Erinnerungskultur - Verfahren zur Änderung historisch belasteter Straßennamen in Rheinau-Süd geht in die nächste Runde / Schon Vorschläge zweier Organisationen

Änderung von Straßennamen in Mannheim: Bürgerbeteiligung startet am 30. April

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Konstantin Groß
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Ein Anlieger der Gustav-Nachtigal-Straße setzt sein eigenes Zeichen in der aktuellen Diskussion: Er hat auf seinem Privatgrundstück an seiner Garage ein persönliches Straßenschild angebracht. © Konstantin Groß

Mannheim. Die Aktion ist ein emotionales Bekenntnis: „Gustav-Nachtigal-Straße“ lautet der Schriftzug auf jenem weithin sichtbaren Schild, das an einer Garage auf einem Privatgrundstück prangt. In spätestens zwei Jahren wird es wohl das einzige mit diesem Namenszug sein. Denn Gustav Nachtigal ist einer von vier historisch belasteten Straßenpaten, deren Namen weichen müssen. Durch welche sie ersetzt werden, das soll in einer Bürgerbeteiligung ermittelt werden. Start ist am 30. April.

Im Februar hatte der Gemeinderat mit breiter Mehrheit beschlossen – nur zwei der 49 Mitglieder waren damals dagegen –, die Nachtigal-, die Leutwein- und die Lüderitzstraße sowie den Sven-Hedin-Weg umzubenennen. Für die Findung der neuen Namen wird ein aufwendiges Beteiligungsverfahren aufgelegt, das drei verschiedene Stufen umfasst.

Namensvorschläge

Siedlergemeinschaft:

  • 1. Variante: Seen, 2. Variante: Naturforscher: Johann-Wilhelm Reiss (1838-1908), Vulkanologe; Georg Balthasar Neumayer (1826- 1909), Geophysiker, Polarforscher; Johann Georg Adam Forster (1754- 1794), Ethnologe; Georg Wilhelm Steller (1709-1746), Arzt, Ethnologe und Naturforscher; Philipp Franz von Siebold (1796-1866) Arzt, Japan- und Naturforscher, Ethnologe, Botaniker; Johann Heinrich Barth, (1821- 1865). Afrikaforscher, Geograph, Philologe.

AK Kolonialgeschichte:

  • May Ayim (1960-1996), afrodeutsche Dichterin; Rudolf Manga Bell (1873-1914), Akteur antikolonialen Widerstands in Kamerun; Miriam Makeba (1932-2008), südafrikanische Sängerin; Theodor Michael (1925-2019), afrodeutscher Schauspieler; Jakob Morenga (1875-1907), Akteur antikolonialen Widerstands in Südwestafrika; Anna Mungunda (1932-1959), Anti-Apartheid-Kämpferin; Wangari Muta Maathai (1940-2011), kenianische Friedensnobelpreisträgerin, Biologie-Professorin, Feministin.

In der ersten Stufe sind alle Bürger Mannheims aufgerufen, ihre Namensvorschläge zu unterbreiten. Dies ist ab dem 30. April möglich – auf der Internetseite der Stadt, aber auch per Post an den Fachbereich.

Abgabefrist 15. Mai

Die Aktion läuft bis 15. Mai. Danach prüft die Verwaltung, ob die Vorschläge den geltenden Kriterien für Straßennamen entsprechen. Wie lange dieser Prozess dauert, ist nicht absehbar. Er „hängt von den eingereichten Vorschlägen ab“, so Stadtsprecherin Corinna Hiss, „da insbesondere bei Personen eine gründliche historische Prüfung, gegebenenfalls unter Einbezug externer Experten, notwendig ist.“ Auf gut Deutsch: Man will nicht noch einmal den Fehler machen, Personen zu ehren, die eine dunkle Vergangenheit haben.

Die Namen, die diese Prüfung überstehen, werden den Mannheimern zur Abstimmung vorgelegt. Diese kann entweder online über die Internetseite der Stadt oder postalisch erfolgen. Dabei wird so ausgezählt, dass sichtbar wird, wie welcher Stadtteil abgestimmt hat. Wie das Meinungsbild aus Rheinau-Süd gegenüber dem der Gesamtstadt politisch gewichtet wird, ist nicht klar.

