Lampertheim. Die Leute sitzen im Lockdown zu Hause auf dem Sofa und shoppen im Internet bis die Kreditkarte glüht: Diese Befürchtung der AWO-Schuldnerberatung im Kreis Bergstraße hat sich nicht bewahrheitet. „Im Gegenteil“, meint deren Leiterin Melanie Schilling bei der Vorstellung des Jahresberichts am Montagnachmittag. In den Coronajahren 2020 und 2021 sei die Zurückhaltung in Sachen Konsum deutlich zu beobachten gewesen.
Und das nicht nur an der Bergstraße, sondern bundesweit. So ist die Zahl der überschuldeten Personen in Deutschland um rund 700 000 gesunken, von 6,85 Millionen im Jahr 2020 auf 6,16 Millionen Menschen in 2021, zitiert Schilling aus dem Schuldneratlas, den die Auskunftei Creditreform vergangene Woche veröffentlicht hat. Im Kreis sind danach aktuell 7,84 Prozent der Verbraucher überschuldet, das heißt, ihre Schulden sind so hoch, dass sie nicht mehr aus Einnahmen oder Vermögen beglichen werden können. Diese Überschuldungsquote ist die niedrigste seit Jahren, sie liegt deutlich unter dem Bundesschnitt von 8,8 Prozent.
Dass die Verbraucher weniger ausgegeben haben als zuvor, lag jedoch nicht nur an lange geschlossenen Geschäften und Restaurants in der Coronazeit. Die Menschen verreisten pandemiebedingt auch weniger und legten ihr Geld verstärkt aufs Girokonto, erklärte Franz Belzer, Vorstandsmitglied der Sparkasse Worms-Alzey-Ried, in deren Lampertheimer Filiale die Arbeiterwohlfahrt zur Präsentation ihres Berichts zu Gast war. Außerdem wuchsen die Tageseinlagen, die Kreditkartenumsätze gingen zurück, so Belzer.
Dennoch glaubt Melanie Schilling nicht, dass ihr die Arbeit künftig ausgehen könnte. Derzeit kümmert sich die AWO Bergstraße um rund 400 Klienten - eine Zahl, die im Vergleich zum Vorjahr fast gleich geblieben ist. Unter den Klienten sind ungefähr zur Hälfte Männer und Frauen. Die größte Gruppe unter den Schuldnern im Kreis sind die 25- bis 50-Jährigen.
Die Gründe für Überschuldungen seien vielfältig, sagt Schilling. Die häufigsten: Arbeitslosigkeit, Erkrankung, Sucht, Unfall oder mangelnde finanzielle Kompetenz. „Und genau bei Letzterem setzt unsere Prävention an“, erläutert die Beraterin. So bietet die Arbeiterwohlfahrt seit einigen Jahren ein Simulationsspiel an weiterführenden Schulen an. Unter dem Motto „Mein Haus, mein Auto, mein Konto“ gründen die Schüler dabei einen Haushalt für Anton Azubi und lernen, finanzielle Aspekte des Alltags abzuwägen. Im Mittelpunkt steht die Frage: Habe ich nach Abzug von Miete, Kosten für Nahrung, Kleidung und so weiter am Ende des Monats noch etwas auf dem Konto übrig?
Doch neben den Jugendlichen will sich die Präventionsarbeit der AWO künftig noch einer weiteren Gruppe besonders widmen: den Menschen am Übergang zum Rentenalter. Denn da herrsche verstärkt die Unsicherheit bei der Frage: Was passiert, wenn ich im Ruhestand weniger Einkommen zur Verfügung habe - „gerade bei Leuten, die nicht genug ansparen konnten“, erläutert Melanie Schilling. Da gelte es beispielsweise, Verträge und Versicherungen zu überprüfen, die nicht mehr gebraucht würden, nennt die Leiterin der Schuldnerberatung eine der Stellschrauben.
Eine dritte Gruppe, um die sich die AWO besonders kümmert, ist die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor. Dabei arbeitet die Institution eng mit den Jobcentern in ihrem Bereich zusammen. „Diese Menschen haben oft keine Kontinuität bei den Einnahmen, weil sie sich von einem befristeten Job zum nächsten hangeln“, schildert Melanie Schilling. Somit könnten zumeist keine Rücklagen gebildet - und so auch kleinere finanzielle Probleme nicht abgefangen werden.
Es bleibt also viel zu tun für die AWO-Schuldnerberatung - trotz des umsichtigen Verhaltens der Bergsträßer in der Corona-Zeit.