jedes Maß für die individuellen Nöte der jeweiligen Betriebe völlig gefehlt“, wie der Betriebsleiter klarstellt.

Zahlreiche über Minijobs angestellte Kräfte aus den Bereichen Sicherheit, Kasse, Bar und Garderobe habe man kündigen müssen. Bei größeren Zahlungen habe man über Stundungen verhandelt, den Rest bestreitet die Großdiskothek derzeit komplett aus selbst gebildeten Rücklagen – und ist damit keineswegs allein.

Erst kürzlich hatte diese Redaktion darüber berichtet, dass sich Betriebe wie die Mannheimer Disco-Zwei oder der Rock-Club 7er durch die verordneten Schließungen in teilweise dramatischen finanziellen Notlagen befinden. Im Falle des Kult-Clubs Tiffany drücken Umsatzverluste im Millionenbereich auf die Bilanz, bei anderen haben die Einbußen längst zur Insolvenz geführt. In der Zeitung möchten Geschäftsleute, die die Krise ihre Existenz kostete, ihre Namen nicht lesen, doch einer von ihnen will seine Verzweiflung im „MM“-Gespräch dann doch nicht ganz verbergen: „Dass sich Regierungen in Stuttgart und Berlin mit der Großwirtschaft zwischen Lufthansa und Automobilherstellern solidarisch erklären, aber ehrliche Unternehmer, die ihre Steuer immer pünktlich gezahlt haben, in solch einer Zeit den Schlüssel das letzte Mal umdrehen müssen, hätte ich in einem Sozialstaat nicht für möglich gehalten.“

Doch selbst, wer – wie Alain Djuvelek – weiter kämpft, um zu einem normalen Betrieb zurückzukehren, verzweifelt langsam im Dickicht geltender Beschränkungen. Nach einem Urteil des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofes dürfen Clubs und Diskotheken zwar seit 30. Mai theoretisch wieder öffnen, aber nur dann, wenn sie sich formal dabei wie Restaurants ausnahmslos auf die Ausgabe von Essen und Speisen beschränken. Tanzen zu live gespielter Musik ist und bleibt nach den aktuell gültigen Verordnungen demnach weiterhin unbefristet verboten.

Für Djuvelek kommt das einer „Pseudo-Betriebserlaubnis“ gleich. „Abgesehen davon, dass wir ein Angebot an Speisen erst einmal schaffen müssten, kommt doch niemand auf die Idee, mal eben in eine Diskothek zu fahren, um einen Cocktail zu trinken – von unseren Kosten für Strom und Personal ganz zu Schweigen.“ Durch derzeit gültige Verordnungen spüre man, „dass hier politische Theoretiker am Werk sind, denen die Club-Szene ein Dorn im Auge ist, dem man sich nun bequem entledigen kann“. Wenngleich die Stadt Djuveleks Vorwürfe mit Verweis auf die Erfolge des Nachtbürgermeisters sowie des Netzwerks Startup Mannheim als „abwegig“ zurückweist, bekommt der Betriebsleiter von Sozial- und Christdemokraten durchaus Rückenwind. Der SPD-Kulturexperte Thorsten Riehle sieht die kulturelle Stadtentwicklung und den Fachbereich Sicherheit und Ordnung in „einem ständigen Kampf um das Existenzrecht von Clubs und Diskotheken“, der Mannheimer CDU-Bundestagsabgeordnete Nikolas Löbel macht zumindest Hemmnisse in der Kooperationsfähigkeit der Ordnungsbehörden aus. Tendenzen, die lokal, aber auch bundesweit durchaus ihre Spuren hinterlassen. Denn zum einen brachten selbst ambtionierte Hilfsprojekte wie „United We Stream Rhein-Neckar“ laut Startup Mannheim nur 7819 Euro ein, die nun durch Zuspenden auf das Doppelte aufgestockt werden sollen. Zum anderen ist auch ein bundesweiter Entschädigungsfonds, wie ihn zuletzt CDU-Mann Löbel gefordert hatte, noch pure Theorie.

Für Alain Djuvelek und zahllose andere Betriebsleiter läuft indes die Zeit davon. „Wir haben von unserem Geschäft immer leben können, uns aber nie die Taschen damit vollgemacht. Wir geben alles, um die sozial-integrative Idee eines Ortes aufrecht zu erhalten, an dem es vielleicht auch mal rau zugeht, der den Menschen aber ein Zuhause bietet. Eine gewisse Zeit können wir das noch durchhalten, doch wenn uns und vielen weiteren nicht bald geholfen wird, gehen die Lichter eben aus.“

Freier Autor

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