Mannheim. Die großen Gemeinderatsfraktionen Grüne, SPD und CDU sehen sich durch die Ergebnisse des Bürgerbarometers bestätigt und wollen die Ausweitung der Fußgängerzonen in der Innenstadt möglichst zügig angehen. Vertreter des Handels sind ebenfalls offen für solche Pläne – sie pochen aber darauf, dass die Innenstadt auch künftig mit dem Auto gut erreichbar bleiben muss. Wir haben Beteiligte gefragt, wie es jetzt weitergehen soll.
Elektro-Tretroller ohne Bedeutung
- Öffentliche Verkehrsmittel (46 Prozent), gefolgt von Auto (27) und Fahrrad (15) – so kommen die Mannheimer laut „MM“-Bürgerbarometer in die Innenstadt. Je nach Alter gibt es allerdings Unterschiede.
- Mit jeweils 64 Prozent haben Busse und Bahnen die höchsten Anteile bei den Jüngsten und bei den Ältesten: also bei der Gruppe der 16- bis 29-Jährigen und bei den Über-70-Jährigen. Der Grund laut Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen, die das Bürgerbarometer erhoben hat: Bei den Jungen hätten überdurchschnittlich viele kein Auto, bei den Älteren dagegen wollten viele nicht mehr fahren.
- Auch der Stadtteil, aus dem ein Bürger kommt, ist natürlich relevant für seine Wahl des Verkehrsmittels. So ist es wenig überraschend, dass bei denjenigen, die zentrumsnah wohnen, der Rad- oder der „Zu Fuß“-Anteil höher ist. Der Anteil derer, die Busse und Bahnen wählen, ist in den nördlichen Stadtteilen Sandhofen, Schönau und Waldhof mit 63 Prozent am größten. Jung macht dafür die Sozialstruktur verantwortlich: In diesen Stadtteilen lebten auch viele Menschen, die sich kein Auto leisten könnten. Bei anderen entfernter liegenden Stadtteilen wie Feudenheim, Vogelstang oder Wallstadt dagegen sei der Anteil der Autonutzer mit 35 Prozent hoch.
- Den Elektro-Tretroller hat von den 1022 Befragten übrigens kein Einziger als Mittel für den Weg in die Stadt genannt. Für Jung ist das wenig überraschend. „Man bräuchte tausende von diesen Rollern, um eine nennenswerte Menschenmenge sinnvoll zu transportieren.“
Der Handel
Die Werbegemeinschaft City hält die zuletzt vorgelegten Ausweitungs-Vorschläge „für absolut interessant und spannend“, wie ihr Vorsitzender Lutz Pauels betont. „Es ist auch unser Ziel, die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt deutlich zu verbessern.“ Er warnt jedoch „vor Schnellschüssen, gerade in der jetzigen Verkehrssituation. Wir benötigen dringend für das kommende Jahr eine Verkehrssimulation von Fachexperten, wie sich solche Veränderungen auf alle Beteiligten auswirken werden.“ Es könne nicht sein, dass der Verkehr auf die jetzt schon überlasteten Ringe gedrängt werde.
Eine komplett autofreie City hält die Werbegemeinschaft „weder für sinnvoll noch für machbar“. Aus Sicht des Handelsverbands Nordbaden könne man über eine Ausweitung der Fußgängerzone grundsätzlich nachdenken, so Geschäftsführer Swen Rubel. „Wichtig ist aber, dass die Erreichbarkeit der City und ihrer Parkhäuser nicht leidet.“ Eine aktuelle Kundenumfrage belege, dass für 87 Prozent der Kunden die gute Erreichbarkeit einer Stadt heute wichtiger sei als die Attraktivität des Warenangebots. „Wir erwarten von der Politik deshalb eine wissenschaftlich begleitete Verkehrsuntersuchung.“ Die müsse belegen, dass eine solche Teilsperrung sinnvoll realisierbar sei, ohne die innere Erreichbarkeit der City zu verschlechtern.
