Walter Serif - über das bedingungslose Grundeinkommen, das die staatlichen Sicherungssysteme ersetzen könnte Sozialstaat ade?

Walter Serif über das bedingungslose Grundeinkommen, das die staatlichen Sicherungssysteme ersetzen könnte

Veröffentlicht
Kommentar von
Walter Serif
Lesedauer

Auch in der Pandemie gibt es Verlierer und Gewinner: Der Gastwirt macht weniger Umsatz, muss aber dennoch den Vermieter bezahlen, der selbst in der Krise sein Geld bekommt. Der Kurzarbeiter kassiert bis zu 87 Prozent seines Lohns und behält den Job. Wer arbeitslos wird, ist dagegen nicht nur seine Stelle los, er kriegt höchstens 67 Prozent.

Unternehmer und Erwerbstätige erfahren gerade in der Pandemie am eigenen Leib, dass auch der Fleißigste ohne Selbstverschulden den Existenzkampf verlieren kann und Hartz-IV-Bezieher keine Faulenzer sein müssen. Aber selbst Corona stufen wir noch immer als einen Ausnahmezustand ein und blenden dabei aus, dass irgendwie immer Krise ist. Finanzkrise, Schuldenkrise, Klimakrise. Die Pandemie könnte aber je nach Verlauf den Sozialstaat in besonderem Maße bedrohen, weil dieser ohne Wohlstand, Exporte und einem hohen Beschäftigungsgrad nicht bezahlbar ist.

Kein Wunder, dass die Politiker einen zweiten Lockdown unbedingt verhindern wollen. Eine Pleitewelle und Massenentlassungen würden den Staatshaushalt ruinieren. Der Finanzminister kann die Bazooka nicht ständig nachladen. Deshalb könnte die Pandemie auf die Sicherungssysteme wie ein Katalysator wirken. Wenn die Arbeitslosigkeit zu stark steigt, fehlen die Sozialbeiträge. Selbst eine Kürzung von Hartz IV käme nicht infrage, denn der Staat muss das Existenzminimum der Bürger auch in der Pandemie garantieren.

Aber selbst wenn es schon bald einen Impfstoff geben sollte, muss deshalb nicht alles wieder seinen geregelten Gang gehen. Corona hat ja auch der Digitalisierung einen neuen Schub verliehen. Der Online-Handel kommt mit weniger Arbeitskräften aus. Die Experten sind sich schon jetzt sicher, dass durch den Einsatz der künstlichen Intelligenz (KI) in Zukunft viele Arbeitsplätze wegfallen werden. Unsicher ist aber, ob genügend neue Jobs entstehen werden.

Pandemie, KI – während die Optimisten glauben, dass sich alles zum Guten wenden werde, sehen die Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens schon jetzt die Chance für den Umbau des Sozialstaats: Jeder bekommt nach ihren Vorstellungen pro Monat einen bestimmten Betrag ausgezahlt, der zwischen 1000 und 1500 Euro liegen könnte. Im Gegenzug würden alle Sozialleistungen wegfallen, damit auch das teure staatliche Kontrollsystem, das viele Milliarden Euro kostet, aber dennoch die Armut nicht verhindert, wie die Statistiken zeigen. Bezahlen ließe sich das bedingungslose Grundeinkommen zum Beispiel mit Sondersteuern auf Konsum oder Aktien und Einsparungen in der Bürokratie.

Klingt genial, wird so aber wohl nicht kommen. Dass jemand das Grundeinkommen ohne den Zwang erhält, etwas dafür tun zu müssen, passt nicht in unsere Gedankenwelt. Und dass jemand ohne Zwang arbeiten gehen würde, auch nicht. Wir müssten da schon umdenken.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

Mehr zum Thema

Einzigartiges Pilotprojekt (mit Umfrage) Bedingungsloses Grundeinkommen: 1200 Euro pro Monat - ein Traum?

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Pandemie Verwirrung um neue Regeln bei Corona-Bürgertests in Testzentren

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Entlastungen Wem hilft der Scholz-Gipfel?

Veröffentlicht
Mehr erfahren