Kultur - Vor der Alten Feuerwache geht das erste offizielle Konzert des Jahres über die Bühne / Publikum und Musikerin Henny Herz gleichermaßen euphorisch

Konzert vor der Alten Feuerwache Mannheim: „Wie Erwachen aus einem Winterschlaf“

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Markus Mertens
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100 Gäste durften vor der Alten Feuerwache erstmals mit Abstand, aber ohne Maske wieder Live-Kultur erleben – und genossen jede Sekunde. © Markus Mertens

Mannheim. Der Weg zum konzertanten Glück führt an diesem Abend über einen Maßnahmen-Marathon. Denn wer unter den 100 Erwählten sein will, die vor der Alten Feuerwache dabei sind, als am Freitag das erste offizielle Konzert des Jahres 2021 in der Stadt über die Bühne geht, hat Schritte zu absolvieren, die vor der Corona-Pandemie kaum denkbar gewesen wären.

Sommer-Kulturprogramm der Alten Feuerwache

  • Der Abend mit Henny Herz an der Alten Feuerwache war nach Veranstalter-Angaben das erste offizielle Mannheimer Konzert 2021.
  • Insgesamt waren 100 Gäste anwesend, die Tische (mit Abstand) standen nur für maximal fünf Personen aus zwei Haushalten zur Verfügung. Zutritt hatten Getestete, Genesene oder Geimpfte.
  • Die Alte Feuerwache plant auch in den kommenden Wochen ein kostenfreies Sommer-Kulturprogramm, bei dem Gäste ausgewählte Künstler auf der Freifläche des Biergartens erleben können.
  • Das nächste Konzert mit Julian Maier-Hauff und seiner „Küchencombo“ findet am Freitag, 4. Juni, um 19 Uhr statt.
  • Ein Besuch ist nur nach zuvor bestätigter Registrierung unter der E-Mail anmeldung@altefeuerwache.com möglich. 

Nach schriftlicher Anmeldung und entsprechender Bestätigung stehen die handverlesenen Besucher mit Atemschutzmasken vor einem Einlasszelt, lassen ihre Namen abhaken und registrieren sich vollkommen beschwerdefrei über die Luca-App für ihren Besuch. Wie selbstverständlich zücken die glücklichen 100 ihre aktuellen Testbescheinigungen – oder absolvieren wahlweise einen Test vor Ort – um Minuten später begreifen zu dürfen, dass sie in einer Zeit angekommen sind, in der negative Ergebnisse positive Konsequenzen haben.

„Vieles fühlt sich noch fast unwirklich an. Es ist schwer zu glauben, dass es wirklich wieder losgehen darf“, stellt auch Feuerwachen-Chef Sören Gerhold im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“ klar – und macht dabei keinen Hehl daraus, wie viel Kraft die Zeit der Lockdowns sein Team gekostet hat. Um das Verhältnis zur eigenen Materie nicht zu verlieren, so erzählt Gerhold, habe man Ton- und Lichttechniker im eigenen Haus ganze Demo-Shows spielen lassen. Dass dabei weder Künstler noch Publikum zugegen waren, saß wie ein tiefer Stachel in der Seele kulturhungriger Kreativer.

Erstmals seit November-Lockdown

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Da mag an diesem Abend der Psychedelic Pop von Nicholas Stampf, Henny Herz und Tobias Schmid noch so feingliedrig daherkommen: Zumindest für diese 60 Minuten scheint die Forderung nach einer sinnvollen Öffnung, der die Kulturgesichter 0621 über Monate hinweg Ausdruck verliehen hatten, Realität zu werden. Das gigantische Transparent, das auch an diesem Abend unübersehbar an der Feuerwachen-Fassade prangt, wird zur Reminiszenz an Zeiten, die endlich überwunden sein könnten.

Unbeschwerte Momente

Zumindest in dieser guten Stunde Musik erweckt es den Anschein, als habe die Abstinenz auf eine verquere Art und Weise doch ihren Sinn gehabt. Sören Gerhold sagt dazu fast schon bewundernd: „Die Leute erdulden alles, sind so geduldig und zuvorkommend. Das ist kaum zu begreifen.“

In der Tat ist die Wertschätzung für den Augenblick mit Händen zu greifen. Da mögen die Stühle auf Mindestabstand gestellt und die Besucherzahl pro Tisch auf fünf Personen aus zwei Haushalten begrenzt sein: Wer sich nach Monaten sozialer Zurückhaltung wieder ungezwungen maskenfrei zu Bier und guten Gesprächen verabreden darf, um am ersten Sonnentag seit Wochen musikalisch verzaubert zu werden, kostet von einer Unbeschwertheit, die keine Grenzen kennt.

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Die Musikerin des Abends, Henny Herz, wird dieses Erlebnis am Ende ihres Sets als „Erwachen aus einem Winterschlaf“ bezeichnen – für die Gäste selbst ist es schlichtweg die pure Euphorie. „Nicht mehr auf Konzerte gehen zu dürfen, diese Atmosphäre nicht mehr zu fühlen, die Menschen nicht mehr zu sehen – das war Verzicht“, gesteht Gast Peik Nitschke dem „MM“. Zwar hat der Musik-Fan den einen oder anderen Anlauf unternommen, sich Konzert-Streams über das Internet zu Hause anzusehen. „Aber das ist einfach nicht das Gleiche. Du kannst niemandem ernsthaft Beifall spenden, sitzt letztlich allein auf der Couch. Es bleibt ein einsamer Genuss“, so der Mannheimer. Nun wieder den Vorzug genießen zu dürfen, bei mutig programmierten Konzerten den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, musikalisches Neuland zu betreten und dabei positiv überrascht zu werden, sei ein absolutes Geschenk: „Ich sage es Ihnen, wie es ist: Diese Künstler heute hier auf der Bühne sehen zu dürfen, hat mir mehr gegeben, als eine Aufzeichnung von Peter Gabriel online zu sehen.“

Es sind Komplimente wie diese, für die Sören Gerhold und sein Team Anstrengungen unternehmen, die das Publikum auch lange nach dem letzten Akkord in den Stühlen halten, bis die Wolken die Sonne verschlucken. Ankündigungen wie diese werden in solchen Augenblicken fast schon zum Versprechen: „Das heute und hier war erst der Anfang!“

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