Historie

Fastnachtsumzug vor 60 Jahren weckt bei Bürstädtern Erinnerungen

Die fünfte Jahreszeit hat in Bürstadt eine lange Tradition. Das zeigt nun ein Video des Hessischen Rundfunks über den "größten Umzug in Südhessen" aus dem Jahr 1963.

Von 
Corinna Busalt
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Walter Wiedemann entdeckt auf dem Video vom Fastnachtsumzug 1963 Karl-Heinz Koch (l. angeschnitten) und Ex-Bürgermeister Karl Druckenbrod mit Hut. © Berno Nix

Bürstadt. Fliegende Bonbons, maskierte Menschen, Kapellen sowie Tausende Zuschauer – darunter Prinzessinen und Cowboys – am Straßenrand: Beim Fastnachtsumzug in Bürstadt scheint über die Jahrzehnte vieles gleich geblieben zu sein. Vor 60 Jahren hat der Hessische Rundfunk das Spektakel gefilmt und nun den alten Beitrag in der Reihe „Retro“ online gestellt. Bürstadts langjähriger Erster Stadtrat Walter Wiedemann war damals zehn Jahre alt und amüsiert sich köstlich über das dreiminütige Video von 1963.

„Es könnte schon sein, dass ich hier irgendwo stehe“, sagt Wiedemann und schaut sich die Zuschauer genau an. Selbstverständlich hat er das närrische Treiben durch die Nibelungenstraße mit seinen Eltern damals immer verfolgt. Die Fastnacht ist auch heute fester Bestandteil des Alltags. Daheim sieht alles nach fünfter Jahreszeit aus, etliche Clowns und Luftschlangen schmücken die Räume. Zudem engagiert sich der 70-Jährige aktiv beim Heimat- und Carnevalverein (HCV). So „richtig infiziert“ worden sei er mit dem Fastnachtsvirus aber erst, als seine Tochter Marina 2005 Prinzessin wurde – und er sie zu zahlreichen Festen begleitete.

Auf der Brücke in der Dammstraße

Närrisch unterwegs war Wiedemann aber schon zuvor bei der Volksbank in Heppenheim. „Damals konnte ich den Umzug in Bürstadt gar nicht verfolgen.“ Denn zeitgleich war er in der Kreisstadt für und mit seinem Arbeitgeber unterwegs. Mit dem früheren Chef hat er sogar einige Zeit eine Musikgruppe gebildet und ist bei Prunksitzungen aufgetreten. Seit seinem Ruhestand verfolgt er natürlich wieder, was am Fastnachtssonntag in Bürstadt los ist. Und da gibt’s viele Gemeinsamkeiten zu dem Spektakel vor 60 Jahren.

„Die Route des Umzugs ist ja im Prinzip seit Jahren gleich“, stellt Wiedemann während des Videos fest. In den verschiedenen Kamerabildern erkennt er die Nibelungen-, aber auch die Mainstraße. In der Dammstraße stehen die Zuschauer sogar oben auf der Brücke und genießen den Ausblick. Heute undenkbar. „Damals war noch nichts elektrifiziert, da ging das noch. Es kam nur die Dampflok vorbei.“

Den früheren Bürgermeister Karl Druckenbrod, der mit breitem Grinsen zu sehen ist, erkennt Wiedemann, ebenso dessen Frau Maria. Auch Karl-Heinz Koch, der Vater der heutigen Bürgermeisterin Bärbel Schader, steht auf der Ehrentribüne am Historischen Rathaus sowie weitere hochrangige Gäste, etwa ein Oberst des amerikanischen Militärs. „Da gab es enge Verbindungen, die Hoheiten wurden auch mit dem Helikopter eingeflogen“, erinnert sich Wiedemann.

Als „idealen Fastnachter“ bezeichnet er den damaligen Präsidenten Adolf van Kaick vom Turnverein, der mit großem Helau vom Wagen des „11er Rats“ winkt. Beim Prinzenpaar handelt es sich gemäß der Liste der Vereins-AG um Monika Berang und Bernhard Brenner. Eine weitere Hoheit kommt mit der Gurkenkönigin aus Biblis ins Bild. Auch Gastwirt Peter Noll feiert als Ehrenprinz kräftig mit, begleitet von Ex-Prinzessin Lisa von Weilburg.

In die drei Hasen statt zum Mond

41 Wagen bilden den Zug, heißt es, und zwar „den größten in Südhessen“. Zweieinhalb Stunden habe er sich durch die Stadt geschlängelt, sagt der Sprecher. Ein Wagen thematisiert die Fehlstarts der sowjetischen Raketen, auf einem Plakat heißt es: „Lasst die Ami un die Russe na uff de Mond. Mä bleiwe hunne un treffe uns in de 3 Hasen. Mit dem Bernd-Rink-Sextett.“ Wiedemann lacht, als er das entziffert. Als Nächstes kommt der Brieftaubenverein, bei dem er selbst seit Jahrzehnten Mitglied ist. Durch Abflussrohre wie durch Ferngläser schauen die Aktiven auf dem Wagen – offenbar auf der Suche nach ihren Vögeln. Angler und Kaninchenzüchter, Katholische Kirchenmusiker, TSG und TV sind dabei, ebenso laufen Schützen mit Pfeil und Bogen mit.

Am Straßenrand türmen sich Schneereste, im Hintergrund erkennt Wiedemann einige alte Geschäfte wie den Supermarkt „Schade und Füllgrabe“ in der Mainstraße. „Später war dort eine Reinigung, mittlerweile ist es ein Parkplatz.“ Ebenso sichtbar wird das Kaufhaus Johann Krämer, wo später das Kleidungsgeschäft Fetsch war – und heute eine Spielhalle ist. Nur was das mit der „Herrenfastnacht“ soll, die der Film-Sprecher erwähnt, versteht Wiedemann nicht. „Das habe ich noch nie gehört in Bürstadt.“

Redaktion Redakteurin des Südhessen Morgen und zuständig für die Ausgabe Bürstadt/Biblis

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