Er wendet sich ab. "Ich gehe 'raus, wenn das oben hängt, ich halte das nicht aus", stöhnt Johannes Michel. Was da gleich oben hängen soll, ist der neue Spieltisch der Orgel der Christuskirche, an der Landeskantor Michel irgendwann im nächsten Jahr Platz nehmen will. Damit das 500 Kilo schwere Teil auf die Orgelempore gehievt werden kann, muss in dem Gotteshaus eigens ein Kran aufgebaut werden. Gestern hat es geklappt - im zweiten Anlauf.
Der Austausch des Spieltischs - das ist einer der kompliziertesten Schritte bei der Sanierung der Steinmeyer-Orgel, der größten Denkmalorgel Baden-Württembergs. Den alten Spieltisch von 1984 hat eine darauf spezialisierte Firma bereits zerlegt und abtransportiert, "der kommt in Bastlerhände", weiß Michel. Der noch ältere Spieltisch von 1939, den er in ein Museum geben wollte, muss bleiben und weiter im Eck stehen, "denn der ist denkmalgeschützt und darf nicht weg".
Steinmeyer-Orgel
Die Orgel auf der nördlichen Empore der Christuskirche ist mit 96 Registern auf vier Manualen und Pedal einschließlich eines Fernwerks und mit 7869 klingenden Pfeifen die größte Denkmalorgel Baden-Württembergs und eine der wenigen Konzertorgeln ihrer Zeit, die beide Weltkriege überstanden hat.
Eingeweiht wurde das von der Königlich Bayerischen Hof-, Orgel- und Harmoniumfabrik G. F. Steinmeyer in Oettingen erbaute Instrument zeitgleich mit der Christuskirche am 1. Oktober 1911. Sie ist die älteste und größte der drei Orgeln der Christuskirche. Der Leipziger Komponist Sigfrid Karg-Elert nannte sie 1920 "Das Mannheimer Wunderwerk".
Die Orgel hätte ohne die seit über einem Jahr laufende Sanierung stillgelegt werden müssen, weil elektrische Verkabelungen und Pneumatik marode waren. Von den 850 000 Euro Gesamtkosten trägt die "Stiftung Christuskirche - Kirche Christi" mit Traudl Engelhorn als größter Stifterin die Hälfte, dazu kommen Kirche, Bund und private Spender. pwr
Boden verstärkt
Das neue Teil steht schon seit einer Woche in der Kirche bereit. Aber zunächst klappt es nicht, den Kran in das Gotteshaus zu bringen - wegen der Stufen am Eingang. Doch jetzt liegen Baggermatratzen aus Hartholz über den Treppen, und der per Ladekran aus dem Lkw abgesetzte Miniraupenkran kann über sie quasi in die Kirche klettern und aus eigener Kraft vor den Altar fahren.
Hier sind fünf Kirchenbänke abmontiert. Dafür liegen überall dicke Balken aus frisch gesägtem Bauholz. Sie verstärken den Boden. Und auch unten, im Keller der Christuskirche, sind massive Stützen platziert. Schließlich soll der Kirchenboden nicht einbrechen, wenn der fünf Tonnen schwere Kran hier seine vier Stützen ausfährt und in Aktion tritt.
Zunächst muss der Spieltisch für den ungewöhnlichen Transport in die Höhe vorbereitet werden. Gerhard Lenter, Seniorchef der gleichnamigen Orgelbaufirma aus dem schwäbischen Großsachsenheim, lässt Folie, Malervlies und Wolldecken um ihn wickeln, ehe der Kran ihn an vier dicken grünen Seilen an den Haken nimmt. Plötzlich gibt der Kran einen Heulton von sich, gelbes und rotes Licht blinken - der elektronische Lastmomentbegrenzer. Schnell wird der Winkel etwas geändert, mit dem der Kran den Spieltisch anhebt - schon leuchtet grünes Licht auf. Zwar kommt der Ausleger nun dem schweren Kronleuchter in der Vierungskuppel gefährlich nahe, aber die Mitarbeiter der Kranfirma Wiesbauer beweisen Fingerspitzengefühl, fahren den Ausleger genau in der Mitte des Leuchters, der einen Durchmesser von 8,40 Metern hat, in die Höhe.
Plötzlich geht alles ganz schnell. Ein letzter prüfender Griff, dann sagt Lenter: "Ja, perfekt!" "Ich werde verrückt, ich kann es nicht sehen", schaut Michel weg, denn schon wird der - immerhin rund 120 000 Euro teure - Spieltisch in die Höhe gezogen, schwebt scheinbar durch die Kirche, wird völlig problemlos zwischen der Kreuzigungsgruppe des Bildhauers Hoffarth sowie einer der Säulen hindurch auf die Orgelempore gehoben. Mit dem Podest, zunächst vom Spieltisch abgeschraubt, folgt die gleiche Aktion - und schon ist es geschafft.
"Ich war sehr nervös", gesteht Michel. "Aber nun ist das Gefühl erhebend, denn jetzt sind die letzten Risiken des Umbaus weg", atmet er auf. "Alles, was jetzt noch kommt, ist Fleißarbeit der Orgelbauer und künstlerisches Können der Intonateure, aber das geschieht ohne Zeitdruck" , blickt er voraus. Zunächst muss der Kran auf seinen Raupen wieder aus der Kirche fahren, das Bauholz für die Aufbauten entfernt werden. Dann montiert Kirchendiener Hans-Georg Heltmann die entfernten Kirchenbänke, und es wird geputzt. Bis zum Wochenende sieht niemand mehr, dass in der Kirche ein Kran stand.