Heidelberg. Krebskranken Kindern kann man die Angst vor einer Strahlenbehandlung eventuell nehmen, indem man ihnen noch daheim per Spezialbrille ein Virtual-Reality-Erlebnis (VR) mit einer Cartoonfigur verschafft, die sie kindgerecht und spielerisch mit dem Gerät vertraut macht. Und wenn an Krebs erkrankte Kinder nach einer Stammzellentransplantation geschwächt sind, kann man sie vielleicht in Bewegung bringen, wenn man ihnen per Spezialbrille eine erweiterte Realität (Augmented Reality/AR) vorführt, in der sie dreidimensionale Dinge wie einen Luftballon ergreifen müssen. Diese Lernspiele und ein weiteres entstehen derzeit an einem neuen Kompetenzzentrum, das am Montag im Business Development Center des Technologieparks eröffnet wurde. Nach Angaben der Organisatoren sollen damit die Stärken der Games-Branche mit denen des Health-/Biotechnologie-Standortes Heidelberg verbunden werden.
Drei ausgewählte Teams, denen Wissenschaftler, Spiele-Entwickler und Studierende angehören, basteln dort an den Projekten, angeleitet von Experten. „Das ist ein bundesweit einzigartiger Ort“, sagte der Geschäftsführer der am Projekt beteiligten Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, Carl Bergengruen, über das Kompetenzzentrum für Lernspiele aus dem Bereich Gesundheit und Lebenswissenschaften - den „GamesHub für Health/Life Science Heidelberg“.
Bergengruen machte klar, welche Bedeutung Lernspiele („Serious Games“) haben. „Heute wollen Menschen, die krank sind, nicht mehr mit Flyern arbeiten, die wollen mit einem Game sich zum Beispiel zur Bewegung animieren lassen“, sagte er. „Das ist ein enormer Wachstumsmarkt.“ Und der Projektkoordinator, Professor Benjamin Zierock vom Gründer-Institut der SRH Hochschule Heidelberg, sagte, spielerisch lerne man am besten.
Förderung über 110 000 Euro
Das Thema Lernspiele und -anwendungen habe in der Kombination mit Medizin „enorme Potenziale“ - „für Reha, für die Arbeit mit Kindern, für das Lernen insgesamt“, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), deren Haus das Projekt bis Ende März mit 110 000 Euro fördert. „Games“ seien nicht einfach eine Spielwiese, man habe schon viele positive Erfahrungen damit gemacht, etwa beim Trainieren von Operationen. Die Teams hätten jetzt die Chance, zu beweisen, was geht - „und dann wird man weitersehen“. „Die Ideen, die hier entstehen, haben Zukunft, und vermutlich werden sie Ihnen, sozusagen, aus den Fingern gerissen.“
Viele junge Menschen wollten Ego-Shooter-Spiele entwickeln, sagte der Rektor der Hochschule der Medien Stuttgart, Alexander Roos. Aber im Bereich Serious Games gebe es nicht nur spannende Themen, sondern auch die besseren Jobs und mehr Innovation. Heidelberg sei nun „vielleicht der Standort schlechthin für das Thema Health und Life Sciences, und das gamerische Knowhow, das tragen wir gerne dazu bei“.
Heidelberg wolle bei dem Thema eine Führungsrolle übernehmen, sagte Oberbürgermeister Eckart Würzner (parteilos). Die Stadt biete etwa mit dem EMBL und dem DKFZ „Life Science auf Weltniveau“. „Hier findet Kreativität statt, und hier werden auch neue Arbeitsplätze in diesem Segment geschaffen“, sagte das Stadtoberhaupt.
Projektkoordinator Zierock sagte, man wolle noch im Sommer ein Geschäftsmodell herausarbeiten und im Herbst an die Start-up-Gründung denken. Im Winter solle es dann vorzeigbare Prototypen geben. Am weitesten ist das Projekt „OnkoMovement“, bei dem junge Krebspatienten mittels AR-Brille zum Greifen nach projizierten Gegenständen motiviert werden sollen. Das habe mehr den Charakter eines Spiels als den einer Bewegungstherapie, erklärt der Heilbronner Student Kevin Keiner (27). Er ist einer von drei studentischen Teilnehmern, die mit dem Netzwerk OnkoAktiv kooperieren.
Kindgerechte Herangehensweise
Das Projekt MiKompanion von DKFZ und der Videoproduktionsfirma Bildbrauerei will krebskranken Kindern mittels VR-Brille die Angst vor der Strahlentherapie nehmen. Gerade junge Patienten hätten Probleme mit der Therapie, sie wolle man auf kindgerechte Art und Weise unterstützen, sagte Doktorandin Anna Schönrock (29).
Die Mediendesignerin Anika Moser (26) vom Stuttgarter Gamesstudio Kastanie Eins GmbH will mit dem Institut für Psychosoziale Prävention des Universitätsklinikums Heidelberg beim Projekt „Beziehungsnavigator“ für Jugendliche in der Pubertät ein humorvolles Spiel mit dem Ziel entwickeln, „gesunde Beziehungen“ führen zu können.