Sanierung

Rundgang durch die Katakomben: wie die alte Brauerei in Mannheim-Neckarstadt auflebt

Der Gebäudekomplex beherbergte einst eine Brauerei, dann eine Cigarrenfabrik. Heute ist die alte Brauerei im Mannheimer Stadtteil Neckarstadt Teil der Universitätsmedizin, außerdem entstehen Wohnungen und Gewerbeflächen

Von 
Johannes Paesler
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Blick in die Katakomben der Alten Brauerei: Hier standen vor über hundert Jahren bereits Kühlanlagen und ein Kohlekraftwerk. © Johannes Paesler

Mannheim. Beim Rundgang durch die ehemalige Badische Brauerei an der Käfertaler Straße/Röntgenstraße, organisiert vom Verein Rhein-Neckar-Industriekultur und durchgeführt vom Eigentümer Jürgen Herrmann, sprach dieser viel vom Großvater Wilhelm Niderehe, der zwischen den Weltkriegen in dem Gebäude eine Tabakfabrik etablierte. In dem historischen Gebäudekomplex, der unter anderem Hörsäle und Seminarräume der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) beherbergt, laufen seit einiger Zeit Sanierungsarbeiten für einen großen Teil des Komplexes.

In früheren Jahrhunderten, so erklärte Jürgen Hermann die Geschichte der Fabrik und der Braukunst in Mannheim, wird Bier zunächst in der Hausbrauerei eines Gasthauses hergestellt. Um 1750 gibt es 70 solcher Brauereien in Mannheim, 1850 noch 20. Nach der Erfindung der Kältemaschine wird es in Deutschland ab 1870 wirtschaftlich, Bier in größeren Mengen herzustellen, weil nicht mehr die Gefahr besteht, dass es verdirbt.

Rundgang durch die Katakomben

Die Gasthausbrauerei „Zur Stadt Lück“ in P2 besitzt bereits Gelände im Gebiet der heutigen Käfertaler Straße 162, weiteres wird hinzugekauft. Am 31. Dezember 1886 wird schließlich die Badische Brauerei AG gegründet. In dieser Zeit gibt es außerhalb der Mannheimer Quadrate noch drei weitere Industriebrauereien. Damals ist es neu, dass man das begehrte Getränk abgefüllt verkaufen kann. Mit dem Jahr 1892 ist darum die Befürchtung Mannheimer Wirte verbunden, es könnten Gäste ausbleiben.

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Der Erste Weltkrieg fordert seinen Tribut, zum Jahresende 1917 ist Schluss mit der Bierproduktion, im Folgejahr wird die Firma aufgelöst. Man schreibt das Jahr 1920, als der Tabakfabrikant Wilhelm Niderehe das Gebäude erwirbt. Er hat drei Jahre zuvor die „Cigarettenfabrik Ophyr“ in Q 6, 10b gekauft und verlegt sie nun hierher. Neben Ophyr (für Zigaretten) ist der Produktname Winima (für Zigarren oder „Stumpen“) in Gebrauch. Der Zigarrenname dürfte die Abkürzung von „Wilhelm Niderehe Mannheim“ darstellen. Zudem sind die Zigarettennamen „Mekka“ und „Grossherzog von Baden“ in Gebrauch. Doch 1941 wird die Produktion eingestellt, wieder ist ein Krieg die Ursache.

Schnell halten andere Gewerbezweige in das Gebäude Einzug, zum Teil auch kriegswichtige. Die Gebäude entlang der Röntgenstraße werden fast sämtlich schwer von Bomben getroffen. Der Schutt wird zum Teil noch Jahrzehnte in Teilen des Gebäudes liegen und alles bedecken. Bei den jüngsten Sanierungsarbeiten wurde im mittleren Bereich des Gebäudekomplexes ein Treppenhaus mit Ausgang zur Straße angelegt, wo früher schon einmal ein Ausgang gewesen war.

