Leser erhalten Einblick in historische Bewegtbilddokumente – und in die Kunst, diese zu erhalten

Mit den größten Filmschätzen auf Zeitreise durch Mannheim

Von 
Anne Kathrin Doerr
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Bert Siegelmann (v. l.) erläuterte mit Ulrich Nieß die Bedeutung der Aufnahmen. Chefreporter Peter W. Ragge leitete die Gesprächsrunde. © Markus Prosswitz

Mannheim. „Film ab!“ für Mannheims ältestes Bewegtbilddokument, hieß es am Donnerstagabend in der ausverkauften Kantine des „Mannheimer Morgen“. Mehr als 200 Gäste waren zu der gut zweistündigen Veranstaltung „Filmschätze retten“ in die Dudenstraße gekommen. Mit Hans-Peter Schwöbel, Christian Ziegler und Joana saßen auch drei Träger des Bloomaulordens im Publikum. Peter W. Ragge, Chefreporter des „Mannheimer Morgen“ führte durch den Abend. Als Experten standen der Direktor des Stadtarchivs, Ulrich Nieß, sowie Bert Siegelmann, Geschäftsführer und Programmdirektor des Rhein-Neckar Fernsehens, auf der Bühne. Sie führten durch die Welt des alten Films und klärten auch über technischen Aspekte auf, etwa, wie eine historische Filmrolle den Weg in die digitale Welt schafft.

Der Abend war Teil der „MM“-Serie „Filmschätze retten“, die immer donnerstags in dieser Zeitung erscheint, und mit der der „MM“ den Förderverein „Freunde des Stadtarchivs“ unterstützt. Zur Digitalisierung seiner beachtlichen Filmsammlung ist der Verein auf Spenden angewiesen.

Alte Innenaufnahmen

Mannheim im Jahr 1907. Erbgroßherzog Friedrich II. ist zu Besuch in der Quadratestadt und eröffnet am Wasserturm die Internationale Kunst- und große Gartenausstellung. Der Rosengarten ist zu diesem Zeitpunkt quasi ein Neubau, gerade einmal sechs Jahre ist er alt. Wirbelnde Zylinder, stolzierende Herren, der Großherzog mit Pickelhaube – die Bilder faszinieren. Der Film ist nicht nur der erste, den die Besucher an diesem Abend sehen, es ist auch der älteste Schatz aus den Beständen des Stadtarchivs. Und noch etwas macht ihn besonders: Er zeigt Innenaufnahmen aus der Sunlicht-Seifenfabrik am Wasserturm. „Vermutlich ist das die älteste aufgezeichnete Fließbandarbeit in Deutschland“, sagt Nieß.

Wertvolle Rollen im Keller

Das wertvolle Filmdokument stammt aus Privatbesitz – wie viele der etwa 450 Filmschätze, für die Nieß im Stadtarchiv verantwortlich ist. Er hofft, dass es noch mehr werden. „Ich bin mir sicher, dass in vielen Kellern historische Perlen schlummern“, sagt er. Wer alte Rollen finde, solle sich beim Institut für Stadtgeschichte melden. Vor allem übelriechende Exemplare seien für das Archiv interessant, sagt Nieß lachend, erklärt aber gleich auch den Hintergrund seiner Bemerkung. „Der Geruch entsteht, wenn sich alternde Zelluloidfilme zersetzen“, sagt Nieß. Aufzuhalten sei der Prozess nicht. Die Lagerung solcher Schätze ist mitunter im wahrsten Wortsinn brandgefährlich, denn das Material ist leicht entflammbar. Umso wichtiger, dass die Filme professionell aufbewahrt werden.
Restaurierung und Digitalisierung sind zeitaufwendig und kostspielig. Zunächst müssen die alten Rollen gewaschen, anschließend Schäden behoben werden. Alles lässt sich jedoch nicht reparieren. „Die schwarzen Streifen, die oft in alten Filmen zu sehen sind, lassen sich nicht entfernen“, erklärt Bert Siegelmann vom Rhein-Neckar Fernsehen. Der Sender transportierte als Partner der Aktion die gezeigten Filme in die digitale Welt.

