Mannheim. Ausgangssperre, Autoposer und Corona-Partys - seit der Pandemie sind die Ordnungshüter im Dauereinsatz. Als Chef des Polizeipräsidiums Mannheim war auch Andreas Stenger ständig bei den Kontrollen mit dabei. Wieso die Ausgangssperre wirksam ist und warum pseudosatirische Nazi-Symbole in Polizei-Chats zur Entlassung führen, verrät der künftige Leiter des Landeskriminalamts im Interview.
Herr Stenger, wächst der Widerstand gegen die Corona-Kontrollen?
Andreas Stenger: Das würde ich pauschal so nicht sagen. Es ist aber schwieriger geworden als zu Beginn der Pandemie. Damals gab es ein hohes Maß an Regeleinhaltung. Trotzdem verhält sich die überwiegende Mehrheit noch verantwortungsbewusst. Die Schaukelbewegung zwischen Öffnen und Schließen ermüdet viele. Die Sehnsucht nach Normalität ist sehr groß und wird über viele Kanäle befeuert. Das zeigt sich auch in der Kontrollsituation.
Vom Polizeipräsidenten zum Chef des Landeskriminalamts
- Geboren 1963 in Homburg an der Saar, startet Andreas Stenger 1981 eine Ausbildung bei der Bundespolizei.
- Im Jahr 1988 wechselt er schließlich zur baden-württembergischen Landespolizei und macht Streifendienst beim Polizeirevier in Mannheim-Käfertal.
- 1998 folgt der Abschluss an der Hochschule für Polizei, 2003 an der Deutschen Polizeihochschule. Ab 2003 arbeitet Stenger bei der Polizeidirektion Heidelberg und im Innenministerium. Später wechselt er ins LKA, wo er 2018 Vizepräsident wird.
- Von Mai 2019 bis Mai 2021 leitet der 58-Jährige das Polizeipräsidium Mannheim. Bis der Nachfolger feststeht, übernimmt Vizepräsident Siegfried Kollmar die Leitung.
- Ab dem 1. Mai 2021 wird Stenger Chef des LKA Baden-Württemberg.
- Stenger ist verheiratet, wohnt in Heddesheim und ist begeisterter Rennradfahrer und Läufer.
Wie geht die Polizei damit um?
Stenger: Da suchen wir das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern, wollen sensibilisieren. Weil auch wir Verständnis haben, dass die Situation so schwierig ist und mit jedem Monat schwieriger wird. Ständig heißt es: Nur noch ein bisschen durchhalten, dann dürfen wir wieder mehr. Wenn das nicht eintritt, mehr Öffnungen und mehr Normalität ausbleiben, enttäuscht es die Menschen. Daraus entsteht Frustration. Und daraus unter bestimmten Bedingungen auch Aggression - dann wird’s richtig schwierig.
Aber von zertrümmerten Schaufenstern und Angriffen auf Polizisten wie in Stutt-gart sind wir noch weit entfernt, oder?
Stenger: Das kann man so nicht sagen. Diese Dinge entwickeln sich zumeist aus Situationen. Oft genügt nur ein Funke. Das beschäftigt mich seit vergangenem Sommer. Damals haben wir auf Quartiersplätzen mit der Stadt versucht zu verhindern, dass die Stimmung kippt. Da wurde auf Streetwork gesetzt in Form der Nachtschichtler. Diese Konzepte haben sich gut bewährt und werden genauso wieder angewendet, um solche explosiven Situationen zu verhindern.
Jugendliche feiern trotz Ausgangssperre weiterhin am Neckarufer - auch die Polizei lasse sich hier oft nicht blicken, so der Eindruck. Woran liegt das?
Stenger: Wir haben zusätzlich ein Interventionsteam von rund 70 Beamten, die nur für Corona-Kontrollen zuständig sind. Das Team kann schnell überall in der Region sein. Beispiel Neckarwiese: Hier ist es niemandem möglich, sich dauerhaft aufzuhalten. Denn sobald jemand das meldet, wird das Team alarmiert. Seit der Pandemie erhalten wir sehr viele Hinweise aus der Bevölkerung. Darüber, wo sich andere treffen. Oder wo gerade eine Corona-Party läuft. Die Neckarwiese ist ein Hotspot. Über die Osterfeiertage war ich selbst dort im Einsatz, da lief alles sehr geordnet ab.
Also ist es in Ordnung, den Nachbarn zu verpfeifen?
Stenger: Es ist weit verbreitet, dass besorgte Bürger, die sich selbst sehr solidarisch verhalten und sich nach Normalität sehnen, Regelbrecher melden. Es ist ein Gebot der Solidarität in schwierigen Zeiten, die Regeln zu beachten. Diese sollen uns helfen, die Infektionszahlen in den Griff zu kriegen und so verhindern, dass die Intensivstationen zusammenbrechen. Wer sich leichtfertig darüber hinwegsetzt, verhält sich unsolidarisch und sollte sich bewusst sein, dass es diese schweren Verläufe gibt auch bei jungen Leuten.
