Biblis. Bis zum Meer braucht er eine halbe Stunde, bis zum Wasserfall in den Bergen nur zehn Minuten: Hadryan Frassetto steht im Eiscafé und schwärmt von seiner Heimat. Aus Santa Catarina im Süden Brasiliens kommt der 35-Jährige, heimisch fühlt er sich aber genauso in Biblis, betont er. „Ich komme aus einem Dorf und lebe hier in einem Dorf.“ Er lächelt. Nahezu jeden Tag steht er viele Stunden hinter der Theke, formt Eiskugeln auf knusprige Waffeln, bereitet Milchshakes oder Cappuccino zu – und lauscht den Geschichten der Menschen.
„Ich liebe das. Und die Gäste“, sagt Frassetto lächelnd. Er findet rasch Kontakt zu seinen Kunden. Oft erzählen sie ihm ihre Sorgen und Nöte. „Es wird auch viel über Politik geredet hier.“ Die Bürgermeisterwahl in der Gemeinde sei natürlich ein großes Thema. Wer am Ende gewinnt? Frassetto zögert. „Das wird schwer.“ Er tippt auf eine Stichwahl. Abstimmen darf der 35-Jährige nicht, weil er bislang nur den brasilianischen Pass besitzt.
Kollegen aus seiner alten Heimat
Seit acht Jahren leitet er die Filiale von „Da Carlo“ in Biblis, zuvor habe er in der Hauptstelle in Darmstadt-Kranichstein im Eislabor gearbeitet. Von dort wird auch Biblis beliefert – und 13 weitere Filialen. „Viele Brasilianer arbeiten bei ,Da Carlo’.“ Es sei schwierig, für diese Arbeit Personal zu finden. Viele Kollegen kennt er sehr gut – sie stammen wie er aus Santa Caterina. Hadryan Frassetto kam über seinen Schwiegervater zum italienischen Arbeitgeber in Deutschland. „Ich verdiene hier mehr Geld als in Brasilien.“ Die Arbeit in der Gastronomie sei anstrengend, aber das mache ihm nichts aus. „Hygiene ist sehr wichtig, alles muss sauber sein.“ Oft gebe es Kontrollen, und Zwölf-Stunden-Schichten seien normal. Vor allem sonntags sei es stressig, wenn sich eine lange Schlange im Ortszentrum bildet. Aus der ganzen Umgebung kämen die Kunden, viele auch auf dem Fahrrad. „Die Bibliser kenne ich fast alle“, meint er stolz.
Inzwischen viele Freunde hier
„Früher war hier ein Reisebüro, und davor mal ein Lebensmittelgeschäft.“ Das hat Frassetto von seinen Kunden erfahren. Viele sind Stammgäste, manche kommen nur auf einen Kaffee und zum Plaudern vorbei. Eis schlecken vor allem die jüngsten Gäste, die kaum über die Theke schauen können. Noch wenige Tage, ab Montag kann der 35-Jährige die lange Winterpause bis Februar genießen. „Wir gehen immer für drei Monate nach Santa Catarina“, erzählt er. Nur dieses Jahr nicht, weil seine Frau schwanger sei. Im November komme das Baby, erzählt er strahlend.
„Wenn ich hier in Deutschland bin, vermisse ich Brasilien, und wenn ich dort bin, vermisse ich Biblis.“ Er lacht. Inzwischen habe er weit mehr Freunde in seiner neuen Heimat als in Südamerika. Einen ganzen Tag sei er immer unterwegs, bis er bei seinen Eltern und Geschwistern ankomme – mehr als 10 000 Kilometer entfernt: Dafür fliegt er über São Paulo nach Porto Alegre und fährt dann noch gut 300 Kilometer bis in sein Dorf. „Es hat nur 13 000 Einwohner – und ist doch größer als Biblis.“
Und was sagt er zu den fürchterlichen Bränden im Amazonasgebiet? „Diese Feuer gab es schon vor zehn Jahren, die Leute machen das extra.“ Er zuckt mit den Schultern. „Es müsste viel mehr Kontrollen geben, dann würde das aufhören.“ Im Norden sei ohnehin vieles ganz anders als in seiner Heimat im Süden. Wer nach Brasilien in Urlaub fahren wolle, könne sich Rio de Janeiro daher sparen: „Dort steht nur die Christus-Statue, bei uns ist es viel schöner.“ In den Bergen seien herrliche Wanderungen möglich, schöne Strände gebe es dort auch – und weniger Kriminalität. Nicht weit von seiner Heimat liege Blumenau, dort sei sogar eine deutsche Schule zu finden. „Und sie feiern Oktoberfest.“
Umweltschutz wichtig
Dass der Umweltschutz in Deutschland wichtig ist, gefällt ihm. In seiner Eisdiele zeigt er auf Becher und Löffel aus Biokunststoff: Die Maisstärke baue sich in einer Kompostieranlage nach ein paar Wochen ab. „Früher hatten wir jeden Tag fünf oder sechs große blaue Säcke voller Müll, das ist jetzt vorbei“, freut sich Frassetto.
Der vierjährige Ben stürmt herein. Er liebt Milchshakes. „Wieder mit Pfefferminz-Schoko-Eis?“ fragt der 35-Jährige und greift zum Mixer. Der Junge nickt und schlürft kurz darauf genüsslich die süße Mischung aus dem Becher. Frassetto lacht wieder und nimmt den Kleinen auf den Arm. Die beiden mögen sich.
Deutsch gelernt habe er erst hier, erzählt der Brasilianer. „Am Anfang war es schwer, aber jetzt geht es. In einer Schule war ich dafür nie.“ Darauf ist er stolz. Von den Biblisern fühlt er sich ohnehin gut verstanden.