Auf das lähmende Entsetzen folgte erst Stunden später leise Entwarnung. Der Fußball ist beim Drama um den kollabierten dänischen Star Christian Eriksen nur knapp einer Katastrophe entgangen – dank des heldenhaften Einsatzes seiner Mitspieler und der Mediziner konnte der 29-Jährige wiederbelebt werden und befindet sich wieder in einem stabilen Zustand. Zum Glück. Wäre es anders gekommen, hätte sich über die EM schon kurz nach ihrem Start ein schwerer Schatten gelegt, der es fast unmöglich gemacht hätte, dieses Turnier weiterzuspielen. Dass die Partie nach dem traumatischen Ereignis in Kopenhagen allerdings noch am gleichen Abend fortgesetzt wurde, dafür hat Gladbachs Profi Christoph Kramer als ZDF-Experte das einzig Richtige gesagt. Es war „Wahnsinn“, im schlechtesten Sinn dieses Wortes.
Die UEFA verweist in ihrer Argumentation darauf, dass sie die Entscheidung in die Hände der dänischen und finnischen Spieler gelegt habe. Das ist eine zynische Schutzbehauptung. Natürlich hat der Veranstalter eine Fürsorgepflicht für alle Beteiligten, und wer gerade miterleben musste, dass ein guter Freund um sein Leben kämpft, der kann nicht kurz danach wieder in den Wettkampf zurückkehren. Und auch nicht am nächsten Mittag. Das ist eine Frage der Menschlichkeit, bei der die UEFA fürchterlich versagt hat. Der europäische Verband hat eine große Gelegenheit ausgelassen, zu zeigen, dass der Fußball seine Lektion in der Corona-Pandemie gelernt hat: dass es weitaus wichtigere Dinge gibt als den Sport, dass er für universelle, unantastbare Werte und nicht nur für Geschäft und Geld steht. Schade.
Hunderte Fußballer gestorben
Eriksen verdankt sein Leben indes vor allem der Tatsache, dass die medizinische Ausstattung in den Stadien, zum Beispiel mit Defibrillatoren, in den vergangenen 15 Jahren enorm verbessert wurde. Als das Herz des Kameruners Marc-Vivien Foé im Halbfinale des Confed Cup im Jahr 2003 gegen Kolumbien versagte, standen diese Möglichkeiten noch nicht zur Verfügung. Er starb.
Ein Herzstillstand soll nach Angaben seiner Ärzte auch Eriksens Kollaps verursacht haben. Diese erste Diagnose nach dem Drama im Parken wirft ein Schlaglicht auf ein weithin zu wenig beachtetes Phänomen. Laut Recherchen der ARD-Dopingredaktion und von Correctiv sind in den vergangenen Jahren hunderte Fußballer am plötzlichen Herztod gestorben, vor allem im Amateurbereich. Die Gründe dafür liegen noch weitgehend im Dunkeln. Indizien deuten auf eine erhöhte Gefährdung durch den regelmäßigen Konsum von Schmerzmitteln hin, auch die mittlerweile grenzwertige körperliche Belastung im Spitzenbereich gilt als Risikofaktor. Es wäre höchste Zeit, dass in diesem Bereich neue Studien angestrengt werden – auch mit Blick auf mögliche Spätfolgen nach Covid-19-Infektionen bei Spitzensportlern.
Eriksens Mitspieler werden Zeit brauchen, um das Erlebte zu verarbeiten. Die EM ist für Dänemark wohl vorbei, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat. Aber das wird den Dänen völlig egal sein: Hauptsache, ihr Freund wird wieder komplett gesund.
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nach dem Drama um Eriksen: Die UEFA hat zynisch gehandelt