JVA Mannheim

Selbstmord eines Angeklagten in Mannheimer JVA: Tragisches Ende der Wahrheitsfindung

Im Prozess um die Frauenleiche im Kofferraum wird es kein Urteil geben: Der angeklagte Ehemann hat sich in der Gefängniszelle erhängt. Was Fragen offen lässt

Von 
Michaela Roßner
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Der 66-jährige Angeklagte im Mordprozess um eine Frauenleiche im Kofferraum hat sein Leben in der JVA Mannheim selbst beendet. © Bernhard Zinke

Mannheim/Sinsheim.

Am Montag sollten Justizmitarbeiter wieder Saal 1 des Heidelberger Justizzentrums aufschließen. Der Angeklagte hätte mit seinen Verteidigern auf der einen Seite Platz genommen, gegenüber die Nebenkläger, die Oberstaatsanwältin und der psychiatrische Gutachter, der sein Bild von der Schuldfähigkeit des 66-Jährigen gezeichnet hätte. Vielleicht hätte wieder das großformatige Foto der Getöteten, 43 Jahre lang Ehefrau des Angeklagten, auf dem Tisch der Kinder gestanden, dem Angeklagten direkt im Blick. Der siebte von zunächst acht geplanten Verhandlungstagen sollte das Ende der Beweisaufnahme bringen. Für Dienstag waren die Plädoyers und das Urteil vorgesehen. Der Suizid des Angeklagten am Wochenende in der Mannheimer Justizvollzugsanstalt (JVA) setzt einen brutalen Schlusspunkt in der Wahrheitsfindung. Einen, der viele Fragen offenlässt - besonders für die Angehörigen.

In der Zelle stranguliert

„Herr G. wurde am 4. Februar gegen 7 Uhr tot in seiner Zelle aufgefunden“, bestätigt Holger Schmitt, Leiter der JVA Mannheim. „Aus unserer Sicht spricht alles dafür, dass er sich durch Selbststrangulation das Leben genommen hat.“ Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen zur Todesursache des wegen Mordes an seiner Frau angeklagten Rentners eingeleitet.

Hilfe bei Suizidgedanken

Normalerweise berichten wir nicht über Suizide. Dies gibt der Pressekodex vor. Ausnahmen sind zu rechtfertigen, wenn es sich um Vorfälle von erhöhtem öffentlichen Interesse handelt. Wenn Sie verzweifelt sind und in einer bedrückenden Lebenssituation keinen Ausweg sehen: Suchen Sie sich Hilfe. Das kann ein Gespräch mit Angehörigen oder Freunden sein, oder professionelle Unterstützung:

  • Das Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) bietet einen Notdienst für Menschen in psychischen Krisen an, der rund um die Uhr besetzt ist. Die telefonische Erreichbarkeit erfolgt unter der Nummer 0621 / 1703-7777. Die Erreichbarkeit vor Ort: J5, Therapiegebäude, Erdgeschoss, separater Eingan neben dem Haupteingang.
  • Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention bietet ein Info-Telefon an, das unter der Rufnummer 0800 / 33 44 533 zu erreichen ist. Weitere Informationen finden Sie hier.
  • Die Telefonseelsorge ist 24 Stunden unter der Rufnummer 0800 1110111 erreichbar. Weitere Infos zur Telefonseelsorge gibt es hier.
  • Caritas Deutschland bietet eine online eine Beratung für suizidgefährdete junge Menschen (U25) an. Weitere Infos gibt es hier.
  • Hilfe – auch in türkischer Sprache – bietet das muslimische Seelsorge-Telefon "MuTeS" unter 030/44 35 09 821. Die Mitarbeiter dort sind 24 Stunden am Tag erreichbar. Weitere Infos dazu finden Sie hier.

Am Montagnachmittag sollte der Leichnam obduziert werden. Die Anklage hatte dem Sinsheimer vorgeworfen, im Juni 2022 im gemeinsam bewohnten Haus seine Frau mit einem schweren Tatwerkzeug tödlich am Kopf verletzt zu haben. Danach sollte er die Leiche im Kofferraum des Autos der Frau zu einem Parkplatz im Industriegebiet gefahren und den Wagen abgestellt haben. Dort wurde die Tote in der folgenden Nacht gefunden. Als Motiv nahm die Anklage Habgier an; der Mann habe es auf die Hinterbliebenenrente seiner Frau abgesehen.

