Interview

Belgischer Botschafter in Mannheim: „Angst ist ein schlechter Berater“

Der belgische Botschafter Piet Heirbaut spricht bei seinem Besuch in Mannheim über persönliche und bilaterale Erfahrungen zwischen Belgien und Deutschland, Föderalismus, Migration und die europäische Sicherheitslage.

Von 
Miriam Scharlibbe
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Der belgische Botschafter in Deutschland Piet Heirbaut trägt sich ins goldene Buch der Stadt Mannheim ein. Hinter ihm stehen Oberbürgermeister Christian Specht (links), Claudius Kranz (CDU) und der französische Honorarkonsul Folker R. Zöller. © PIX-Sportfotos

Mannheim. Herr Botschafter, was ist Ihr erster Eindruck von Mannheim?

Piet Heirbaut: Ich habe den Eindruck durch eine Stadt zu laufen, die stolz auf ihre Geschichte ist. Gerade in der Innenstadt fühlt man eine Präsenz der Menschen. Das ist sehr angenehm.

Sie haben als Botschafter viele Ecken von Deutschland kennengelernt, aber auch schon als Kind Urlaub in der Bundesrepublik gemacht und später in Würzburg studiert. Gibt es einen Teil von Deutschland, der Belgien besonders ähnlich ist?

Heirbaut: Das ist eine gute Frage, aber nicht so einfach zu beantworten. Viele Belgier haben enge Beziehungen zu Deutschland. Wir kennen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vielleicht am besten durch die direkte Nähe zur Grenze, aber viele Belgier fahren im Urlaub auch nach Bayern, nach Baden-Württemberg, in den Schwarzwald. Gestern sind wir von Heilbronn aus Richtung Mannheim gefahren. Diese Region hat viele schöne Ecken. Wir Belgier schätzen Deutschland und die Vielfalt sehr.

Nehmen Sie die gleiche Wertschätzung in umgekehrter Richtung wahr?

Heirbaut: Eigentlich schon. Wir sind kleiner. Nicht alle Deutschen kennen Belgien, aber viele Deutsche kennen Belgien schon ganz gut, die belgische Küste zum Beispiel, weil es für manche näher ist als die deutsche Ostsee.

Gibt es ein Klischee oder Vorurteil gegenüber Belgien, das Ihnen in Deutschland immer wieder begegnet und Sie gerne ein für alle Mal ausräumen möchten?

Heirbaut: Es gibt Klischees, aber die sind eigentlich sympathisch. Dass wir den ganzen Tag Waffeln und Schokolade essen zum Beispiel. Ein Vorurteil, das ich ein bisschen erklären möchte, ist, dass Belgien sehr kompliziert sei. Das ist eigentlich nicht so. Wir sind da nicht viel anders aufgebaut als Deutschland, in dem Sinne, dass auch wir dezentral organisiert sind und daher alle zusammenarbeiten müssen, um Lösungen zu finden.

In Deutschland gibt es aktuell aber auch viel Kritik am Föderalismus, weil beispielsweise Kommunen Gesetze umsetzen müssen, die auf Bundesebene beschlossen worden sind, dafür aber keine ausreichenden finanziellen Mittel bekommen. Funktioniert das in Belgien besser? Haben Sie einen Tipp für uns?

Heirbaut: Ich glaube, dass es immer zwischen lokaler, regionaler und nationaler Ebene eine Dynamik gibt, auch im Bereich der Finanzen. Ich kann mir vorstellen, dass das auch in Deutschland Herausforderungen mit sich bringt. Bei uns in Belgien sind zum Beispiel die Regionen zuständig für die lokalen Behörden. Das heißt, dass dann in diesem Haushalt oft auch die Finanzen der Kommunen entschieden werden.

Ein Merkmal Ihres Landes ist, dass Menschen unterschiedlicher Muttersprachen zusammenleben. In Deutschland ist die Debatte um Migrationspolitik neu entbrannt, eigentlich in ganz Europa. Wird diese Debatte in der gleichen Heftigkeit auch in Belgien geführt?

Heirbaut: Migration ist eine Chance, aber zugleich auch eine Herausforderung. Belgien und Deutschland sind in einer ähnlichen Lage, weil beide Zielländer sind. Das bedeutet, dass viele Menschen gerne in Belgien oder Deutschland leben möchten. Vieles hängt davon ab, wie schnell und gut Menschen die neue Sprache lernen. Da haben wir vielleicht einen Vorteil, weil Französisch schon in einem Teil der Welt gesprochen wird, Niederländisch ein bisschen weniger. Aber ja, Integration ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Wir versuchen durch europäische Zusammenarbeit, die Lage für alle zu verbessern. GEAS, das gemeinsame Asyl- und Migrationssystem, ist jetzt entschieden, aber wir müssen das noch umsetzen. Das braucht Zeit, von der wir nicht so viel haben.

