Weltkulturerbe

Kloster Lorsch - der Konzernsitz

Mannheim, Schwetzingen und viele weitere Orte wurden hier erstmals erwähnt – in Urkunden vom Kloster Lorsch, heute Weltkulturerbe

Lesedauer: 
Die Königshalle der früheren Abtei Lorsch, links hinten das Fragment der einstigen Basilika des frühen 12. Jahrhunderts. © Hermann - stock.adobe.com

Lorsch/Mannheim. Er hieß Trutbert. Und er tat es „auf göttliche Eingebung, zu meinem Seelenheil und um der Wiedervergeltung in der Ewigkeit willen“, wie er am 14. März 766 schriftlich festhalten ließ. Drei Joch Ackerland und ein Wiesengrundstück bringt er „als Opfergabe dar“, „für ewig“, aber „vollkommen freiwillig“, wie er versichert. Notiert hat das ein Mönch des Benediktinerklosters Lorsch, doch das der Abtei geschenkte Land liegt im Dorf „Mannenheim“, heute die Großstadt Mannheim. Aber egal ob Mannheim, viele Stadtteile wie Feudenheim, Wallstadt und Seckenheim, der Heidelberger Stadtteil Rohrbach oder auch Schwetzingen – alle verdanken im „Lorscher Kodex“ erwähnten Schenkungen ihre ersten urkundlichen Erwähnungen.

Die erste Nennung eines Dorfs im Lorscher Kodex markiert den Beginn der schriftlichen Überlieferung – nicht unbedingt die Gründung des Orts, die kann vorher, auch weit vorher erfolgt sein. Aber dennoch gelten die Aufzeichnungen der Mönche, da sie die jeweils älteste schriftliche Quelle sind, quasi als Geburtsregister für über 1000 dort verzeichnete Orte der Region.

Lorscher Kodex - 458 Seiten, geschrieben auf Kalbspergament 

Um den Lorscher Kodex anzufertigen, mussten 114 Kälber sterben – mindestens. Schließlich hat das Werk 458 Seiten, geschrieben auf Kalbspergament – und die Haut eines Tieres reichte für durchschnittlich vier Seiten.

Richtig in Händen halten kann man den Kodex ohnehin nicht. Das kostbare Original liegt in Würzburg, im bayerischen Staatsarchiv. Aber schon im Faksimile zu blättern, all die mehrfarbigen oder mit Gold verzierten Initialen, filigranen Schriften und Zeichnungen zu sehen, ist beeindruckend genug.

Erstmals gedruckt wurde es ohnehin nicht von den Mönchen, sondern erst Jahrhunderte später – unter dem Mannheimer Kurfürst Carl Theodor. August Lamey gab für die vom Kurfürsten gegründete Kurpfälzische Akademie der Wissenschaften 1768 bis 1770 das Werk heraus. Denn bereits damals erkannte man, welchen Wert diese Handschrift für die Region hat.

Manche nennen den „Codex Laureshamensis“, wie er offiziell heißt, einfach das Grundbuch der Region. Auch wenn der Kodex zudem Aufzeichnungen über alle Äbte des Klosters und seine Geschichte sowie liturgische Notizen enthält, ist das Herzstück die 3836 urkundlichen Eintragungen über – teils auch länger zurückliegende – Rechtsvorgänge wie Kauf oder Schenkung ab dem Jahr 764. Oftmals werden dazu ältere Urkunden zitiert.

Mehr zum Thema

Veranstaltungen

Lorsch, Speyer und Worms präsentieren sich beim Welterbetag

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
Erinnerung

Pfingstmontag vor 25 Jahren: Helmut Kohl in der Jesuitenkirche

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
Reiss-Engelhorn-Museen

Spuren von „Mannenheim“

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren

Meist ist es das Kloster selbst, dessen Besitzstand mit einer Eintragung dokumentiert wird. Denn damals ist es üblich, dass man der Reichsabtei immer wieder Land schenkt – um am jüngsten Tag, beim jüngsten Gericht besser dazustehen. Zudem bleibt man mit einer Schenkung durch die Eintragung auch über den Tod hinaus im Gedächtnis.

Doch nicht allein dadurch mehren die Mönche ihren Besitz. Auch wer nur über einen schmalen Streifen Land verfügt, von dem allein er nicht leben kann, übereignet ihn gerne dem Kloster, dem schon ein Nachbargrundstück gehört und das er als Lehen erhält. Bewirtschaften darf man danach beide Äcker, muss zwar einen Teil der Ernte abführen, aber dank der Fürsorge der Mönche bei Missernten nicht hungern. So entsteht das Sprichwort „Unterm Krummstab ist gut leben“.