Gemeinderat entscheidet

Auch der Bezirksbeirat Rheinau als kommunalpolitische Interessenvertretung des Stadtteils kann seine Stellungnahme abgeben, der allerdings lediglich den Charakter einer nicht bindenden Empfehlung zukommt. Denn es ist alleine der Gemeinderat, dem die Entscheidung über die neuen Namen obliegt.

Die SPD-Fraktion hatte zur Gemeinderatssitzung am Dienstag eine weitere Bürgerinformation der Stadtverwaltung in Rheinau-Süd beantragt. Dabei sollen das oben geschilderte Verfahren und auch die Kostenfrage für die Ummeldung von Ausweispapieren und Grundbucheinträgen vor Ort erläutert werden.

Die örtliche Siedlergemeinschaft hat bereits Vorschläge auf den Weg gebracht. „Wir möchten den weiteren Prozess nun proaktiv begleiten und eigene Vorschläge einbringen“, sagt Vorsitzender Hans Held.

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Sein Verband hat zwei Namensbereiche ausgewählt: Der erste umfasst Seen, die sich an die entsprechend benannten Straßennamen im Neubaugebiet anlehnen. Darunter sind der Wolfgangsee, aber auch der Bodensee. „Bei der Wahl einer Seen-Straße könnten wir sicher sein, dass auch nachträglich nichts moralisch Belastendes aus der Vergangenheit zu Tage tritt“, argumentiert Held: „Eine Umbenennung reicht!“

Naturforscher als Namenspaten

Der zweite Bereich umfasst Naturforscher. „Mit Filchner, Frobenius, Nansen, Peters, Schwaner und Wegener haben wir bereits mehrere Vertreter aus diesem Bereich in unserem Taufbezirk“, begründet Held. Die meisten von ihm Vorgeschlagenen stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert und haben einen Bezug zur Pfalz oder zu Bayern, zu dem die Pfalz ja bis 1946 gehörte. „Einziges Manko an unserer Auswahl“, bekennt Held: „Es sind keine Frauen dabei.“ In einem Flyer will die Siedlergemeinschaft ihre Vorschläge im Ortsteil bekannt machen und herausfinden, welche der beiden Varianten die Bürger bevorzugen.

Auch der Arbeitskreis Kolonialgeschichte wird seine sieben Vorschläge einbringen, die er bereits 2021 erarbeitet und veröffentlicht hat. „Jede der sieben Personen passt zu unserem Ziel, dass mit der Neubenennung der Straßen ein deutliches Signal gegen Rassismus und für ein Zusammenleben in Vielfalt gesetzt wird“, betont AK-Sprecherin Gertrud Rettenmaier: „Auch eignen sie sich, um in die Gesamtheit der Mannheimer Straßennamen etwas mehr Vielfalt einzubringen, entsprechend der Zusammensetzung der Stadtbevölkerung.“

Spätestens in zwei Jahren soll das Verfahren abgeschlossen sein. Doch auch in dieser Zeit bleiben die historisch kontaminierten Straßennamen nicht so, wie sie derzeit sind. Sie sollen durch Hinweisschilder ergänzt werden. Neben den individuellen Angaben zu den Vergehen der einzelnen Personen heißt es auf den neun mal 18 Zentimeter großen Schildern gleichlautend: „Diese Ehrung entspricht nicht mehr den heutigen Wertevorstellungen, eine Umbenennung ist vorgesehen.“

Wann die Zusatzschilder angebracht werden, ist unklar. In einer Mitteilung der Stadtverwaltung von Mitte Februar war von drei Monaten die Rede, bedeutet also: Installation Mitte Mai. Sicher ist nur: Das eingangs erwähnte Schild an der Garage auf dem Privatgrundstück wird wohl ohne diese Ergänzung bleiben.

Info: www.mannheim-gemeinsam-gestalten.de/dialoge

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