Wie viele solcher Corona-Partys sind denn wirklich Verstöße?
Stenger: Hier liegen wir meist zwischen drei und sieben Verstößen über ein Wochenende verteilt. Da wird etwa ein Raum angemietet, um zu feiern, oder eine Familienparty veranstaltet. Das sind aber einzelne Ausreißer. Klar gibt es auch ein Dunkelfeld. Wer so eine Corona-Party plant, sollte fürchten, entdeckt zu werden. Es gibt Personen, die rufen zu Partys in Social Media auf. Wenn wir das mitbekommen, kontaktiert die Polizei die Gastgeber bereits im Vorfeld. Es geht nicht darum, jemanden auf frischer Tat zu ertappen und Bußgeld zu kassieren, sondern so etwas direkt zu verhindern.
Nach dem Ende der ersten Ausgangs-sperre waren Sie überzeugt: Diese Maßnahme ist ein wirksames Mittel gegen Neuinfektionen. Sehen Sie das heute, trotz der hohen Inzidenz, immer noch so?
Stenger: Wenn wir uns die Entwicklungen der Inzidenz anschauen, dann stellen wir fest: Zwei Wochen nach Start der ersten Ausgangssperre mit einer Inzidenz von 224 im vergangen Dezember hatten wir rückläufige Zahlen im zweistelligen Bereich. Während die Inzidenz in anderen Kreisen und Städten weiter gestiegen ist. Für Experten ist das ein Effekt, der mit der Ausgangssperre im Zusammenhang stehen kann. Im Februar waren wir sogar bei 45,5, die Ausgangssperre konnte dann wieder aufgehoben werden.
Nun ist sie aber wieder da ...
Stenger: Kein Polizist wünscht sich, solche Ausgangsbeschränkungen durchzusetzen. Wir sind schließlich genauso davon betroffen. Dass die Sperre eine Wirkung hat, das zeigt die Erfahrung - auch in anderen Ländern: Es ist einfacher zu kontrollieren, ob jemand nach 21 Uhr einen triftigen Grund hat, als zu diskutieren, ob das jetzt 90 Zentimeter Abstand oder doch ein Meter sind. Trotzdem ist eine Ausgangssperre ein schwerer Eingriff und muss mit Blick auf das Infektionsgeschehen bewertet werden.
Polizisten und Polizistinnen sind impfberechtigt. Wie viele sind bereits geschützt? Gibt es Skeptiker?
Stenger: Viele Beamte haben bereits eine Erstimpfung erhalten mit AstraZeneca. Wir kommen gut voran. Der Polizei werden oftmals Restbestände angeboten, die Verteilung läuft über die Impfzentren. Für alle gibt es ein freiwilliges Angebot. Es wird nicht erfasst, wer sich nicht impfen lässt, aber die Bereitschaft ist hoch. Die Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ihr Dienst gefährlich ist. Mit 1,5 Meter Abstand kann man keine Ausweise kontrollieren. Sie sind rund um die Uhr draußen und wollen sich schützen.
Was halten Sie davon, dass ein Mannheimer Polizist AfD-Stadtrat ist und für den Bundestag kandidiert?
Stenger: Meine persönliche Meinung ist nicht relevant. Aber auch ein Polizist hat das Recht auf politische Betätigung. Solange es sich um keine verbotene Partei handelt, ist aus der Mitgliedschaft gesetzlich nichts abzuleiten. Da muss man sich das konkrete Verhalten sehr genau anschauen, den Einzelfall im Blick haben, was wird gesagt, getan und wie ist das Verhalten mit Blick auf unsere demokratischen Prinzipien. Das tun wir hier in Mannheim
Dazu passt eine neue LKA-Kampagne gegen rechtsextremistische Chatinhalte, diskriminierende Äußerungen, Extremismus und Ausländerfeindlich-keit. Gibt es solche Vorfälle auch hier?
Stenger: Wir sind eine Behörde mit fast 2700 Mitarbeitenden. Jede Kampagne, die gegen solche Themen wirkt, ist willkommen. Damit verknüpfe ich hohe Erwartungen. Es gab hier einzelne Vorfälle. Wir stellen uns diesem Thema offensiv, gehen voran und sind Vorreiter. Es gibt gerade einen Generationswechsel. Das sind junge Menschen, die ein anderes Social Media Verhalten haben. Wir wollen, dass die Polizisten nicht naiv in solche Dinge reinrutschen und sie gegen die Gefahren im Netz wappnen. Schon das kritiklose Empfangen einer Nachricht hat dienstrechtliche Konsequenzen.
Es trifft also jeden, der einer Nachricht nicht widerspricht?