Auch die dunkle Seite der deutschen Geschichte wird während der cineastischen Zeitreise beleuchtet. Im Propagandafilm „Drei Tage Mannheim“, werden Hakenkreuzflaggen gehisst. Es folgt ein NS-Film zur Volksabstimmung über Adolf Hitler. Beides sind seltene Fundstücke. Aus der Nazizeit besitzt das Archiv kaum Material. „Es herrschte ein striktes Verbot“, erklärt Nieß. Lediglich ein Film aus Kriegszeiten besitze das Archiv, der nicht aus privater Hand stammt. „Ein Lehrfilm der British Royal Air Force, der den Angriff auf Mannheim zeigt – als Beispiel für einen besonders erfolgreichen Schlag“, sagt Nieß. Gar kein Material gäbe es bislang aus der Reichspogromnacht. „Wir hoffen, dass sich ein solches Filmdokument findet.“

Die jüngste Bewegtbildperle am „MM“-Kantinen-Abend ist ein Werbefilm der Stadt Mannheim, aufgenommen vor der Bundesgartenschau 1975. Er zeigt die Entstehung der Parkanlagen, ein Modell der Multihalle, die – laut Sprecher – über ein besonders stabiles Dach verfügen wird sowie die Errichtung des Fernmeldeturms. „Ein weiterer Knüller“, heißt es im Film. Auch der Bau des lange verschrotteten Aerobusses ist dokumentiert. Einerseits wirken die Bilder fremd, andererseits ist das Thema Buga durch die aktuellen Pläne höchst aktuell.

DVDs schnell ausverkauft

Viel Gesprächsstoff für die Besucher. Bei Brezeln und Wein stehen sie bis in den späten Abend im Foyer und sprechen über Mannheim, wie es früher war – und über Filme allgemein. Auch die DVDs zum Abend, die das Stadtarchiv anbietet, sind schnell ausverkauft. Lilo Weber, die mit ihrem Mann aus Frankenthal in die Dudenstraße gekommen ist, ist noch ganz gerührt. „Die Filme erinnern mich an Aufnahmen meines Vaters, die leider beim Umzug aus Mannheim verlorengegangen sind. Ich rate jedem, gut auf solche Schätze aufzupassen. Wenn ich die Rollen noch hätte, würde ich sie ins Archiv bringen. Es ist wichtig, dass solche Zeitdokumente erhalten bleiben.“

Lokales

"Filmschätze retten":"MM"-Kantine – der Abend in voller Länge

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"MM"-Kantine

Historische Filmschätze des Stadtarchivs

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Vorgeführte Werke

  • Stadtjubiläum 1907 als Stummfilm und in vertonter Fassung
  • Süddeutschlandflug und Eröffnung des Flughafens Neuostheim 1926 und Oskar Dimpfels Flugzeugakrobatik
  • „Drei Tage Mannheim“, 1938, Propagandafilm sowie die NS Propaganda zur Abstimmung.
  • Filmclip aus der Eichbaumbrauerei sowie aus der Druckerei und Redaktion des „Mannheimer Morgen“
  • Mannheim im Rhythmus der Zeit“ (Wirtschaftswunder)
  • Fahrt über Planken und Paradeplatz in den 50er Jahren (in Farbe).
  • Werbefilm zur Buga 1975.
  • Die digitalisierten Werke können künftig in der Datenbank des Marchivums angesehen werden. (akd)

Volontariat Anne Kathrin Doerr ist seit Dezember 2015 Volontärin beim "Mannheimer Morgen". Während ihres Studiums der Germanistik, Sozialkunde und Bildungswissenschaften (Staatsexamen) an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und unmittelbar im Anschluss daran arbeitete sie unter anderem bei der Kindernachrichtensendung logo! (ZDF), der Tageszeitung "Die Rheinpfalz", der "Pirmasenser Zeitung" sowie dem Gastromagazin "Espresso" und engagierte sich bei Campusradio Mainz. Als Autorin schrieb sie das "LEO Pfälzer Hüttenbuch", das im März 2016 bei der Pfälzischen Verlagsanstalt erschienen ist. Ein Auszug daraus wurde in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Die Pfalz" gedruckt.

