Mannheim. Die Kanzlerkandidatin trifft etwas früher auf dem Toulonplatz ein als geplant. So hat Annalena Baerbock noch Zeit, sich vor der Bühne mit den großen Bildschirmen zu setzen und sich das letzte Stück der Band anzuhören, die loungig-sphärische Musik mit Trompete und Piano macht. Dass Baerbock da ist, macht sich auch deshalb bemerkbar, weil plötzlich ein junger Mann ruft: „Ich hab’ ein Bild mit ihr!“ Ob die Freude ironisch gespielt oder wahrhaftig ist, lässt sich nicht genau sagen. Wohl von beidem etwas.
Der Platz vor dem Zeughaus ist voll an diesem frühen Montagabend, das Publikum bunt gemischt, Rentner genauso wie Studentinnen, auch viele Mütter und Väter mit ihren Kindern. Die Mannheimer Grünen-Kandidatin Melis Sekmen freut sich natürlich über die prominente Wahlkampf-Unterstützung in diesem „Endspurt für einen Wandel“, wie sie es nennt. Auf den Bildschirmen ist ihr Wahlkampf-Spot zu sehen, mit vielen Mannheim-Bildern und dem Appell nach „Mut, um uns neu zu erfinden“. Die Gäste auf dem Toulon-Platz begrüßt die 27-Jährige im Dialekt: „Monnem, schää, dass ihr do seid.“ Die Wahl sei noch nie so wichtig gewesen, „es geht dieses Mal um unsere Erde“, sagt sie in einer kämpferischen Rede. Den anderen Parteien nimmt Sekmen nicht ab, dass sie genug tun werden für den Klimaschutz. „Glaubt ihr im Ernst, dass Armin Laschet das Klima rettet? Oder dass der Olaf das Klima rettet? Das ist doch ein Witz.“ Schon am Tag nach der Bundestagswahl stünden „die üblichen Lobbyisten“ wieder vor den Parteizentralen von CDU und SPD und stellten „ihre altbekannten Forderungen“.
Baerbock spricht vor allem über Sozialpolitik
Dann ist Baerbock an der Reihe. Natürlich spricht auch sie über Klimaschutz, der Schwerpunkt ihrer Rede auf dem Toulonplatz ist aber ein anderer: Sozialpolitik. Sie fordert eine bessere Bezahlung für Pfleger, Kassiererinnen und alle anderen „systemrelevanten Kräfte“ - Stichwort 12 Euro Mindestlohn. Sie will das Ende der „Zwei-Klassen-Medizin“ im Gesundheitswesen durch Einführung einer Bürgerversicherung. Und wenn die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergehe, dann müsse man auch über eine Vermögensteuer und einen höheren Spitzensteuersatz sprechen, betont die Grünen-Chefin. Am Weltkindertag kommt sie natürlich auch zu einem anderen ihr wichtigen Thema: Kinder und Jugendliche müssten im Mittelpunkt der Politik stehen. Immer wieder gibt’s Applaus.
Danach sind Fragen aus dem Publikum an die Spitzenkandidatin möglich - entweder direkt ins Mikro oder per Zettel. Wie sie mit der Herausforderung umgehen wolle, die die Supermacht China für Deutschlands Wohlstand und Wirtschaft darstelle, will einer wissen. Baerbock bedankt sich für die Frage, die Außenpolitik sei im Wahlkampf zu kurz gekommen, findet sie. „Wenn sich Europa wegduckt, wird es hart für die Menschenrechte“, sagt die Grünen-Vorsitzende. Natürlich könne man sich von China als Wirtschaftsmacht nicht entkoppeln. „Aber man kann auch nicht die Augen davor verschließen, dass Menschen dort Zwangsarbeit machen müssen.“ Den europäischen Binnenmarkt hält Baerbock für stark genug, um zu sagen, er wolle keine Produkte aus Zwangsarbeit.
Stichwort Europäische Union. Welche Rolle soll Deutschland dort einnehmen, lautet eine andere Frage. Die EU sei deshalb gewachsen, weil einige mutig vorangegangen seien, sagt Baerbock. Das sei jetzt wieder nötig, um zu einer humanen Flüchtlingspolitik zu kommen. „Wenn nicht alle mitmachen, dann machen wir es eben mit denen, die mitmachen wollen - damit nie mehr Familien in Schlammzelten an Außengrenzen leben.“
Nach eineinviertel Stunden ist die Kundgebung zu Ende. Zum Dank überreicht Sekmen eine Flasche Pfälzer Wein an ihren Gast („Den können wir im Bus gut gebrauchen bei unserer Nachtfahrt“) - und einen SV-Waldhof-Schal. Bei Baerbocks nächstem Mannheim-Besuch soll es nämlich ins Stadion gehen.