Stenger: Beispiel Whatsapp-Gruppe: Wer bei extremistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sexistischen Inhalten nicht widerspricht oder den Absender blockiert, der bekommt dienstrechtliche Folgen. Gerade bei solchen Sachen verstehe ich keinen Spaß. Beamte haben einen Eid auf das Grundgesetz abgelegt. Deswegen gelten für Polizisten höhere Anforderungen. Es ist nicht witzig, zum Beispiel Nazi-Symbole zu teilen oder etwas, dass antisemitisch oder menschenfeindlich ist. Da muss klar sein: Hier gibt es keine Toleranz. Chatgruppen in der Polizei haben zwar oftmals keine strafrechtliche Relevanz. Das Dienstrecht ist aber deutlich schärfer – so etwas führt bei Polizeianwärtern in Ausbildung zur Entlassung.
Welche Fälle waren das konkret in Mannheim?
Stenger: Hier wurden pseudosatirische Bilder mit rechtsextremistischer Symbolik getauscht über Chats. Die Verfahren dazu laufen noch. Was mich aber positiv stimmt ist, dass häufig Kolleginnen und Kollegen sensibel sind, sich offenbaren und Hinweise geben. In Weinheim wurde ein junger Polizeianwärter aus dem Dienst entfernt. Der hatte vor seiner Ausbildung ein Hitlerbild auf Instagram gepostet, schon Jahre vorher. Genau dafür dient die Kampagne, um zu warnen: Seid extrem vorsichtig. Wer den Weg in die Polizei geht, der weiß, dass auch im privaten Bereich pornografische, homophobe oder rechtsextremistische Inhalte Folgen haben.
Die Kontrollen gegen Autoposer und Partygäste wirken - noch. Der Corona-Sommer kommt und mit ihm sicher wieder die Poser und Partygäste. Gibt es dafür schon eine Strategie?
Stenger: Die polizeiliche Maßnahme für die Kunststraße ist zeitlich unbefristet. Die nächtliche Sperrung der Fressgasse übers Wochenende ist eine rein städtische Maßnahme. Die Ermittlungsgruppe Poser wurde dauerhaft von fünf auf sieben Spezialisten verstärkt. Das sind so viele wie noch nie. Die Ermittlungsgruppe hat mit den Kontrollen schon Mitte März begonnen, früher denn je. In den heftigen Nächten vor der Ausgangssperre hat die Verkehrspolizei an den Wochenenden dauerhaft zwölf Beamte nur für das Poserwesen aufgefahren. Das soll weiter so laufen - wenn die Lage es erfordert - das ganze Jahr.
Was haben Sie sich zu Beginn ihrer Amtszeit vor zwei Jahren in Mannheim einfacher vorgestellt?
Stenger: Am Anfang war ich überzeugt, dass ich es schaffe, regelmäßiger vor Ort zu sein. Aber mir waren zeitliche Grenzen gesetzt. Mir war es wichtig, dass wir uns als bürgerorientierte Polizei präsentieren und den Service bringen, den die Menschen erwarten. Umfragen zeigen, dass die Menschen sich ansprechbare Polizeipräsenz in ihrem Wohnumfeld wünschen. Das erreicht man optimal mit Fuß- oder Fahrradstreifen. Da kommt man leichter mit den Menschen ins Gespräch.
Das haben Sie selbst auf zahlreichen Streifen durch die Stadt vorgelebt. Ist es Ihnen gelungen, auch Ihre Kollegen und Kolleginnen dafür zu begeistern?
Stenger: Für die Umsetzung dieses Konzepts , also im gesamten Präsidiumsbereich flächendeckend auch mit Fuß- und Radstreifen präsent zu sein, regelmäßig in dieser Form kommunikativ mit den Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt zu treten, muss man kontinuierlich werben und überzeugen und motivieren. Ich bin selbst sehr gerne zu Fuß in der Stadt unterwegs, spreche mit Passanten oder Gewerbetreibenden. Diese alltäglichen Kontakte mit Bürgerinnen und Bürgern sind gut für unser Image und schaffen noch mehr Vertrauen. Durch die Pandemie haben wir eine sehr hohe Wertschätzung erfahren. Als großes Ziel von mir, hätte ich mir mehr Dynamik in diesem Prozess gewünscht, aber wir sind auf einem guten Weg.
Was wollen Sie ihrem Nachfolger mit auf den Weg geben?
Stenger: Meinem Nachfolger habe ich keine Ratschläge zu geben. Aber offen, transparent und mit hoher Dienstleistungsmentalität seine polizeilichen Aufgaben wahrzunehmen, ist für mich das Erfolgsmodell einer modernen Polizei. Die nicht nur Kriminalität effektiv und erfolgreich bekämpft, sondern auch das Sicherheitsempfinden der Menschen im Blick hat. Eine Polizei, die weiß, dass man nur mit vertrauensvollen Sicherheitsallianzen mit Kommunen, Verbänden und Bürgerinnen und Bürgern erfolgreich polizeilich arbeitet. Das sind die Eckpunkte von bürgerorientierter Polizeiarbeit. Und die sind nicht verhandelbar.