Blick in das Innere des JVA Mannheim. © Sebastian Koch

„Wir sind zutiefst betroffen“, formuliert Jens Klein, der mit seiner Kollegin Iris Lemmer die Verteidigung des Rentners aus Sinsheim übernommen hatte. Am Freitagnachmittag war die Verhandlung auf Wunsch der Verteidigung zwei Stunden unterbrochen worden. Die beiden Anwälte führten ein langes Gespräch unter sechs Augen mit ihrem Mandanten, analysierten vermutlich die zusammengetragenen Indizien und den Stand des Verfahrens. Der gelernte Schlosser im Ruhestand, der am ersten Verhandlungstag so stolz über seine jahrzehntelange Berufstätigkeit gesprochen hatte, machte zu den Vorwürfen selbst dem Gericht gegenüber keine Angaben. Bei einer Verurteilung wegen Mordes hätte ihn eine lebenslange Haft erwartet, bei erwiesenem Totschlag mindestens mehrere Jahre im Gefängnis.

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Für alle Beobachter sichtbar, wirkte der Angeklagte mit jedem Verhandlungstag angeschlagener. „Er hatte abgenommen, schien während der langen Verhandlungstage abwesend, war sehr blass und hatte zuletzt offenbar mehrere Tage nicht geschlafen“, analysiert Anwalt Sven Höpp, der die Kinder des Angeklagten und der getöteten Seniorin als Nebenkläger vertrat und den beiden erwachsenen Kindern am Samstag die Todesnachricht überbrachte. „Wirklich sehr tragisch“, zeigt auch er sich betroffen.

Tod in der Zelle

Die Mannheimer JVA ist mit 608 Häftlingen im geschlossenen Vollzug nach der JVA Stuttgart inzwischen die zweitgrößte Justizvollzugsanstalt im Land.

Suizide kommen immer wieder in Gefängnissen vor.

2022 kam es laut Sprecherin des Justizministeriums zu zwölf Suiziden im baden-württembergischen Justizvollzug.

Bei dem Suizid in der JVA Mannheim handelt es sich um den zweiten Selbstmord in diesem Jahr. miro

„In der vergangenen Woche haben wir angeregt, dass unser Mandant in eine Gemeinschaftszelle gebracht wird.“ Das habe auch Oberstaatsanwältin Kerstin Anderson unterstützt. Der Verstorbene sei seit Mitte Oktober in einem Einzelhaftraum untergebracht worden, „nachdem eine gemeinschaftliche Unterbringung nach medizinischer und psychologischer Einschätzung nicht notwendig und daher auch nicht angeordnet war“, erklärt indes JVA-Leiter Schmitt. „Herr G. hatte während seiner Inhaftierung im Rahmen eines Gesprächskreises für rund zehn Untersuchungsgefangene, in dem über allgemein mit der Inhaftierung auftretende Probleme gesprochen wird, regelmäßig Kontakt zum Psychologischen Dienst“, erläutert der JVA-Chef weiter.

Kein Abschiedsbrief

Einen Abschiedsbrief oder eine entsprechende Äußerung gab es offenbar nicht. Als Schuldeingeständnis versteht Anwalt Höpp den Selbstmord nicht. Allerdings seien in der Beweisaufnahme starke Indizien auf den Tisch gekommen, etwa Blutspuren in der Garage oder die Tatsache, dass keinerlei Spuren von Unbekannten im Auto gefunden wurden. Möglicherweise sei mit jedem Prozesstag die Hoffnung des Angeklagten geringer geworden; Scham oder Stress seien zu groß geworden: „Wir konnten alle nicht in ihn hineinsehen.“ Höpp ist sicher, den Angehörigen hätte es ein zu Ende geführter Prozess leichter gemacht. Nun seien für sie viele Fragen offen geblieben. „Da saß jemand auf der Anklagebank, der sein Leben lang gut zu seinen Kindern war, der liebe Opa“, verweist er auf das Bild eines stets freundlichen Senioren und harmonischen Paares, das alle Zeugen gezeichnet hatten.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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