Mannheim. „Film ab!“ für Mannheims ältestes Bewegtbilddokument, hieß es am Donnerstagabend in der ausverkauften Kantine des „Mannheimer Morgen“. Mehr als 200 Gäste waren zu der gut zweistündigen Veranstaltung „Filmschätze retten“ in die Dudenstraße gekommen. Mit Hans-Peter Schwöbel, Christian Ziegler und Joana saßen auch drei Träger des Bloomaulordens im Publikum. Peter W. Ragge, Chefreporter des „Mannheimer Morgen“ führte durch den Abend. Als Experten standen der Direktor des Stadtarchivs, Ulrich Nieß, sowie Bert Siegelmann, Geschäftsführer und Programmdirektor des Rhein-Neckar Fernsehens, auf der Bühne. Sie führten durch die Welt des alten Films und klärten auch über technischen Aspekte auf, etwa, wie eine historische Filmrolle den Weg in die digitale Welt schafft.
Der Abend war Teil der „MM“-Serie „Filmschätze retten“, die immer donnerstags in dieser Zeitung erscheint, und mit der der „MM“ den Förderverein „Freunde des Stadtarchivs“ unterstützt. Zur Digitalisierung seiner beachtlichen Filmsammlung ist der Verein auf Spenden angewiesen.
Alte Innenaufnahmen
Mannheim im Jahr 1907. Erbgroßherzog Friedrich II. ist zu Besuch in der Quadratestadt und eröffnet am Wasserturm die Internationale Kunst- und große Gartenausstellung. Der Rosengarten ist zu diesem Zeitpunkt quasi ein Neubau, gerade einmal sechs Jahre ist er alt. Wirbelnde Zylinder, stolzierende Herren, der Großherzog mit Pickelhaube – die Bilder faszinieren. Der Film ist nicht nur der erste, den die Besucher an diesem Abend sehen, es ist auch der älteste Schatz aus den Beständen des Stadtarchivs. Und noch etwas macht ihn besonders: Er zeigt Innenaufnahmen aus der Sunlicht-Seifenfabrik am Wasserturm. „Vermutlich ist das die älteste aufgezeichnete Fließbandarbeit in Deutschland“, sagt Nieß.
Wertvolle Rollen im Keller
Das wertvolle Filmdokument stammt aus Privatbesitz – wie viele der etwa 450 Filmschätze, für die Nieß im Stadtarchiv verantwortlich ist. Er hofft, dass es noch mehr werden. „Ich bin mir sicher, dass in vielen Kellern historische Perlen schlummern“, sagt er. Wer alte Rollen finde, solle sich beim Institut für Stadtgeschichte melden. Vor allem übelriechende Exemplare seien für das Archiv interessant, sagt Nieß lachend, erklärt aber gleich auch den Hintergrund seiner Bemerkung. „Der Geruch entsteht, wenn sich alternde Zelluloidfilme zersetzen“, sagt Nieß. Aufzuhalten sei der Prozess nicht. Die Lagerung solcher Schätze ist mitunter im wahrsten Wortsinn brandgefährlich, denn das Material ist leicht entflammbar. Umso wichtiger, dass die Filme professionell aufbewahrt werden.
Restaurierung und Digitalisierung sind zeitaufwendig und kostspielig. Zunächst müssen die alten Rollen gewaschen, anschließend Schäden behoben werden. Alles lässt sich jedoch nicht reparieren. „Die schwarzen Streifen, die oft in alten Filmen zu sehen sind, lassen sich nicht entfernen“, erklärt Bert Siegelmann vom Rhein-Neckar Fernsehen. Der Sender transportierte als Partner der Aktion die gezeigten Filme in die digitale Welt.
Auch die dunkle Seite der deutschen Geschichte wird während der cineastischen Zeitreise beleuchtet. Im Propagandafilm „Drei Tage Mannheim“, werden Hakenkreuzflaggen gehisst. Es folgt ein NS-Film zur Volksabstimmung über Adolf Hitler. Beides sind seltene Fundstücke. Aus der Nazizeit besitzt das Archiv kaum Material. „Es herrschte ein striktes Verbot“, erklärt Nieß. Lediglich ein Film aus Kriegszeiten besitze das Archiv, der nicht aus privater Hand stammt. „Ein Lehrfilm der British Royal Air Force, der den Angriff auf Mannheim zeigt – als Beispiel für einen besonders erfolgreichen Schlag“, sagt Nieß. Gar kein Material gäbe es bislang aus der Reichspogromnacht. „Wir hoffen, dass sich ein solches Filmdokument findet.“
Die jüngste Bewegtbildperle am „MM“-Kantinen-Abend ist ein Werbefilm der Stadt Mannheim, aufgenommen vor der Bundesgartenschau 1975. Er zeigt die Entstehung der Parkanlagen, ein Modell der Multihalle, die – laut Sprecher – über ein besonders stabiles Dach verfügen wird sowie die Errichtung des Fernmeldeturms. „Ein weiterer Knüller“, heißt es im Film. Auch der Bau des lange verschrotteten Aerobusses ist dokumentiert. Einerseits wirken die Bilder fremd, andererseits ist das Thema Buga durch die aktuellen Pläne höchst aktuell.
DVDs schnell ausverkauft
Viel Gesprächsstoff für die Besucher. Bei Brezeln und Wein stehen sie bis in den späten Abend im Foyer und sprechen über Mannheim, wie es früher war – und über Filme allgemein. Auch die DVDs zum Abend, die das Stadtarchiv anbietet, sind schnell ausverkauft. Lilo Weber, die mit ihrem Mann aus Frankenthal in die Dudenstraße gekommen ist, ist noch ganz gerührt. „Die Filme erinnern mich an Aufnahmen meines Vaters, die leider beim Umzug aus Mannheim verlorengegangen sind. Ich rate jedem, gut auf solche Schätze aufzupassen. Wenn ich die Rollen noch hätte, würde ich sie ins Archiv bringen. Es ist wichtig, dass solche Zeitdokumente erhalten bleiben.“
Vorgeführte Werke
- Stadtjubiläum 1907 als Stummfilm und in vertonter Fassung
- Süddeutschlandflug und Eröffnung des Flughafens Neuostheim 1926 und Oskar Dimpfels Flugzeugakrobatik
- „Drei Tage Mannheim“, 1938, Propagandafilm sowie die NS Propaganda zur Abstimmung.
- Filmclip aus der Eichbaumbrauerei sowie aus der Druckerei und Redaktion des „Mannheimer Morgen“
- „Mannheim im Rhythmus der Zeit“ (Wirtschaftswunder)
- Fahrt über Planken und Paradeplatz in den 50er Jahren (in Farbe).
- Werbefilm zur Buga 1975.
- Die digitalisierten Werke können künftig in der Datenbank des Marchivums angesehen werden. (akd)
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