In gewisser Art und Weise ist es Ihr Beruf, unterschiedliche Sprachen, Nationen grenzübergreifend zusammenzubringen, Gemeinsamkeiten zu betonen, Freundschaften zu gestalten. Ist das schwieriger geworden in einer Zeit, in der wir verstärkt über Abgrenzung sprechen, über Unterschiede?

Heirbaut: Ich denke, dass es gerade jetzt wichtig ist, dass wir diese Gespräche führen können, nicht nur mit unseren Freunden, auch mit anderen Staaten. Wir müssen neue Partnerschaften suchen, auch auf anderen Kontinenten. Es verändert sich viel geopolitisch. Aber wir hatten auch schon Herausforderungen ähnlicher Art.

Woran denken Sie da?

Heirbaut: In den 60er- und 70er Jahren zum Beispiel, als es in Europa eine Trennung gab. Auch das haben wir überwunden. Jetzt steht ein vereintes Europa einem sehr aggressiven Russland gegenüber. Das ist sehr schwierig für alle. Deswegen haben wir auch eine neue Stärkung der Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung, in der NATO, aber auch in der Europäischen Union.

Haben wir gerade wirklich ein vereintes Europa, das in der Lage ist, sich gegen ein aggressives Russland zu stellen?

Heirbaut: Das sind zwei Fragen. Ja, wir haben ein vereintes Europa, ohne Zweifel. Dafür, dass es in der Lage ist, sich zu verteidigen, müssen wir noch etwas tun. Europa hat keine Tradition im Umgang mit Aggressoren, aber Europa muss sich jetzt vorbereiten, um sich verteidigen zu können. Wir brauchen allerdings nicht nur mehr Rüstung, wir brauchen auch ein neues Denken. Wir müssen uns vorbereiten auf eine Unsicherheit, an die wir nicht gewöhnt sind.

In Deutschland ist dieses Umdenken eine große Herausforderung. Kaum jemand hat damit gerechnet, nochmal über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutieren zu müssen. Wir haben gerade in dieser Woche beim Mannheimer Wirtschaftsforum über „Dual Use“ gesprochen, also über Güter und Forschungsergebnisse, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, was aktuell noch erschwert wird. Ist es in Belgien ähnlich, oder fällt die Veränderung dort leichter?

Heirbaut: Die Lage ist eigentlich sehr ähnlich. Auch in Belgien hatten wir einst die Hoffnung, dass mit dem Fall der Mauer Jahrhunderte von Frieden kommen würden. Das ist nicht eingetreten. Vielleicht ist das für uns alle ein Weckruf. Wir brauchen aber auch Zeit, um uns neu zu organisieren und an diese neue Gefahrenlage anzupassen – in Belgien wie in Deutschland.

In beiden Ländern gibt es aktuell immer wieder Sichtungen von Drohnen, in Belgien zuletzt über einem Kernkraftwerk in der Nähe von Antwerpen …

Heirbaut: Das stimmt, auch nahe den Flughäfen in Brüssel und Lüttich wurden Drohnen gesichtet. Der nationale Sicherheitsrat ist deswegen zusammengekommen und hat bereits Maßnahmen angekündigt, die zum Beispiel das National Air Security Center stärken sollen. Außerdem wird es eine engere Zusammenarbeit zwischen allen Behörden geben, Verteidigungsministerium und Armee, aber auch Innenministerium und Polizei. Ein bisschen wie in Deutschland. Und ich möchte betonen, dass wir sehr schnell Hilfe angeboten bekommen haben von unseren Nachbarländern. Als Erstes aus Deutschland.

Hilfe in welcher Form?

Heirbaut: Um sich bei der Abwehr der Drohnen gemeinsam zu organisieren.

Belgischer Botschafter

  • Piet Heirbaut (54) ist seit Dezember 2024 Botschafter des belgischen Königreiches in Deutschland
  • Bei seinem ersten Besuch in Mannheim trug sich Heirbaut ins Goldene Buch der Stadt ein, besuchte Wirtschaftsunternehmen und diskutierte mit Vertretern aus Politik und Gesellschaft über bilaterale Zusammenarbeit und Herausforderungen für die Zukunft.
  • Initiiert wurde der Besuch vom Mannheimer Salon Diplomatique durch den ansässigen Honorarkonsul der Republik Frankreich, Folker R. Zöller.
  • Der Mannheimer Salon Diplomatique steht in der Tradition der Salonkultur , die – ausgehend aus Frankreich – in den europäischen Metropolen des 17. und 18. Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebte. In diesen Salons trafen sich Adlige, gebildetes Bürgertum, Politiker, Wissenschaftler und Künstler, um den Diskurs in geistreicher Gesellschaft zu kultivieren.
  • Der Mannheimer Verein will diese Kultur nach eigenen Aussagen pflegen und fortsetzen, in dem er völkerübergreifende Freundschaft und Toleranz fördert und verschiedene Akteure um einen Tisch versammelt. ms

Belgien ist ein vergleichsweise kleines Land in einer Welt, in der gerade vor allem Großmächte immer stärker werden. Wie geht ihre Heimat mit dieser Bedrohungslage um?

