Soziales - Am Gesundheitstreffpunkt gründet sich eine Selbsthilfegruppe für „Angehörige von Verschwörungsgläubigen“

Selbsthilfegruppe für "Angehörige von Verschwörungsgläubigen" in Mannheim

Von 
Sebastian Koch
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Glauben Menschen an Verschwörungstheorien, leidet häufig auch das soziale und familiäre Umfeld darunter. © Patrick Daxenbichler

Mannheim. Sie erzählen davon, dass die Mondlandung eine Inszenierung war; die USA sich am 11. September selbst angegriffen haben, um einen Krieg zu provozieren; Chemtrails am Himmel Gebiete markieren oder das Corona-Virus ein Plan von Bill Gates ist, um die Weltbevölkerung zu reduzieren: Verschwörungsmythen üben eine Faszination aus. Glauben Menschen aber tatsächlich fest an solche Theorien und bauen sie sich um diese herum ihre eigene Welt auf, leidet darunter nicht selten auch ihr Umfeld. Eine Selbsthilfegruppe des Gesundheitstreffpunkts richtet sich deshalb nun an „Angehörige von Verschwörungsgläubigen“.

Für das, was sich zunächst vielleicht als etwas weit hergeholt anhört, ist offenbar durchaus Bedarf vorhanden. Sogar „großen Bedarf“ sieht Bärbel Handlos, Geschäftsführerin des Gesundheitstreffpunkts. „Nach meinem Hinweis an Beratungsstellen in der letzten Woche haben wir bereits Anmeldungen bekommen.“ In Stuttgart gibt es zudem eine Gruppe für Eltern und Geschwister von Corona-Leugnern („Hilfe, mein Kind denkt quer“).

Im Gegensatz zu der Gruppe in der Landeshauptstadt soll sich die in Mannheim nicht allein auf die Pandemie beziehen, sondern offen sein für Angehörige aller Verschwörungsgläubigen. Laut Gesundheitstreffpunkt wäre das die erste Selbsthilfe dieser Art im Land. Unter dem Titel „Verquerte Welt - Leben mit Verschwörungsanhängern“ ist am Mittwoch eine Selbsthilfe auch im bayerischen Erlangen angelaufen.

Initiiert wird die sich in Mannheim gründende Gruppe von Sonja. Ihren richtigen Namen möchte sie nur Mitgliedern der Selbsthilfegruppe nennen.

Sonjas Bruder glaubt an Verschwörungstheorien. Oder - wie sie es nennt: Verschwörungserzählungen. „Theorien sind wissenschaftlich überprüfbare Annahmen“, erklärt Sonja. Auf das, was ihr Bruder verbreite, treffe das nicht zu. „Mit Argumenten kommt man da nicht weiter.“

Zwischen Nähe und Distanz

Krisen sind Nährböden für den Glauben an Verschwörungen. „Die Pandemie hat das sehr beschleunigt“, erklärt Handlos. Bei bisherigen Gesprächen mit an der Gruppe Interessierten aber ist ihr auch „deutlich geworden, dass die Entwicklung des Auseinander-Driftens bei allen bereits vor der Pandemie angefangen hat“.

So auch bei Sonjas Bruder. Schon lange, wohl sogar schon in der Kindheit, habe er von „Regierungen oder Eliten“ erzählt, „die willentlich die nichtsahnende Bevölkerung belügen, um Machtansprüche oder politische Unterwanderungen zu verschleiern“. Das sei Sonja als Kind wahrscheinlich noch gar nicht bewusst gewesen, sagt sie.

Heute dagegen wirkt sich der Verschwörungsglaube auch auf das familiäre Zusammenleben aus. „Unterhaltungen mit meinem Bruder sind immer ein Drahtseilakt zwischen Nähe und Distanz“, erklärt sie. Auf der eine Seite wolle Sonja das Thema „nicht ausklammern“ und ihren Bruder nicht in seiner eigenen Welt leben lassen. Auf der anderen Seite fürchtet sie, dass Diskussionen über „heikle Themen“ die Kluft zwischen ihr und ihrem Bruder weiter wachsen lasse. Als Schwester spüre sie dennoch eine Verantwortung - genauso wie es in anderen Familien der Ehemann, die Ehefrau, der Vater, die Mutter, der Bruder oder das Kind sei, der oder die glauben, einen Verwandten aus dem Verschwörungsglauben „rausholen zu können“. So entstehe ein schwieriger Spagat. „Ich will an meinem Bruder dranbleiben, muss gleichzeitig aber auf meine eigene psychische Gesundheit achten.“

Gewaltfreie Kommunikation

Nicht selten würden Angehörige in Diskussionen in Positionen gezwungen, um Verschwörungsnarrative zu entkräften. „Ich verstricke mich in Argumente, die mich in eine so extreme Position bringen, die ich eigentlich gar nicht vertrete“, erklärt Sonja. „Politische Entscheidungen, an denen ich selbst Kritik üben könnte, verteidige ich.“ Als Folge befürchtet die Gruppengründerin immer extremer werdende Positionen und eine Gesellschaft, deren Polarisierung stetig größer werde.

Eine gewaltfreie Sprache in der Kommunikation mit Angehörigen, der Abbau von individueller Belastung und eigener Schuldgefühle, aber auch das bessere Verstehen von Motiven für den Glauben an Verschwörungen möchte Sonja in der Selbsthilfegruppe thematisieren - neben dem Austausch von eigenen Erfahrungen. „Es geht darum, den Kontakt, der belastet ist, wieder entspannter zu gestalten.“ Geschäftsführerin Handlos jedenfalls ist optimistisch. „Ich rechne damit, dass wir sehr schnell mit der Gruppe starten können.“

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Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts