Krieg

In Biblis halten Ukrainer die Verbindung mit ihrer Heimat

"Es tut weh", sagen zwei ukrainische Frauen, die jetzt in Biblis in Sicherheit sind. Seit einem Jahr beherrschen Leid und Trauer ihren Alltag. Die Angriffe auf Dörfer und Städte in ihrer Heimat machen sie fassungslos

Von 
Petra Schäfer
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Ein Bild, das friedlich wirkt, aber auch mit Kriegserfahrungen zu tun hat. Gemalt haben es zwei ukrainische Frauen, die bei Gisela Gibtner in Biblis wohnen. © Petra Schäfer

Biblis. „Es ist kaum zu glauben, dass immer noch Krieg ist“, sagt Gisela Gibtner. Am 23. März 2022 holte sie zwei aus der Ukraine geflüchtete Frauen vom Bahnhof ab, die seitdem bei ihr in Biblis wohnen. Die heute 62-jährige Mutter und ihre 32-jährige Tochter verließen ihre Wohnung in Kiew, nachdem Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angegriffen hatte.

Seit einem Jahr verteidigen die Ukrainer ihr Land. Die Bilder aus dem Kriegsgebiet, die Meldungen über Alarm und Angriffe in der Heimat verfolgen Mutter und Tochter Tag und Nacht. Mitten in Wohngebieten schlagen Raketen ein. Eine frühere Nachbarin der beiden Frauen hat ihnen ein Video geschickt, das zeigt, wie eine Rakete über das Haus in Kiew fliegt, in dem sie gewohnt haben. „Es tut weh“, sagen die beiden Frauen. Die 62-Jährige hatte im vergangenen Jahr, als sie aus Angst vor den Angriffen nach Deutschland geflohen war, noch gehofft, einige Monate später zurückkehren zu können. Doch nach wie vor wird in der Ukraine gekämpft.

„Wir sind dankbar, dass wir in Deutschland aufgenommen wurden und hier bei Frau Gibtner sein können“, sagen Mutter und Tochter. „Der Krieg in der Ukraine ist sehr schmerzhaft für uns.“ Das Leid und die Angst der Menschen, die Ukrainerinnen und Ukrainer, die bei den russischen Angriffen ihr Leben verlieren oder verletzt werden. Die Zerstörung der Städte und Dörfer. All das bestimmt ihr Leben – auch im ruhigen, sicheren Biblis. Per Mobiltelefon sind sie weiterhin mit ihrer Heimat verbunden. Allerdings mit Einschränkungen, da die Energieversorgung aufgrund der Kriegsschäden in der Ukraine nicht immer gewährleistet ist.

Gisela Gibtner © Berno Nix

Die 32-Jährige hat noch von Biblis aus Online-Kurse für die Universität geleitet. Jetzt ist nicht einmal mehr das möglich. Sie besucht den Deutsch-Kurs, der an vier Tagen in der Woche im evangelischen Gemeindehaus in Biblis stattfindet. Auch Gisela Gibtner übt mit ihr. Die Bibliserin war während ihrer Berufstätigkeit beim Goethe-Institut beschäftigt und dabei auch einige Jahre als Abteilungsleiterin in der Ukraine tätig. Mit vielen ehemaligen Kollegen und Freunden aus dieser Zeit hält sie weiterhin Verbindung. „Der Kriegsausbruch vor einem Jahr, das war irreal.“ Plötzlich waren Freunde und Bekannte in der Ukraine in großer Gefahr. „Für mich war es keine Frage, ob ich jemanden aufnehme“, sagt Gisela Gibtner. Und so kamen Mutter und Tochter samt Katze zu der Bibliserin.

„Sie sind froh, dass es hier so ruhig ist“, sagt die Gastgeberin über ihre beiden Gäste. „Wir wohnen hier auch nicht so eng.“ Mutter und Tochter haben die Möglichkeit, in einer eigenen, behelfsmäßig eingerichteten Küche für sich zu kochen. Der Platz dafür war vorhanden. Gisela Gibtner ist es wichtig, dass sich die beiden Frauen ihre Selbstständigkeit bewahren und eigenständig handeln können. „Natürlich kommen sie auch zu mir und fragen nach Rat, wenn sie zum Beispiel einen Arzttermin ausmachen wollen. Da helfe ich gerne.“

Da Gisela Gibtner Ukrainisch spricht, können sich die drei Frauen gut verständigen, wenn mal im Alltag etwas nicht so gut läuft. „Probleme muss man ansprechen und klären. Zum Beispiel die Mülltrennung. Die ist gewöhnungsbedürftig“, weiß Gisela Gibtner.

Es sei auch wichtig, sich in die Situation des anderen hineinzuversetzen. Plötzlich das eigene Zuhause und das ganze Umfeld zu verlieren, das sei unvorstellbar. Doch genau damit müssen sich Gibtners Gäste seit einem Jahr abfinden. Der 62-Jährigen falle es schwer, eine neue Sprache zu lernen. Das Lerntempo im Deutschkurs überfordere sie.

Sehnsucht nach der Heimat

Die Sehnsucht, schnell wieder zurückkehren zu können, sei stark, weiß Gisela Gibtner. Sie kennt weitere ukrainische Familien, die vor dem Krieg geflohen sind und jetzt in Biblis leben. Bei einer Familie habe sich die Oma entschieden, in die Ukraine zurückzukehren. Bekannte von Gisela Gibtner haben die Sicherheit in Deutschland ebenfalls aufgegeben, um in der Ukraine ihr Haus wieder aufzubauen.

Das Paar hatte seinen Ruhestand im eigenen Häuschen in Butscha verbringen wollen. „Sie hatten das Haus schön hergerichtet und viel investiert.“ Dann fiel eine Bombe auf das Gebäude. „Die beiden sind im Kugelhagel geflohen.“ Sie kamen nach Deutschland, wo sie von Familienmitgliedern aufgenommen wurden. Als sie von einer Wiederaufbauhilfe in ihrem früheren Wohnort gehört hatten, wollten sie unbedingt zurück, um diese Chance zu nutzen. Wie die Lage jetzt vor Ort ist, weiß Gisela Gibtner noch nicht.

Im vergangenen Frühjahr kamen Mutter und Tochter, die bei Gisela Gibtner wohnen, nach Biblis. Bei Spaziergängen durch den Ort fielen ihnen die blühenden Magnolien auf. Sie haben ein Bild gemalt, auf dem ein Magnolienbaum zu sehen ist. Und ein blauer Himmel mit Flugzeug. Die Angst vor Flugzeugen, die Raketen abschießen könnten, ist geblieben.

Redaktion Redakteurin Südhessen Morgen

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