Thema : Filmschätze retten

  • Mannheim Es ging los mit dem Großherzog

    Er trägt Uniform mit Pickelhaube, die Herren um ihn herum Frack und Zylinder – den sie aber flink und ehrerbietig vor ihm ziehen. Schließlich lautet seine Anrede „Königliche Hoheit“. Es ist der Erbgroßherzog Friedrich II. von Baden. Am 1. Mai 1907 kommt er nach Mannheim. Der Film davon sind die ältesten Bewegtbild-Aufnahmen, die es von Mannheim gibt. Sie stellte diese Zeitung im Oktober 2017 vor und begann damit die Serie „Filmschätze retten“. Heute endet sie, und alle Leser können zum Abschluss eine DVD mit historischen Streifen gewinnen. Die Aktion „Filmschätze retten“: hatten Marchivum und Freundeskreis Marchivum gestartet und als Unterstützer dafür diese Zeitung gewonnen. Zunächst ging es um Spenden für die Digitalisierung der rund 500 Filme umfassenden Sammlung. Den alten Rollen drohte das Essigsäure-Syndrom, sie lösen sich also durch chemische Prozesse auf. „Nur wenn der analoge Bestand digitalisiert wird, kann er für künftige Generationen gerettet werden“, so Marchivum-Direktor Ulrich Nieß. 67 500 Euro an Spenden Bis Juli 2018 haben wir jeden Donnerstag unter dem Motto „Filmschätze retten“ historische Aufnahmen aus den Beständen des Marchivum vorgestellt – auf dieser Seite im Kulturteil und im Morgenweb. Wegen der großen Resonanz setzten wir die Serie nach Abschluss der Spendenaktion fort, veränderten aber Ziel und Rhythmus. Ab September 2018 gab es jeweils am ersten Donnerstag im Monat Bilder und Informationen zu einem historischen Film – verbunden mit einem neuen Aufruf des Marchivum. Es bat darum, dass viele Mannheimer ihre privaten Filmschätze dem Marchivum anbieten, damit sie digitalisiert, fürs Archiv erschlossen und (auf Wunsch) zurückgegeben werden. Auf beide Aufrufe gab es sehr viele Reaktionen. Die Spendenaktion erbrachte 67 500 Euro. „Damit haben wir unseren Filmbestand komplett digitalisieren können“, so Désirée Spuhler, der die audiovisuelle Sammlung des Marchivum untersteht. Überwiegend handelte es sich um Stummfilmmaterial. Dazu verfasste dann Julia Scialpi vom Freundeskreis Marchivum Texte für eine Vertonung, die Stadträtin und Freundeskreis-Vorsitzende Helen Heberer als Sprecherin aufnahm. Technische Hilfe bei der Umsetzung leistete Andreas Etzold (RNF). 21 dieser Clips sind nun auch auf DVD verewigt. Aufnahmen vom Krieg, vom Wiederaufbau des zerstörten Mannheim, vom legendären Blumencorso des Einzelhandels 1967, der Tombola für den Wiederaufbau des Nationaltheaters 1957, vom alten Planetarium 1935, von der Überführung des Sargs des Kurfürsten in die Schlosskirche 1957, vom Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer im Rosengarten 1953, vom Autohaus Kannenberg mitten im „Wirtschaftswunder“ 1956, von einer „Zeppelin“-Landung 1930, vom alten Eisstadion Friedrichspark 1938, aber auch seltene Luftaufnahmen von 1926, von Nazi-Propaganda und den bald darauf enteigneten jüdischen Geschäften weckten viele Erinnerungen und zeigten den beeindruckenden Wandel der Stadt. Außer den vielen Geldspenden sind zudem über 100 private Filmspulen abgegeben worden, die nun – digitalisiert – die Marchivum-Bestände bereichern und künftig auch für Ausstellungen verwendet werden können. Nieß spricht daher zufrieden von „einem höchst erfolgreichen Projekt“. Schauen und Staunen „Wir haben allen Spendern zu danken und sind von der Breite der Unterstützung und dem Engagement des „Mannheimer Morgen“ überwältigt“, so Nieß. Der Erfolg der Aktion „Filmschätze retten“ sei dabei „nicht in Geld aufzuwiegen“, betont der Direktor. „Nicht nur, dass die erforderliche Spendensumme für die Digitalisierung der Filme zusammen kam, vielmehr trägt die Aktion zur Identitätsstiftung mit dem Marchivum bei“, freut er sich. „Hier ist der Ort für eine breit aufgestellte audiovisuelle Sammlung, die eindrucksvoll Mannheims Geschichte in Bildern dokumentiert. Das animiert zum Schauen, Staunen, aber auch zur Nachdenklichkeit, wie wir mit unserem historischen Erbe umgehen wollen“, so Ulrich Nieß.

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  • Serie "Filmschätze" (mit Video) Kurt-Schumacher-Brücke: Werk moderner Ingenieurskunst

    Von 1970 stammen die Luftaufnahmen, mit denen wir die Artikelserie „Filmschätze retten“ beschließen. Sie zeigen eindrucksvoll den Bau der Kurt-Schumacher-Brücke, damals zunächst nur „Nordbrücke“ genannt.

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  • Filmschätze (mit Video) Im Galopp durch Seckenheim

    Private Aufnahmen zeigen ein Pferderennen in Seckenheim 1926 und die Rückkehr der siegreichen Reiter in das damals noch selbstständige Dorf.

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