Besuch vor Ort - Mit dem Café Berta hat Dortmund vor fünf Jahren einen Aufenthaltsort für Trinker geschaffen - die Beteiligten bewerten das Projekt als Erfolg

"Wenn es euch nicht gäbe, wäre ich schon lange verreckt"

Von 
Timo Schmidhuber
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Trikots und Fanschals zieren die Decke: Der Gastraum könnte auch als Fußballkneipe durchgehen.

© imo

Im Nebenzimmer mit den knallgelben Wänden spielen zwei Männer Billard, ein paar andere sitzen daneben und kommentieren auf Polnisch die Partie. An der Theke rühren zwei Gäste müde in ihrem Kaffee, nebenan klappern die Würfel. Mehrere Männer und eine Frau sitzen dort am Tisch, bei ihrem Spiel trinken sie Bier. Zigarettenrauch hängt in der Luft, es ist kurz vor 13 Uhr. Decke und Wände zieren Schals und Trikots von Fußballklubs, Chelsea, Celtic, Barcelona. Die dominierende Farbe ist aber schwarz-gelb, die von Borussia Dortmund, schließlich befinden sich die Räume in der dortigen Nordstadt. Was auf den ersten Blick auch als Fußballkneipe durchgehen könnte, ist ein Aufenthaltsort, der Trinker von der Straße holen soll.

Die Einrichtung

  • Das Café Berta befindet sich in einer früheren, rund 200 Quadratmeter großen Kneipe in der Heroldstraße 22 in der Dortmunder Nordstadt. Außer dem Gastraum gibt es Büros und Beratungszimmer.
  • Die Einrichtung soll Trinkern einen geschützten Aufenthaltsort bieten. Sie dürfen alkoholische Getränke (bis zu einem Gehalt von 15 Prozent) mitbringen. Hochprozentiges sowie illegale Drogen sind verboten.
  • Im Café selbst gibt es Softdrinks, Tee oder Kaffee, aber auch Fünf-Minuten-Terrine, Mini-Salami, Knabberzeug und Süßigkeiten. Ein Kaffee kostet 40 Cent, eine Cola 70.
  • Geöffnet sind die Räume montags bis samstags jeweils von 12 bis 19 Uhr. Zwei Mal die Woche kommt ein Arzt, der Menschen ohne Krankenversicherung betreut.
  • Betrieben wird die Einrichtung von der Firma European Homecare, die bundesweit viele Flüchtlingsunterkünfte verwaltet. Für die Finanzierung ist komplett die Stadt Dortmund zuständig.
  • Der Etat beträgt 150 000 Euro pro Jahr, zuzüglich der Miete für die Räume.
  • Angestellt sind neben Hausleiter Thomas Thanscheidt die Sozialpädagogin Agnieszka Fach sowie an der Theke mehrere Kräfte im Rahmen einer Beschäftigungsförderungsmaßnahme.
  • Dortmund hat die Idee eines Trinkerraums aus Kiel übernommen. Die Federführung durch das Ordnungsamt bei dem Projekt zeigt, dass es in erster Linie darum geht, die Trinker von der Straße zu holen - und erst in zweiter um Suchthilfe. Deshalb waren die SPD in Dortmund, aber auch Caritas und Diakonie damals gegen den "Saufraum". Eine Koalition aus CDU, Grüne und FDP/Bürgerliste ermöglichte schließlich das Projekt. Bei Etatberatungen war es danach immer wieder auf der Streichliste. 

Café Berta - so heißt das Projekt, das 2012 gestartet wurde und das die Mannheimer Stadtverwaltung auch gerne in der Quadratestadt einrichten würde. Es soll Trinkern einen Ort bieten, an dem sie sich aufhalten und mitgebrachtes Bier oder Wein konsumieren können. Außer dem Billardtisch gibt es Kicker, Fernseher und ein Regal mit Büchern. Auch Hilfe zur Lebensbewältigung bekommen die "Gäste", wie sie hier heißen. Bei Ärger mit dem Vermieter genauso wie bei Behördenanträgen oder bei der Vermittlung zur Suchthilfe. Aber eben nur, wenn sie wollen. "Niedrigschwellig" nennen Sozialarbeiter das. Denn Zwang würde viele abschrecken.

Reaktionen und Einschätzungen

  • Der Nachbar: Hakan Altunel betreibt gegenüber des Café Berta ein Fotostudio. "Eigentlich ist es ruhig, nur ab und zu, wenn die Gäste besoffen aus dem Café kommen, pinkeln sie an die Hauswände. Aber es gibt keine Auseinadersetzungen und auch keinen Lärm", erzählt er. "Die Leitung des Hauses bemüht sich sehr, dass es mit der Nachbarschaft klappt." Grundsätzlich findet es Altunel allerdings nicht gut, eine solche Einrichtung an einer Stelle aufzumachen, in der Moschee, Kirche sowie eine Grundschule und ein Kindergarten in der Nähe sind. Die Trinker seien ein schlechtes Vorbild für kleine Kinder, findet Altunel.
  • Der Quartiermanager: Martin Gansau sagt, das Café Berta habe "eine hohe Akzeptanz bei alkoholkonsumierenden Menschen". Und durch die Einrichtung hätten Sozialarbeiter auch einen direkten Zugang zu ihnen. Bevor es die Räume gegeben habe, seien am Nordmarkt viele Klagen von Anwohnern über lärmende Trinker zu hören gewesen, berichtet der Quartiermanager. "Heute sitzen auf dem Platz zwar auch noch Trinker, allerdings in überschaubarer Zahl".
  • Die Ordnungsdezernentin: Diane Jägers bewertet das Café Berta als einen "festen Bestandteil im städtischen Konzept bei der Auseinandersetzung mit Alkohol im öffentlichen Raum." Als solcher sei es "sehr erfolgreich". Das zeigt sich nach Ansicht der CDU-Politikerin auch daran, dass es seit 2015 eine Absichtserklärung des Stadtrats gebe, die Finanzierung des Café Berta nicht mehr in Frage zu stellen. Mit den Nachbarn gebe es keine Probleme, "das läuft störungsfrei". Der Alkoholkonsum auf dem Nordmarkt hat sich Jägers zufolge so entwickelt, "dass er für alle Beteiligten tolerierbar ist". Auch die Prostitution dort habe man "im Griff". Die Drogenszene in dem Bereich - vor allem bulgarische und polnische Abhängige - bereite aber noch Sorgen. 