Heirbaut: Ach, was ist klein, was ist groß? Wir sind daran gewohnt, dass wir keine Großmacht sind. Aber wir sind auch Mitglied der EU und der NATO. Die Welt ist anders organisiert als vor 50 Jahren. Wir fühlen uns nicht unsicher, aber wir verstehen, dass wir mit unseren engen Partnern noch enger zusammenarbeiten müssen. Unser Premierminister hat das auch angesprochen in seiner Rede in New York im September. Dass für uns die multilaterale, auf Regeln basierte Weltordnung sehr wichtig ist. Diese müssen wir schützen und weiter stärken. Das gilt aber nicht nur für Belgien. Es gibt viele Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, die diese Herausforderung haben. Eigentlich alle, innerhalb von Europa. Als kleinerer Staat können wir uns vielleicht ein bisschen einfacher anpassen, weil wir wissen, dass wir diese Zusammenarbeit brauchen. Das ist nicht Neues für uns, aber trotzdem eine Herausforderung. Aber Angst vor der Zukunft haben wir nicht.

Es gibt aber auch Staaten, die kritisieren, dass so ein kleines Land bei wichtigen Entscheidungen auf der EU-Ebene das Zünglein an der Waage sein kann. Ist diese Kritik berechtigt?

Heirbaut: Es gibt schon Diskussionen innerhalb der Union. Aber wir haben gesehen, dass die Länder am Ende in der Lage sind, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Das war schon bei Krisen in der Vergangenheit so, in der Finanzkrise, jetzt auch beim Angriffskrieg auf die Ukraine. Man kann zu Entscheidungen kommen. Man braucht vielleicht ein bisschen mehr Zeit, aber es geht.

Die weltpolitische Lage wird gerade vor allem durch einen Mann bestimmt: Donald Trump. In Belgien wird jetzt eine neue rechtspopulistische frankophone Partei gegründet, die nach dem US-Präsidenten benannt ist. TRUMP – ein Akronym für Tous Réunis pour l‘Union des Mouvements Populistes („Alle vereint für die Union der populistischen Bewegungen“) – ist ein Nachfolger der inzwischen aufgelösten politischen Bewegung Chez Nous und der alten belgischen Partei Front National. Gründer der neuen Partei ist Salvatore Nicotra, der ehemalige Vorsitzende des belgischen Front National. Wie wird eine belgische Trump-Partei die Gesellschaft verändern?

Heirbaut: Die Ankündigung dieser neuen Partei habe ich kürzlich in den Medien vernommen. Ich bin mit ihren Standpunkten oder ihrem Programm nicht vertraut. Die Freiheit, politische Parteien zu gründen, fällt unter die Vereinigungsfreiheit, ein Grundrecht, das in der belgischen Verfassung verankert ist. Parteien müssen auf jeden Fall die grundlegenden demokratischen Prinzipien respektieren.

Ihre Aufgabe als Botschafter ist es, mit allen Menschen zu reden, ganz gleich welcher politischen Richtung, sie sich zugehörig fühlen. Wird das schwieriger? Gibt es da Grenzen für Sie?

Heirbaut: Es gibt immer Grenzen, aber ich kann nicht sagen, dass es schwieriger wird. Man muss sich die Zeit nehmen, komplexe Themen im Gespräch zu klären. Ich habe nicht so viel persönliche Erfahrung mit Radikalisierung in meinem eigenen Umfeld. Aber diese Herausforderung gibt es überall. Darum sind Gespräche, eine freie Presse und der Zugang zu Nachrichten sehr wichtig.

Sie haben gesagt, sie hätten keine Angst vor der Zukunft. Was gibt Ihnen Hoffnung?

Heirbaut: Hoffnung gibt es, weil wir innerhalb der EU, innerhalb der NATO, innerhalb der Vereinten Nationen vieles zusammen schaffen. Das ist nicht immer einfach, aber wenn man sich das mal genauer anschaut, dann sieht man, dass es vorangeht. Ich bin davon überzeugt, dass wir das noch weiterentwickeln werden, wenn wir alle zusammenarbeiten. An vielen Stellen sehen wir das bereits. Deutschland und Belgien arbeiten sehr eng zusammen im Bereich der Energie- und Gaslieferungen. Besonders seit der Ukraine-Krise. Aber wir entwickeln auch die Infrastruktur für Strom im Osten Deutschlands und arbeiten an gemeinsamen wissenschaftlichen Projekten, wie dem Einstein-Teleskop. Wir haben ein Sprichwort auf Niederländisch, das sagt, Angst ist ein schlechter Berater. Wir müssen keine Angst vor der Zukunft haben. Wir müssen die Zukunft zusammen gestalten. Das ist unsere Aufgabe. Das ist unsere Möglichkeit. Und ich habe große Hoffnung, dass uns das gelingen wird.

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