Rückbau

Ein Stück Bibliser Geschichte verschwindet

Erst als die Hammerschläge die letzte der sechs Stützen treffen, gibt der Kühlturm nach. Um 11.29 Uhr fällt er in sich zusammen. Leise, fast lautlos, in Sekundenschnelle.

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Petra Schäfer
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Von einem der beiden Kühltürme bei Block A sind nur noch die Reste zu sehen. Der Zweite (l.) soll ebenfalls im Februar abgerissen werden. © Bernhard Zinke

Biblis. Erst als die Hammerschläge die letzte der sechs Stützen treffen, gibt der Kühlturm nach. Um 11.29 Uhr fällt er in sich zusammen. Leise, fast lautlos, in Sekundenschnelle. Fotografen halten den Moment für die Ewigkeit fest. Die Kraftwerksgeschichte in Biblis geht augenfällig zu Ende.

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Auf dem Parkplatz des Kraftwerks haben sich Christof Lewalter aus Hofheim und Heinz Lahr aus Nordheim ein Plätzchen gesucht, von dem aus sie einen guten Blick auf den Kühlturm haben. Beide waren Mitarbeiter des Kernkraftwerks. „Das war für viele Menschen ein sehr guter Arbeitgeber. Nicht nur für die Stammbelegschaft. Hier haben während der Revisionen zusätzlich Tausende gearbeitet“, sagt Heinz Lahr.

„RWE war hier einer der größten Arbeitgeber“, betont auch Christof Lewalter mit Blick auf die ganze Region. Das Kraftwerk habe viele gut bezahlte Jobmöglichkeiten geboten. „Die fehlen jetzt hier in Biblis,“ sagt Heinz Lahr, der inzwischen Rentner ist. Christof Lewalter hat sich als Ingenieur selbstständig gemacht. Wer heute einen guten Beruf erlernen und ausüben wolle, müsse nach Frankfurt, Mannheim oder nach Ludwigshafen zur BASF.

Auf dem Parkplatz steht auch Wolfgang Kissel aus Biblis. Der Rentner denkt gern an sein Arbeitsleben im Kraftwerk zurück. „Ich habe zunächst Schriftsetzer gelernt. Und dann gab es diesen Beruf nicht mehr,“ erzählt er. Wolfgang Kissel fing daraufhin beim Kraftwerk an, wo er unter anderem Besuchergruppen durch die Anlage führte. Auch in den Kühltürmen hatte er regelmäßig zu tun. „Als hier zusammen mit den Fremdfirmen zeitweise um die 2000 Menschen gearbeitet haben, da hat die ganze Region daran verdient. Ob das die Geschäfte waren oder die Vermieter. Das fehlt heute,“ macht er deutlich.

Dass nach der Nuklearkatastrophe 2011 im japanischen Fukushima dann in Deutschland die beiden Bibliser Meiler abgeschaltet wurden, kann Wolfgang Kissel nicht nachvollziehen. In Japan hatten ein verheerendes Erdbeben und der nachfolgende Tsunami die Anlage in Fukushima beschädigt. Eine Tochter von Wolfgang Kissel, die früher auch im Kraftwerk beschäftigt war, begleitet ihren Vater am Donnerstag zum Abriss des Kühlturms. „Der Tsunami hat auch mich hier aus dem Betrieb hinaus gefegt“, sagt sie.

Konstantin Großmann, der Vorsitzende der Bibliser Gemeindevertretung, verfolgt zusammen mit Anlagenleiter Ralf Stüwe das Geschehen von einem Verwaltungsgebäude aus. „Auf der Fahrt hierher habe ich viele Menschen auf dem Josefsbuckel und auf den Feldern gesehen, die sich das auch anschauen wollten.“ Biblis habe in den vergangenen Jahrzehnten enorm von RWE profitiert. „Schon allein durch die Gewerbesteuer.“ Aber auch durch Geschenke. „RWE hat Biblis die Pfaffenauhalle gespendet, die Halle hat eine Million D-Mark gekostet.“ Und RWE bleibe ein wichtiger Ansprechpartner. „Denn das Kraftwerksgelände gehört RWE. Auch der Gemeinde gehören im Umfeld Grundstücke.“ Große Firmen hätten Interesse an dem Standort und schon beim Landrat angeklopft. „Dazu gehören Batteriehersteller und Samsung. Dieses Gelände ist ein ungeschliffener Diamant“, sagt Konstantin Großmann. Die vorhandene Anbindung an Schiene, Straße und Schifffahrt spreche für sich.

Auf die gute Lage und Erreichbarkeit des Kraftwerksgeländes weist Bürgermeister Volker Scheib auf Nachfrage dieser Redaktion hin. „Der Rückbau ist eine Chance, dass neue Arbeitsplätze entstehen können.“ Bei der künftigen Nutzung des Areals sei es wichtig, dass die Interessen der Gemeinde Biblis berücksichtigt werden. Verkehrswege müssten betrachtet werden, wie die Ortsdurchfahrt von Wattenheim.

Ein Grund zum Feiern sieht Kernkraftgegner Erhard Renz nicht, als wir ihn telefonisch in Bürstadt erreichen. „Das heute ist nur Kosmetik. Wir werden am 15. April feiern, wenn das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet wird.“ Ohne die Kühltürme seien die Windräder auf der rheinland-pfälzischen Rheinseite besser zu sehen. „Sonnenkraft und Windkraft haben gesiegt“, sagt Erhard Renz. Lange habe die Politik besonders beim Ausbau der Photovoltaik große Fehler gemacht. Eine PV-Anlage habe sich lange Zeit „nur minimal rentiert“. Firmen in Deutschland hätten schließen müssen, in China habe die Branche dagegen geboomt. „Die Forschung zur Photovoltaik ist in Deutschland immer noch top. Die Leistung kleiner Module wird immer besser“, berichtet der Sonnenflüsterer begeistert.

Redaktion Redakteurin Südhessen Morgen

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