100 bis 150 Gäste pro Tag

Die Einrichtung in einer früheren Kneipe wurde damals eröffnet, nachdem es auf dem nahe gelegenen Nordmarkt zu massiven Beschwerden von Anwohnern über herumlungernde Trinker gegeben hatte. Rund 100 Leute kämen über den Tag verteilt, im Winter sogar bis zu 150, berichtet Hausleiter Thomas Thanscheidt, ein bulliger Typ mit langem Kinnbart, Ohrringen und einem T-Shirt der Heavy-Metal-Gruppe Motörhead. Fast alle Besucher seien Männer, Mitte 30 bis Mitte 60, die Hälfte mit ausländischen Wurzeln, in Bulgarien, Rumänien, Polen oder Russland. "Der Großteil ist nicht obdachlos, 80 Prozent haben eine Wohnung."

Die meisten sind schon viele Jahre alkoholabhängig, andere konsumieren nebenbei noch andere Drogen - die aber sind im Café Berta verboten. Wer Getränke mit mehr als 15 Prozent Alkohol oder illegale Drogen mitbringt, der fliegt raus, bei Drogen lebenslang. Wer schon betrunken ist, darf gar nicht erst rein. "Wir müssen schon manchmal die Polizei holen" , sagt Thanscheidt. Gerade nach der Eröffnung der Einrichtung habe man die Beamten häufig gerufen, weil die Gäste die Grenzen austesten wollten. "Dieses Jahr haben wir sie aber zum Glück noch nicht gebraucht."

"Hier habe ich meine Freunde"

Am Tisch bei den Würflern sitzen Stephan, Klaus und Hans-Jürgen. Klaus hat sofort ein Bier aus seiner Tasche gezogen, nachdem er reingekommen war. Blick und Aussprache lassen vermuten, dass es nicht das erste war. Klaus hat einen Vollbart und trägt eine schwarze Baseballmütze, sein linkes Auge ist dick angeschwollen. Er komme hierher, um Spaß zu haben, erzählt Klaus, während er einen Zigarillo raucht. Früher sei er beim Militär gewesen, habe im Karosseriebau und bei der Post gearbeitet. Jetzt ist er Rentner, mit 53. Zum Nordmarkt, sagt Klaus, gehe er nicht mehr, "zu gefährlich, zu viel Geprügel, zu oft Polizei". Hier im Café Berta gebe es keine Probleme, "wir vertragen uns".

Hans-Jürgen ist "fast täglich" hier, wie er sagt. Obwohl er keinen Alkohol trinkt. "Nur Wasser", der 57-Jährige zeigt auf die Flasche vor ihm auf dem Tisch. In seinem hellbraunen Poloshirt und seiner Jeans wirkt er sehr gepflegt. "Hier habe ich meine Freunde", sagt Hans-Jürgen. Er hat auch Stephan mitgebracht, der vor kurzem in die Stadt gezogen ist, in einer Großküche arbeitet und im gleichen Haus wie Hans-Jürgen wohnt.

Viele Gäste des Café Berta haben jeden Tag ein ähnliches Programm: morgens Frühstück in einer Einrichtung der evangelischen Kirche, dann zum Mittagessen in eine Suppenküche und ab 12 Uhr in den Trinkerraum. Aus Sicht von Hausleiter Thanscheidt trägt das alles dazu bei, den Menschen eine "Tagesstruktur" zu geben. Deshalb seien viele abends, wenn das Café Berta schließe, auch müde und wollten nach Hause. Nur manche gingen noch auf einen "Absacker" auf den Nordmarkt.

Die Einrichtung ist allerdings mehr als ein reiner Trinkerraum. Sie führe jeden Monat zwischen 80 und 100 Beratungsgespräche, sagt Thanscheidts Kollegin, die Sozialpädagogin Agnieszka Fach. "Ich versuche, die verschlungenen Probleme auseinanderzuzwirbeln und die Betroffnen an andere Hilfseinrichtungen weiterzuvermitteln. Wir wollen die Leute zuerst in stabile Verhältnisse bringen und dann in die Entgiftung."

Agnieszka Fach weiß, dass manche schon viele Entzüge hinter sich haben - und trotzdem noch trinken. Vom Alkohol kämen viele nicht weg. Aber das Café Berta bewirke, dass sie weniger konsumierten, als wenn sie irgendwo alleine wären. Thomas Thanscheidt erinnert sich da an einen Satz, den ein inzwischen verstorbener Gast einmal zu ihm gesagt hatte. "Wenn es euch nicht gäbe, wäre ich schon lange in meiner Bude verreckt."

Redaktion Stellvertr. Leiter der Lokalredaktion Mannheim

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