Die Abtei erlangt auf diese Weise Grundbesitz von Graubünden bis zur niederländischen Nordseeküste. Es darf allein 120 Orte mit 900 teils edlen Weinlagen sein Eigen nennen, hat Markt- und Münzrechte sowie das Privileg, mit seinem Klosterschiff Waren zollfrei auf dem Rhein zu transportieren – von Basel bis zur Mündung, denn überall sind verstreute Ländereien.

Wirtschaftlich global aktiv

Vom 8. bis zum 10. Jahrhundert stellt Lorsch damit ein politisches wie wirtschaftliches und kulturelles Zentrum des Deutsches Reiches dar und eines der zehn bedeutendsten Klöster Europas. „Die Äbte waren die Topmanager dieser Zeit, die Klöster die Konzerne – mit weit verzweigtem Besitz, wirtschaftlich global aktiv, einflussreich“, beschreibt Hermann Schefers, Leiter der Welterbestätte Kloster Lorsch, das System in der Karolingerzeit.

Von den Anfängen des Klosters sieht man indes heute nur noch die Umrisse, von Landschaftsgärtnern aufwendig angelegt. Aber ein Jahr nach der Gründung 764 durch Angehörige der fränkischen Oberschicht erhält es aus Rom Reliquien des mailändischen Märtyrers Nazarius – seinerzeit die Garantie, dass Pilger strömen, womit ein rascher ökonomischer Aufstieg einhergeht. Und so kommt es. Das Kloster expandiert rasch, wird 767 bis 774 auf eine eiszeitliche Flugsanddüne, ein paar hundert Meter Luftlinie vom Gründungsort entfernt, verlegt. Es untersteht Karl dem Großen direkt, hilft ihm bei der Verwaltung des Reiches, genießt Immunität und dient den Kaisern als Zwischenstation auf ihren Reisen. Rund zwanzig Herrscherbesuche gibt es vor 1090, 1052 sogar die Visite eines Papstes (Leos IX). Das Kloster wird auch Grablege des ersten „deutschen“ Königs und seiner Dynastie. Ludwig der Deutsche, sein Sohn Ludwig der Jüngere (gest. 882), sein Enkel Hugo (gest. 879) sind hier bestattet worden.

Filiale in Heidelberg

In seiner Blütezeit errichtet Lorsch Filialkloster auf dem Heiligenberg bei Heidelberg (1023), um 1130 das Kloster Neuburg bei Heidelberg, das noch als Benediktinerabtei besteht. Erst in diesen Jahren, als das Kloster floriert, legen die Mönche den „Lorscher Kodex“ an (1170 und 1195) – selbst wenn Vorgänge beurkundet werden, die vorherige Jahrhunderte betreffen. So will das Kloster seine Rechte langfristig sichern.

Doch vergeblich. 1229 verlieren die Benediktiner nach einem Streit das Lorscher Kloster; der Papst unterstellt es dem Mainzer Erzbischof. 1232 bis 1248 arbeiten Zisterzienser in der Abtei, 1248 folgen ihnen Prämonstratenser aus Allerheiligen im Schwarzwald. 1461 geht das Kloster an die Kurpfalz, und als 1556 Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz die Reformation durchsetzt, löst er das Kloster auf und verleibt die renommierte Bibliothek seiner Heidelberger „Bibliotheca Palatina“ ein.

Zwar lebt das Kloster noch einmal kurz auf, aber im Dreißigjährigen Krieg verwüsten spanische Truppen die Klosteranlage. Danach dient sie als Steinbruch. Die machtvolle Königshalle indes mit ihrer weltberühmten Sandsteinfassade und den Wandmalereien, das Fragment der Basilika und die riesige, 500 Meter lange Klostermauer strömen immer noch eine besonders eindrucksvolle Aura aus und lassen deutlich werden, welch ein machtvolles Zentrum Lorsch im frühen Mittelalter war. Es ist eines der wenigen Denkmäler aus der Zeit der Karolinger, das über die Jahrhunderte hinweg sein ursprüngliches Aussehen bewahrt hat, und daher 1991 als UNESCO-Welterbe anerkannt worden und kümmert sich seither intensiv um die Vermittlung kulturellen Erbes.