Interview

Verbandsdirektor Schlusche: Fläche ist in der Region Rhein-Neckar ein knappes Gut

Das Ziel der Landespolitik ist klar formuliert: Spätestens ab 2035 dürfen keine zusätzlichen Flächen für Wohn- und Gewerbeansiedlung verbraucht werden. Das stellt die Planer vor in der Metropolregion vor Probleme

Von 
Bernhard Zinke
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Linksrheinisch in Ludwigshafen konnten nicht alle Wünsche nach Flächenerweiterung erfüllt werden. © Bernhard Zinke

Das Ziel der Landespolitik Baden-Württemberg ist klar: Spätestens ab dem Jahr 2035 dürfen keine zusätzlichen Flächen für Wohn- und Gewerbeansiedlung verbraucht werden. Auch in der Verbandsversammlung der Region Rhein-Neckar spielte das Thema eine große Rolle. Der Verband Region Rhein-Neckar (VRRN) ist mit seinem Regionalplan dafür verantwortlich, wo und wie Flächen bebaut werden. Ein Gespräch mit Verbandsdirektor Ralph Schlusche.

Herr Schlusche, wann geht der Metropolregion die Fläche aus?

Ralph Schlusche: Dass Fläche ein knappes Gut ist, merkt man ja jetzt schon. Es gibt sowohl von der einen als auch von der anderen Seite den Vorwurf, dass wir zuviel oder zu wenig Fläche für Wohnen und Gewerbe ausweisen. In der jüngsten Verbandssitzung hat unser Leitender Planer Christoph Trinemeier ausgeführt, dass Nachhaltigkeit aber auf drei Säulen ruht: Es gibt die ökologische, aber auch die ökonomische und die soziale. In der Regionalplanung müssen wir alle drei Säulen zusammenbringen.

Ralph Schlusche

  • Der Jurist Ralph Schlusche ist seit 2010 Direktor des Verbands Region Rhein-Neckar.
  • Er arbeitete zuvor im Landratsamt des Kreises Karlsruhe.
  • Schlusche ist Leiter der Verwaltung des Verbands Region Rhein-Neckar.
  • Der Verband ist gemäß dem Staatsvertrag der Bundesländer Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen unter anderem für die Regionalentwicklung und Regionalplanung verantwortlich.
  • Der Verbandsdirektor ist politischer Beamter und wird für acht Jahre gewählt. 2018 wurde Schlusche einstimmig im Amt bestätigt. 

Aber die Fläche ist ja irgendwann einmal endlich. Statistisch gesehen werden in Baden-Württemberg aktuell 6,2 Hektar pro Tag versiegelt.

Schlusche: Ich störe mich an dem Begriff „Flächenverbrauch“. Das klingt so, als ob die Flächen nicht mehr da wären. Sie werden lediglich einer neuen Nutzung zugeführt. Und diese Nutzung ist ja auch wieder umkehrbar. Das sehen wir ja aktuell beim Thema Konversion in der Region. Im Wohnbereich werden ja auch nicht 100 Prozent dieser Fläche versiegelt. Da entstehen auch Grünflächen. Deswegen lautet das Ziel auch „Netto Null“. Das bedeutet ja nicht automatisch, dass es keinen Zuwachs mehr gibt. Das kann auch bedeuten: Es muss eine Fläche entsiegelt werden, damit eine andere versiegelt werden darf.

Haben wir in der Metropolregion tatsächlich einen wachsenden Flächenbedarf? Sind wir Zuzugsregion?

Schlusche: Eindeutig ja. Wir registrieren ein Bevölkerungswachstum, nicht aus einem Geburtenüberschuss heraus, sondern durch Zuzug. Wir sind nach wie vor eine interessante Region für viele Menschen. Diesen Zuzug müssen wir gerecht in der Region verteilen. Schon seit der letzten Planaufstellung herrschte der Konsens, dass wir keine Angebotsplanung, sondern eine Bedarfsplanung machen. Die Kommunen müssen uns schon nachweisen, dass sie einen echten Bedarf haben.

Wie funktioniert das konkret?

Schlusche: Wir versuchen, das Bevölkerungswachstum unter einen Hut zu bekommen mit den heutigen Ansprüchen an die Wohnsituationen. Der oder die Einzelne beansprucht heute mehr Fläche fürs Wohnen als vor 20 oder 30 Jahren. Es gibt deutlich mehr Single-Haushalte. Früher wurden Häuser gebaut für Familien mit zwei, drei oder vier Kindern. In denen wohnen heute nur noch die Eltern. Es gibt also einen Bedarf. Für jede Gemeinde, die diesen Bedarf anmeldet, schauen wir, welches Potenzial noch vorhanden ist. Nur wenn der Bedarf das Potenzial übersteigt, reden wir darüber, wo wir eine neue Fläche finden können.

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In der Verbandsversammlung, die den Regionalplan beschließt, sitzen lauter Landräte und Bürgermeister, die auch ein großes Interesse am Wachstum der eigenen Gemeinde haben. Mehr Bürger bedeutet schließlich auch höhere Anteile an der Einkommenssteuer, letztlich mehr Geld für die Gemeinde.