Die Politik
Unter dem Titel „Neue Innenstadt“ hatte die CDU-Fraktion die Ausweitung der Fußgängerzone auf Teile von Kunststraße und Fressgasse jüngst unter anderem mit einem Werbevideo ins Gespräch gebracht. Die Christdemokraten sehen sich durch das Bürgerbarometer bestätigt. „Wir erwarten, dass der Gemeinderat Planungsmittel für 2020 und für die Folgejahre Investitionsmittel vorsieht für die Umsetzung unserer Vorschläge“, sagt Fraktionschef Claudius Kranz. „Die Planung sollte nächstes Jahr angegangen und beschlossen werden, nicht ohne Szenarien zu prüfen und einen Verkehrsversuch zu unternehmen.“
Auch die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Isabel Cademartori, betont, dass die Sozialdemokraten bereits in zwei Anträgen konkrete Vorschläge für eine höhere Aufenthaltsqualität in der City gemacht hätten: die Sperrung der Durchfahrt in der Kunststraße und Fressgasse sowie eine Begrünung von Parkplatzflächen. „Schön, dass eine breite Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unsere Vorschläge unterstützt. Uns ist wichtig, möglichst schnell konkrete Vorschläge umzusetzen.“
Die Grünen dagegen wollen noch einen Schritt weiter gehen und streben „eine autofreie Innenstadt bis 2030“ an. Das sagt die Fraktionsvorsitzende Melis Sekmen. Im kommenden Haushalt werde sich ihre Fraktion für einen Stufenplan und die nötigen Planungsmittel einsetzen. Sekmen betont, ihre Partei habe bereits 1995 erste Pläne für eine Ausweitung der Fußgängerzone vorgelegt. Die Grünen-Fraktionschefin weiß, dass die Erreichbarkeit der Innenstadt ein „wichtiger Faktor für den lokalen Handel“ sei. Deshalb müssten „attraktive Möglichkeiten geschaffen werden, wie die Innenstadt ohne Auto zu erreichen ist“ – etwa durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und bessere Radwegverbindungen.
Die Freien Wähler/Mannheimer Liste können sich nach Angaben ihres Fraktionsvorsitzenden Achim Weizel „eine Reduzierung der Individualverkehre“ in der Innenstadt sehr gut vorstellen – solange es „Zufahrtsmöglichkeiten für Anwohnerschaft und Geschäfte“ gebe.
Für eine „umfassende Verkehrswende in der Metropolregion“ macht sich die Fraktion LI.PAR.Tie. laut ihrem Fraktionschef Thomas Trüper stark. Dabei sei die Mannheimer Innenstadt „als eine mit guten Alternativangeboten ausgestattete autofreie Zone ein tragender Bestandteil“.
Die AfD-Fraktion sieht im Moment keinen Grund, über die Ausweitung der Fußgängerzone nachzudenken. Fraktionschef Bernd Siegholt betont, man sei bis zu einer Lösung der derzeitigen – auch durch die Sperrung der Hochstraße bedingten – schwierigen Verkehrssituation in Mannheim „gegen jedwede Veränderung zum Nachteil der derzeitigen Fahrmöglichkeiten des Individualverkehrs“.
Ähnlich argumentiert auch Birgit Reinemund für die FDP: „Mittel- bis langfristig“ sähen die Liberalen durchaus eine Chance, die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt durch eine Ausweitung der Fußgängerzone zu verbessern. „Allerdings ist der jetzige Zeitpunkt mit dem Verkehrschaos über die Rheinbrücken und den Sperrungen auf der Stadteinfahrt B 38 nicht der geschickteste Zeitpunkt für einen weiteren Verkehrsversuch.“
Die Stadtverwaltung
Mit Blick auf die bisherige Arbeit der Stadtverwaltung und die aktuellen Zahlen des Bürgerbarometers bewertet es Bau- und Verkehrsdezernent Lothar Quast als „Zukunftsaufgabe, in Mannheim einen noch lebenswerteren öffentlichen Raum zu schaffen, der den Menschen im Mittelpunkt hat und nicht mehr das Auto“. Beim anstehenden Masterplan Mobilität 2035 – er soll ein Verkehrskonzept für ganz Mannheim liefern – gehe es unter anderem auch um eine faire Verteilung der Flächen im öffentlichen Raum zwischen den Verkehrsarten sowie um eine Steigerung der Aufenthaltsqualität.
Die Frage nach einer Ausweitung der Fußgängerzone etwa will die Stadt laut Quast in den nächsten Monaten mit Vorrang bearbeiten.