„Wir haben eine Eulen-DNA entwickelt“

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Marc Stevermüer
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„Ich befand mich in einer dauerhaften Extremsituation“, sagt Benjamin Matschke über seine Jahre als Eulen-Trainer. © imago

Benjamin Matschke hat die Eulen Ludwigshafen 13 Jahre lang als Spieler und Trainer geprägt. In der neuen Saison sitzt er beim Handball-Bundesligisten HSG Wetzlar auf der Bank. Im Interview blickt der 38-Jährige zurück und voraus. Von Marc Stevermüer

Herr Matschke, reden wir erstmal über etwas Positives. Wer oder was hat Sie seit dem knapp verpassten Klassenerhalt erfreut?

Benjamin Matschke

Benjamin Matschke wurde am 19. Juli 1982 in Heilbronn geboren.

Er war bis zur vergangenen Woche Trainer des Handball-Bundesligisten Eulen Ludwigshafen und ist Lehrer an der Carl-Theodor-Schule in Schwetzingen.

In seiner aktiven Laufbahn spielte Matschke bis 2007 im Rückraum von Salamander Stuttgart, danach trug er das Trikot der TSG Friesenheim (heute Eulen Ludwigshafen). Mit den Pfälzern stieg er 2010 in die Erste Liga auf.

2013 begann Matschke seine Trainerlaufbahn beim Drittligisten TV Hochdorf. 2015 folgte der Wechsel zu den Eulen, die er 2017 in die Erste Liga führte. Ab nächster Saison trainiert er die HSG Wetzlar.

Benjamin Matschke: Die emotionale Verabschiedung und die Wertschätzung, die ich seitdem erlebe. Ich bekomme immer noch Nachrichten, auch von Trainerkollegen aus der Bundesliga, die aufmunternde Worte finden. Damit habe ich nicht gerechnet – und das freut mich.

Dennoch steht da der Abstieg.

Matschke: Und der schmerzt immer noch, weil für mich die Fallhöhe besonders hoch war. Ich bin fest davon ausgegangen, dass wir bei GWD Minden gewinnen und zumindest dieses Endspiel am letzten Spieltag gegen Göppingen bekommen.

Es kam anders. Was empfinden Sie seitdem?

Matschke: Wenn ich die vergangenen zwei Monate Revue passieren lasse, muss ich sagen: Es war außergewöhnlich, was meine Mannschaft geleistet hat. Wir haben 13 Spiele in sieben Wochen bestritten. Das war für uns ungewohnt und wir haben trotzdem konstant gepunktet. Auch in Spielen, in denen man nicht damit rechnen konnte. Aber in der Summe ist ein Abstieg eine Niederlage – und so fühlt es sich auch an, weil wir unser Ziel nicht erreicht haben.

Das nackte Ergebnis ist mit dem Abstieg brutal, aber die Eulen haben sich zu einer anerkannten Adresse entwickelt. Gehen Sie deshalb mit einem guten Gefühl?

Matschke: Mir war wichtig, dass ich den Verein in einem ordentlichen Zustand übergebe. Das ist mir gelungen. Ich hinterlasse keinen Trümmerhaufen, sondern einen Verein mit Substanz, mit einer Identität und mit Werten, auf die man aufbauen kann. Wir haben eine Eulen-DNA entwickelt. Jeder weiß, wofür der Club steht: nicht aufgeben, zusammenhalten, junge Spieler entwickeln. Diese Dinge haben wir über Jahre erarbeitet – und die bleiben trotz des Abstiegs.

Was hat sich seit Ihrer Amtsübernahme 2015 verändert?

Matschke: Als ich kam, waren die Eulen gerade aus der Bundesliga abgestiegen. Und dann hieß es: „Ben, mach‘ mal!“ So lautete der Auftrag. Ich wusste erst gar nicht so genau, wo ich anfangen sollte. Ich habe Aufgaben der Geschäftsführung übernommen, mit Spielerberatern Kontakt gehalten, mit potenziellen Neuzugängen gesprochen, Gehälter verhandelt, das Scouting in die Hand genommen. Ich war Co-Trainer, Torwart-Trainer, Mental-Trainer, Athletik-Trainer und Chef-Trainer. Sechs Jahre später hat sich das gewaltig verändert. Wir haben für jeden Bereich einen Spezialisten. Das macht mich stolz, weil Mannschaft und Verein gewachsen sind.

Seitdem Sie die Eulen trainieren, befindet sich der Club entweder im Auf- oder Abstiegskampf. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Matschke: Was ich in sechs Jahren mit den Eulen erlebt habe, dürfen einige andere Trainer wahrscheinlich in ihrer ganzen Karriere nicht erleben. Ich befand mich in einer dauerhaften Extremsituation, obwohl ich das zu Beginn meiner Tätigkeit gar nicht gemerkt habe. Ich bin den Job mit großer Leichtigkeit und viel Enthusiasmus angegangen. Okay, vielleicht war auch ein wenig Blauäugigkeit dabei (lacht). Mit der Zeit ist der Druck aber immer größer geworden. Auch der Druck, den ich mir selbst gemacht habe, es wieder zu schaffen, wieder die Liga zu halten, wieder den Verlust von Stammkräften zu kompensieren, wieder etwas Neues aufzubauen, wieder junge Spieler an das Erstliga-Niveau heranzuführen.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Matschke: Es ist anstrengend, diesen Kampf stets neu aufzunehmen und die gleiche Energie entwickeln zu können. Aber es ist als Trainer unabdingbar, sich glaubhaft vor die Spieler zu stellen und authentisch zu sein. Eine Mannschaft merkt beim ersten Training, ob ihr Trainer wirklich vom Klassenerhalt überzeugt ist oder nicht. Mit der Zeit habe ich allerdings gespürt: Die Pausen im Sommer sind zu kurz, um sich von dieser permanenten Belastung zu erholen. Und wahrscheinlich hat auch das tief in meinem Innersten zu der Entscheidung beigetragen, diesen Kreislauf einmal zu verlassen und etwas Neues zu machen.