Von Metallverarbeitung bis Judo-Club

Dabei entdeckte man einen dekorativen Terrazzoboden und fand unterm Schutt einen Schraubenschlüssel von Unterarmlänge. Nach vier Dekaden Brauerei und weiteren zwei als „Cigarettenfabrik Ophyr“ markierte das Jahr 1941 den Beginn einer jahrzehntelangen Gebäudenutzung der unterschiedlichsten Art. Metallverarbeitung, Druckerei, Elektrotechnik, eine Schule für Physiotherapie, ein Judo-Club und das bis heute bestehende Umweltzentrum sorgten dafür, dass die Räume nicht leer standen. Die unterschiedlichsten Waren - Teppichböden, Autoteile, Spielautomaten - die gehandelt wurden, machten vergessen, dass sich hier ursprünglich alles um schäumendes Gerstengetränk gedreht hatte.

Vierzig Jahre sind für ein Gebäude nicht viel. Wenn es durch unruhige Zeitläufte, in diesem Fall zwei Weltkriege, gleich zweimal seine Bestimmung verliert, geraten viele Dinge in Vergessenheit, und auch die weiteren Entwicklungen werden von niemandem festgehalten. Seit Frühjahr 2009 bekommt Jürgen Herrmann Hilfe von außen durch den gemeinnützigen Verein Rhein-Neckar Industriekultur, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die vielfältigen Objekte der Industriekultur in der Metropolregion bekanntzumachen.

Ende des Jahrtausends hatte sich ein neuer Einschnitt angekündigt. Das Eckhaus an der Käfertaler Straße, die frühere Direktorenvilla, stand bereits unter Denkmalschutz, 1997 griff dasselbe für die alte Mälzerei und die gesamte Fassade zur Röntgenstraße hin. Verschiedene Ereignisse fügten sich vorteilhaft zusammen, sodass 2004/05 das alte Mälzereigebäude von Grund auf saniert werden konnte und sehr rasch Mieter hatte.

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Im Dachtrauf auf dem Hof gab es vor der Sanierung Nisthöhlen von Mauerseglern. Für den Vogel des Jahres 2003 wurde gesorgt und die Hoffnung ging in Erfüllung: 2005 brüteten die ersten Mauersegler. Seit Anfang 2020 ist der zweite Bauabschnitt im Gange, der die restlichen Gebäude nach der Mälzerei bis zum Eckhaus betrifft. Es fehlt noch die endgültige Gestaltung des Hofes, der mehr Aufenthaltsqualität bekommen soll. Die Besuchergruppe wurde weite Wege geführt durch Treppenhäuser, halb fertige Wohnungen (einige sind jedoch fertig und bereits vermietet) und in die Villa. Insgesamt entstanden hier 33 Wohnungen und 7 Gewerbeobjekte, alles steht kurz vor dem Abschluss.

Sehr interessant war der Abstieg in den Untergrund; sogar der Hof ist unterkellert. Hier reiht sich Gewölbekeller an Gewölbekeller. Die großzügigen Katakomben der Brauerei beherbergten einst die Kühlanlagen, das Kohlekraftwerk und vieles mehr. Ein Highlight der Besichtigung waren die gusseisernen Säulen von 1888, die damals benötigt wurden, um die schweren Sudkessel in den Räumen darüber zu tragen.

Persönliche Vergangenheit

Zum Abschluss stand die Besuchergruppe im Hof zwischen Villa und ehemaligem Kontorhaus. Das Gelände war in Jürgen Herrmanns Kinderzeit ein Gewerbehof mit verschiedenen Firmen, dessen Nutzung den Bedürfnissen der Anlieger folgte. „Das war hier eine Art Lebensgemeinschaft“, sagte er. Man spürt: Hier verwaltet und saniert jemand ein Gebäude nicht bloß kühl nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Da schwingt noch etwas anderes mit. Es hat viel mit Stadtgeschichte zu tun, die sich mit der persönlicher Vergangenheit von Jürgen Herrmann verschränkt.