Pandemie - Bordelle seit Sonntagnacht wieder geöffnet / 43 Mal Soforthilfe für Sexarbeiterinnen / Illegale Prostitution im öffentlichen Raum

Mit Maske ins Rotlichtviertel

Von 
Lisa Uhlmann
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Die Laufhäuser in der Lupinenstraße in der Neckarstadt-West: Mittlerweile ist hier coronabedingt wieder 1:1 Prostitution erlaubt – Gruppensex bleibt verboten. © Dieter Leder

„Wieder geöffnet!“. Das ist das erste, was Besucher auf der Webseite eines Bordells in der Lupinenstraße zu sehen bekommen. Denn seit diesem Montag dürfen nun landesweit die Bordelle wieder ihre Türen öffnen, Prostituierte und Freier ganz offiziell miteinander intim sein – vorausgesetzt, sie halten sich an die Corona-Regeln. Denn auch hier gelten strikte Hygiene-Vorschriften.

So sieht die Corona-Landesverordnung vor, dass nur 1:1 Prostitution wieder stattfinden darf – das heißt, kein Gruppensex, sondern nur eine Frau darf mit einem Kunden im Raum Sex haben. Zudem gelten ähnliche Vorgaben wie etwa für Gaststätten: In den Innenräumen ist Maske Pflicht, die Betriebe müssen ein Hygienekonzept vorlegen und die Kontaktdaten der Kunden erheben. Ob sich alle daran halten, wollen Stadt und Polizei gemeinsam kontrollieren.

Wie aber ist es den Frauen aus dem Rotlicht ergangen, die seit sieben Monaten ohne Einkommen sind? „Das Warten war existenziell, bei uns haben die Frauen wöchentlich nachgefragt, ob sie wieder arbeiten dürfen“, erinnert sich Julia Wege von der Beratungsstelle Amalie der Diakonie Mannheim. Hier bietet Wege – unterstützt von der Stadt Mannheim – Prostituierten unbürokratische Hilfe bei Problemen und beim Ausstieg. Eigentlich gibt es auch eine Arztsprechstunde und ein Frauencafé – alles wegen der Pandemie ausgesetzt. Vermittelt wurden die Frauen vor Corona auch von den städtischen Ämtern, wo sie sich für ihre Arbeitserlaubnis registrieren müssen und eine gesundheitliche und rechtliche Beratung erhalten. Vor dem Lockdown, berichtet Nadja Oster, zuständige Abteilungsleiterin beim Mannheimer Gesundheitsamt, haben über 70 Prozent der gemeldeten Prostituierten in Bordellen in der Lupinenstraße gearbeitet, knapp 30 Prozent davon besaßen eine Krankenversicherung.

Großteil arbeitet in Lupinenstraße

„Vor dem Lockdown hat es in den Beratungen kein hervorstechendes Thema gegeben. Jetzt dreht sich alles um Wohnungen, Nothilfen und soziale Fragen. Es gibt ein Klientel, das dringend Hilfe sucht“, erklärt die Medizinerin. Sie und ihre Amtskollegen wissen aber auch: Sie erreichen nur diejenigen, die sich auch anmelden. Die anderen, die illegal ihre Dienste verkaufen, egal ob aus freien Stücken oder unter Zwang, bleiben unerreichbar. „Einige Frauen trauen sich nicht, Hilfe anzunehmen, weil sie keine Krankenversicherung haben. Und weil sie sich viele Jahre nicht gemeldet haben, müssten sie alle Beiträge rückwirkend zahlen. Sie sind also hoch verschuldet. Ein Ausstieg ist daher fast nicht möglich“, weiß Julia Wege aus Erfahrung. Durch das Berufsverbot hätten viele die einzige Einnahmequelle und damit ihre Wohnung verloren. Einige sind sogar in ihre Heimatländer wie etwa Bulgarien und Rumänien zurückgereist oder bei Freiern untergekommen. Wie groß die Not der Frauen wirklich war, zeigt der Umstand, dass sich Frauen in der eingerichteten Tafel bei Amalie sogar um Mehl und Nudel gestritten hatten.

Um ihnen finanziell zu helfen, waren die Beraterinnen von Amalie ausgerückt, um über Soforthilfen aus dem „Hilfsfonds für Prostituierte“ der Stadt zu informieren. Mit Erfolg: Über 100 Frauen kamen zur Beratung, 43 davon haben Soforthilfen beantragt. Zwölf Frauen nutzten die Krise als Chance zum Aussteigen. Heute, erklärt Wege, ist die Lage der Sexarbeiterinnen in der Neckarstadt-West immer noch prekär. Viele, sagt sie, hätten trotz Verbot illegal weiter gearbeitet – das hat die Prostitution in den öffentlichen Raum verlagert.

Prostitution auf dem Spielplatz

Selbst auf Spielplätzen träfen sich die Frauen mit Kunden. „Wir wollen mit aller Macht verhindern, dass sich außerhalb der Lupinen- und Industriestraße, wo Prostitution verboten ist, ein Straßenstrich etabliert“, erklärt Polizeisprecher Christoph Weselek. Weil sich schon Anwohner beschwert haben, ist seit September eine Ermittlungsgruppe im Einsatz. Fußstreifen kontrollieren täglich das Sperrgebiet. „Wir setzen dabei auf Aufklärungsgespräche und vermitteln an Hilfsangebote“, sagt Weselek. Wer beim ersten Mal erwischt wird, begeht eine Ordnungswidrigkeit und muss 350 Euro Bußgeld zahlen. Wiederholungstäter, sowohl Männer, die das illegale Angebot nutzen, also auch die Frauen, machen sich strafbar. Ihnen drohen 700 Euro Strafe. Platzverweise oder Aufenthaltsverbote habe man bislang noch nicht ausgesprochen, so Weselek.

Wie sieht es mit den Corona-Regeln in den Bordell-Zimmern aus? Im Netz erklärt ein Betreiber: „Die Damen bieten ihre Dienstleistungen als selbstständige Unternehmerinnen an. Das Ob und Wie findet durch eine Absprache zwischen Damen und Gästen statt.“ „Am Ende tragen die Frauen die Verantwortung, denn die Betreiber stellen nur die Räume zur Verfügung“, sagt Wege.

Gekipptes Berufsverbot für Sexarbeiterinnen und Hilfen

  • Auslöser war ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofes in Mannheim. Dieser hatte das generelle Sexverbot gekippt und es als außerordentlich schweren Eingriff in die Berufsfreiheit bezeichnet.
  • Laut Sozialministerium ist die Corona-Verordnung nur bindend für Kommunen, die nicht per Allgemeinverfügung ein Prostitutionsverbot ausgesprochen hätten. Auf Anfrage erklärt die Stadt, man habe laut der Coronaverordnung „uneingeschränkt das Recht, weitgehende Maßnahme zu beschließen“.
  • Soforthilfen: Sie stammen aus dem 2015 einrichteten städtischen „Hilfsfonds für Prostituierte und Prostitutionsaussteigerinnen in prekären Lebenslagen“. Aufgrund der Notsituationen der Prostituierten wurden die Gelder für eine Grundversorgung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln für Betroffene freigegeben.
  • Von den gemeldeten Prostituierten stammen 32 Prozent aus Rumänien, 21 aus Bulgarien, 17 aus Deutschland. 80 Prozent kommen aus dem Ausland, die Hälfte spricht Deutsch, ein Viertel Rumänisch.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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