Die Eulen haben drei Klassenerhalts-Wunder aneinandergereiht. Entwuchs daraus die Erwartung, dass es automatisch ein viertes, fünftes, sechstes Wunder gibt?

Matschke: Ja, definitiv. Sowohl bei den Gesellschaftern als auch bei den Sponsoren. Da hieß es dann: „Wer es einmal schafft, kann es zweimal schaffen.“ Und: „Wer es zweimal schafft, kann es dreimal schaffen.“ Aber Bundesliga ist für Ludwigshafen keine Selbstverständlichkeit. Ich habe es selbst erlebt, dass plötzlich eine gewisse Enttäuschung aufkam, als wir nur einen Punkt gegen Melsungen (Saison 19/20/Anm. d. Red.) geholt haben. Gegen Melsungen! Da habe ich mich schon gefragt: Verpasse ich gerade eine Entwicklung oder liege ich falsch mit der Einschätzung meiner Mannschaft? Denn für mich ist es eine Sensation, wenn wir gegen Melsungen einen Punkt holen. Aber so ist das im Leistungssport: Mit dem Erfolg wachsen die Erwartungen.

In der ersten Bundesligasaison mit Ihnen als Trainer haben die Eulen häufiger eine Packung kassiert. Von Saison zu Saison wurden die Resultate knapper. Ist das Team konkurrenzfähiger geworden?

Matschke: Schön, dass Ihnen das aufgefallen ist. In der ersten Saison war es wirklich oft so, dass wir nach 40 oder 45 Minuten mit acht, neun Toren hinten gelegen haben. Da ging es häufiger nur noch darum, bestimmte Sequenzen für sich zu entscheiden oder die Niederlage moderat ausfallen zu lassen. Aber meine Mannschaft hat schnell gelernt. In der Saison 19/20 war es bis kurz vor dem Abbruch so, dass wir laut des TV-Senders Sky auf Rang drei gestanden hätten, wenn die Partien nach 50 Minuten abgepfiffen worden wären. Diese Entwicklung ist der Wahnsinn und entsprechend hat sich unsere Herangehensweise geändert.

Inwiefern?

Matschke: Ich habe mich mehr mit der Schlussphase befasst. Weil wir fast immer dran waren, knapp vorne oder knapp hinten lagen. Dieser Fortschritt macht mich grundsätzlich stolz. Aber: Als Trainer zermürbt es einen auch, wenn man so oft auf Augenhöhe agiert und dann doch zu häufig mit ein, zwei Toren verliert.

Sie haben sich aus freien Stücken für einen Abschied aus Ludwigshafen entschieden. Kommt trotzdem Wehmut auf?

Matschke: Na klar. Die Eulen fühlen sich an wie Heimat. Ich habe meinen Lebensmittelpunkt hier in der Region. Insofern nimmt mich solch ein Abschied nach 13 Jahren als Spieler und Trainer mit. Allein schon deshalb, weil ich so viele nette Menschen kennengelernt habe. Ich weiß zu schätzen, was ich bei diesem Verein erlebt habe, was mir dieser Club gegeben und ermöglicht hat.

Sie wechseln zur HSG Wetzlar und somit zu einem Verein, der seit Jahren im Tabellenmittelfeld steht. Fürchten Sie die Langeweile nach den aufregenden Eulen-Jahren?

Matschke (lacht): Nein, das wird spannend. Wetzlar wurde lange von Kai Wandschneider, einem geschätzten Experten, trainiert. Mit seiner Art, seinen Entscheidungen und seiner Führung hat er die Fans, das Umfeld, die Mannschaft, den ganzen Club geprägt. Viele Spieler kennen in Wetzlar nur den Trainer Wandschneider. Auf den Verein kommt mit mir etwas Neues zu. Und für mich wird es eine große Herausforderung, auf Kai zu folgen. Aber das reizt mich total. Ich muss als Ben Matschke überzeugen. In Wetzlar kennt mich keiner. Da springe ich ins Wasser und muss schwimmen.

Behalten Sie Ihren Job als Lehrer?

Matschke: Ich werde noch einen Tag in der Woche in Schwetzingen in der Schule sein. Das ist mir wichtig und ich war froh, dass die Verantwortlichen von der HSG dafür total offen waren. Den Lehrerberuf habe ich erlernt. Und schon nach dem Abitur wusste ich, dass ich Lehrer werden will. Ich gehe unheimlich gerne in die Schule, weil es eine andere Situation ist. Denn im Gegensatz zur Halle gehe ich da ohne den Druck hin (lacht). Lehrer zu sein bedeutet für mich, auch mal durchzuatmen.

Sind Sie lieber Lehrer oder Trainer?

Matschke: Die Kombination ist herausragend. Nur Lehrer…hm, da würde mir wahrscheinlich der Nervenkitzel fehlen. Ich habe zehn Jahre in der 1. und 2. Liga Handball gespielt. Daraus hat sich logischerweise ein gewisser Ehrgeiz entwickelt. Ein bisschen Druck brauche ich also.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft