Romy kann entspannt in die Kamera lächeln: Die 18-Jährige, die ihren Familiennamen nicht in den Medien lesen will, hat nach vielen Absagen auf ihre vor Monaten verschickten Bewerbungen für eine Ausbildung zur Büromanagement-Kauffrau doch noch im Juni die Einladung zu einem Gruppen-Vorstellungsgespräch bekommen und dabei überzeugt. Ihre (Wunsch-)Lehre startet am 1. September. Aber nicht alle, die mit ihr eine Klasse zur „Ausbildungsvorbereitung dual“ besuchten, haben die Hürde in ein qualifiziertes Berufsleben geschafft – auch weil wegen Corona Betriebspraktika nicht zustande kamen.
Das Ausbildungsprojekt
- Die Justus-von-Liebig-Schule wendet sich mit Klassen der „Berufsorientierung“ an Jugendliche, die noch keinen Ausbildungsplatz oder keinen Hauptschulabschluss haben.
- Das Modellprojekt „Ausbildungsvorbereitung dual“ wird vom Land gefördert und von der Stadt Mannheim gemeinsam mit Kooperationspartnern unterstützt.
- Insgesamt 410 Millionen Euro sieht das am 24. Juni verabschiedete Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ vor. Erste Förderrichtlinien regeln Details für Zuschüsse.
„Damit brachen für unsere Jugendlichen wichtige Chancen weg“, kommentiert Barbara Stanger vom Leitungsteam des Förderbandes, das sich seit vier Jahrzehnten beim Übergang von der Schule in eine betriebliche Ausbildung engagiert. Die erfahrene Psychologin weiß nur zu gut, dass Bewerbungen mit mäßigen bis miserablen Zeugnisnoten häufig aussortiert werden. Die Erfahrung zeigt aber auch: Junge Menschen, die als „marktbenachteiligt“ gelten, können bei Praktika punkten – insbesondere, wenn Unterstützer zur Seite stehen.
Vertrauensverhältnis aufbauen
Sozialpädagogin Carolin Schneider gehört zum Team des Förderbandes in D 4, hat aber ihr Büro in der Justus-von-Liebig-Schule, um als „AVdual“-Begleiterin ihren Schützlingen ganz nah zu sein – „wichtig ist, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen“. Zu ihren Aufgaben gehört, mit Jugendlichen herauszufinden, wo ihre Stärken liegen, was überhaupt realistisch ist. So manche junge Männer, die viel Zeit mit Computerspielen oder im Internet verbringen, träumen von einer Ausbildung zum IT-System-Kaufmann. „Aber mit einer schlechten Note in Mathe ist das einfach nicht drin.“ Und auch Mädchen, die unbedingt Kauffrau für Büromanagement werden möchten, muss die Sozialpädagogin klar machen, dass dies bei einer schwachen (Zeugnis-)Vier im Fach Deutsch nicht hinhaut.
Romy gehört zu jenen, die ihre Wunsch-Lehrstelle bekommen haben. Wenngleich im zweiten Anlauf. Als sie 2018 den Werkrealschulabschluss schaffte, bekam sie danach nur Absagen. Sie jobbte und meldete sich ein Jahr später zur dualen Ausbildungsvorbereitung in der „Justus“ an. Mit ihrer Begleiterin Carolin Schneider hat sie im November und Dezember erneut Bewerbungen geschrieben – aber diesmal professioneller.
Außerdem schrieb Romy deutlich mehr Betriebe an: über 40 in Mannheim und Umgebung. Sie erhielt erneut Absagen. Und bei fünf Vorstellungsgesprächen hat es nicht geklappt. Obendrein kamen Corona und Lockdown. Barbara Stanger: „Viele unserer Jugendlichen hingen in der Luft.“ Denn bis Mitte März hatten sich keineswegs alle ausbildungsbereiten Firmen entschieden. Auch Romy bekam erst im Juni Post von einem großen Sanitätshaus, das sie mit anderen Bewerbern einlud. Vor der Gesprächsrunde sei sie „extrem aufgeregt gewesen“, blickt Romy zurück.
Selbstbewusstsein stärken
Sozialpädagogin Schneider hat die 18-Jährige intensiv auf die Vorstellungsrunde vorbereitet und ihr vermittelt: „Ich weiß, Du kannst das!“ Mit ihren Jugendlichen studiert die „AVdual“-Begleiterin weder Rollen noch Formulierungen ein. „Ich stärke Selbstbewusstsein und ermutige, sich selbst zu bleiben.“ Schließlich weiß die Sozialpädagogin: Wer etwas Einstudiertes abspult, hat später Probleme, die Probezeit zu überstehen. Gleichwohl übt die Sozialpädagogin, wie man sich in einem Vorstellungsgespräch verhält. Denn manche versuchen, mit „coolen Sprüchen“ ihre Untersicherheit zu verbergen, während andere vor Nervosität kaum ein Wort herausbringen. Überhaupt umfasst eine „AVdual“-Begleitung mehr als berufliche Orientierungshilfe und Lernunterstützung.
Jugendliche zu motivieren, auch nach Rückschlägen nicht aufzugeben, sich keiner Lethargie hinzugeben – auch das gehört dazu. Und deshalb übernimmt Carolin Schneider auch schon mal bei Praktika oder Vorstellungsgesprächen Telefon-Weckdienste, wenn sie weiß, dass sich niemand darum kümmert, dass ein Jugendlicher rechtzeitig aus dem Bett kommt.
Und was hätte Romy gemacht, wenn es bei ihr nicht geklappt hätte? „Ich wäre mit Frau Schneider in Kontakt geblieben, hätte meinen Minijob weitergeführt und es nächstes Jahr noch mal versucht.“ Aber nicht alle haben solch ein Durchhaltevermögen. Deshalb will das Förderband für jeden etwas Passenden finden – und dies zeitnah, „damit niemand wegrutscht“.
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Lehre als Chance