Schlusche: Das kann man so sehen, muss man aber nicht.

Warum?

Schlusche: Zwar sind die Bürgermeister – über die Parteigrenzen hinweg – eine große Fraktion. Aber sie sind nicht die größte. Und sie gehören unterschiedlichen politischen Fraktionen an. Es stellt sich heute auch keiner mehr hin und fordert pauschal mehr Wachstum. Auch das hat die jüngste Verbandsversammlung im Dezember gezeigt. Einige Fraktionen wie die Grünen, aber auch die Linke und Piraten legen den Finger ja in die Wunde. Und die anderen Fraktionen, die die maßvolle Ausweisung von Wachstum befürworten, halten den sparsamen Umgang mit Fläche auch nicht für Unsinn. In Ludwigshafen und Frankenthal haben wir beispielsweise nicht alle Wünsche erfüllen können – meines Erachtens mit guten regionalen Gründen. Am Ende gehen wir nun mit fast einem Drittel weniger Flächen in die zweite Offenlage, als angemeldet worden ist. Alleine daran sieht man, dass der Regionalplan kein Wunschkonzert ist.

Ist das Gewicht derer, die den Flächenverbrauch im Rahmen der Regionalplanung kritisieren, stärker geworden?

Schlusche: Das kann man mit Fug und Recht behaupten. Das Drittel der Flächen, die wir nicht weiter verfolgen werden, sind zu 90 Prozent aus Belangen des Freiraumschutzes und der Landwirtschaft herausgefallen. Das ist wenig überraschend. Die Landwirtschaft hat, wenn’s um den Freiraum geht, den höchsten Flächenanteil. Auch das muss man sagen: Der Freiraumschutz der Landwirtschaft ist der Belang, der am wenigsten geschützt ist. Wald ist nahezu unantastbar, auch Naturschutzgebiete haben einen sehr hohen Schutzstatus. Die Landwirtschaft kann diesen hohen gesetzlichen Freiraumschutz nicht ins Feld führen.

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Da dürfte den Landwirten die Forderungen der Politik nach Freiflächen für Photovoltaik auch nicht gefallen.

Schlusche: Wir müssen die Ausweisung von Vorbehalts- und Vorranggebieten für Freiflächenphotovoltaik und Windkraft in diesem Jahr aber verstärkt angehen. Bund und Länder haben konkrete Flächenziele vorgegeben, nämlich rund zwei Prozent. Da braucht man sich nichts vorzumachen: Hauptbetroffener bei den Freiflächenphotovoltaikanlagen wird die Landwirtschaft sein. Deponieflächen und Randstreifen entlang der Autobahnen werden nicht ausreichen, um das vorgegebene Flächenziel zu erreichen. Wir werden auch auf landwirtschaftliche Flächen zugreifen müssen. Es sind im Grunde zwei gegenläufige, aber hochrangige Ziele: Der Schutz der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion auf der einen Seite und der Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem Klimaschutz auf der anderen.

Nochmal zurück zum Flächen-verbrauch: Bis zum Jahr 2035 soll die Netto-Null stehen …

Schlusche: Ja, das steht so auch im Koalitionsvertrag der Landesregierung von Baden-Württemberg.

… das bedeutet aber trotzdem eine Änderung der Planung bis 2035?

Schlusche: Da müssen wir erstmal abwarten, wie der Begriff „Netto Null“ ganz konkret ausgestaltet wird. Da brauchen wir noch Hinweise. Und Netto Null heißt ja auch nicht, dass gar kein Gelände mehr neu für Wohnen und Gewerbe ausgewiesen wird. Es wird um Fragen gehen wie: Wie viel Fläche darf versiegelt werden, wenn andere Fläche entsiegelt wird? Ob das dann regional oder landesweit gerechnet wird, muss erst noch geklärt werden. In den Koalitionsverträgen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind auch die Themen Ausbau Erneuerbare Energien und bezahlbarer Wohnraum festgeschrieben. Beide Themen werden Flächen „verbrauchen“. Übrigens wird bei der ganzen Diskussion auch immer wieder übersehen, dass wir bei der Regionalplanung den Schwerpunkt auf Innen- vor Außenentwicklung setzen. Wenn eine Gemeinde einen nachvollziehbaren Flächenbedarf anmeldet, schauen wir immer zuerst auf das Potenzial im bereits bebauten Gebiet.

Wenn wir den Schwerpunkt auf die Innenentwicklung legen: Muss künftig höher gebaut werden, um die verfügbare Fläche besser ausnutzen zu können?

Schlusche: In dem Regionalplan gibt es eigene Planansätze über die Siedlungsdichte. In den großen Städten unseres Ballungsraums wird es schon alleine der Markt richten. Aber auch in den eher ländlich geprägten Kommunen wird es ein Umdenken geben müssen, dass die bevorzugte Wohnform eben nicht mehr das frei stehende Einfamilienhaus oder die Doppelhaushälfte sein wird. Gedanken dazu, wie wir in Zukunft bauen und wohnen wollen, sind unabdingbar.

Autor Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

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