Auf dem weißen Bühnenfeld der Hebel Halle sind zwölf Tänzer und Tänzerinnen versammelt. Sie tragen ein dunkelblaues Kostüm – einfache Hose, schlichtes Hemd. Sie beginnen als Gruppe, die ihr Kostüm eint, zu tanzen. Und auch ihr Tanz, das Vokabular ihrer Schritte und Gesten, zeigt eine starke Verbindung des einen zur anderen. Sergej Rachmaninows 2. Klavierkonzert op. 18 in c-Moll wirkt mit der musikalischen Schwere, der eine Leichtigkeit zur Seite steht, wie eine Spiegelung dieser Gesellschaft und ist möglicherweise ihr treibender Motor. Oona Doherty, die irische Choreografin von „Navy Blue“, erzählt im Anschluss an die Vorstellung von ihrer Zeit während der Pandemie und der Idee zu „Navy Blue“, dem schönen allseits bekannten marineblauen Farbton, der aber mit dem Begriff „navy“ auch die Kriegsflotte assoziieren lässt. Im Tanzsaal und mit klassischem Ballett hat sie sich fit gehalten, während Corona-Viren die Welt zum Stillstand gebracht haben. Und dabei hat sie die Musik von Rachmaninow zunehmend fasziniert. Der russische Komponist ist um 1900 in eine Schaffenskrise geraten und konnte sie mit Hilfe eines Neurologen und in seinem 2. Klavierkonzert verarbeiten und überwinden.
Zweifelnde Reflexion über Dasein
Klassische Arm-, Bein- und Körperlinien – ein Port de Bras, eine Arabesque, eine Pirouette – setzt Doherty neben zeitgenössische Ausdrucksformen: Die Gesten von Händen – geöffnete Handflächen, zeigende Finger führen dabei die Gruppe wie durch eine Zeichensprache zusammen oder lassen einzelne Paare aufeinander zugehen. Der Bewegungsfluss, die treibende Kraft der Musik wird durch ein kantig-scharfes Geräusch gestört und die Akteure fallen nach und nach zu Boden. Danach ist alles anders: Die Figuren sind Teil einer eisigen Landschaft, getaucht in ein elektronisch dröhnendes Klangfeld. Da hinein fällt eine Stimme, die einen Text spricht, den Doherty mit Bush Moukarzel verfasst hat. Es ist eine zweifelnde Reflexion über ein Dasein, einen künstlerischen Arbeitsprozess voller Bedeutungslosigkeit. Die auferstandene Gesellschaft spricht nur noch eine Sprache. Zitternd stehen die Tänzer in einer Reihe, weisen mit ihren Händen ins Ungewisse. Doch im letzten Teil gibt es eine Drehung, eine Wendung, ein Kreiseln voller Dynamik, der sich alle anschließen können.