Lieber gar nicht als verkrampft

Peter W. Ragge zur Absage der Fasnacht und den Folgen

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Peter W. Ragge
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Als „Brandbeschleuniger“ wurde sie bezeichnet: Eine Karnevalssitzung hat in Heinsberg im Februar eine derart große Zahl von Corona-Infektionen ausgelöst, dass Ärzte der Region von „bedrohlichen Ausmaßen“ geschrieben haben. Damit geriet die Narretei weit über den nordrhein-westfälischen Landkreis kräftig in Verruf, für Massenerkrankungen zu sorgen.

Daher konnte die Mannheimer Karnevalskommission jetzt gar keine andere Entscheidung treffen, als die nächste Kampagne abzusagen. Mancher Fasnachter mag das als verfrüht bedauern – aber mit einer Hängepartie, die viele Akteure und andere Vertragspartner noch lange im Unklaren lässt, wäre niemandem gedient gewesen.

Auch wenn derzeit die Zahl der neuen Erkrankungen stark zurückgeht, ist das Virus weiter gefährlich. Das wird sich bis Januar nicht ändern. Daher ist es nur konsequent, gerade auf solche Events zu verzichten, bei denen die Menschen in Räumen eng zusammensitzen – denn sie haben sich, wie aktuelle Beispiele aus Frankfurt, Leer und Göttingen zeigen, als extreme Ansteckungsherde erwiesen.

Folgen für die Gesellschaft

Aber Fasnacht ohne Nähe, ohne Schunkeln, ohne gemeinsames Singen, ohne eng miteinander agierende Gardetänzer und Stimmungsmacher ist öde und keine richtige Fasnacht. Dann lieber gar nicht als verkrampft – und mit weiter bestehendem Ansteckungsrisiko. Daher haben die Mannheimer Fasnachter jetzt völlig richtig entschieden, auch wenn es schmerzt. Andere Karnevalisten im Rheinland dagegen eiern noch herum – was verantwortungslos ist und falsche, unerfüllbare Hoffnungen weckt.

Nun wird nicht jeder bedauern, dass es keine Prunksitzungen gibt – Fasnacht polarisiert, hat bekanntlich nicht nur Fans. Doch der Entscheidung der Karnevalskommission kommt große Bedeutung weit über Garden, Elferräte, Musikgruppen und ihr Publikum hinaus zu. Die Weichenstellung betrifft jetzt zwar nur die Fasnacht. Die Rahmenbedingungen sind indes für Oktoberfeste, Weihnachtsfeiern, Silvesterpartys und Frühlingsbälle ähnlich. Das macht drastisch deutlich, dass wir bis zu einem wirksamen Impfschutz noch über viele Monate hinweg von unserem gewohnten, liebgewonnenen Leben meilenweit entfernt sein werden.

Das wirft die Frage auf, wie das unsere Gesellschaft langfristig verändert. Nicht nur Karnevalsvereine sind ja derzeit zu weitgehender Passivität verdammt. Gesangvereine dürfen nicht singen, Sportvereine nur sehr eingeschränkt trainieren, Jugendfeuerwehren nicht üben, gesellige Treffen fallen aus, Vereinsgaststätten sind verwaist. Für eine Übergangszeit mag sich mancher mit Videos und Internet behelfen. Aber ob das ausreicht, den Zusammenhalt zu wahren, ist offen. Wenn sich aber Leute erstmal daran gewöhnt haben, dass eben kein Training und keine Singstunde ist – kommen sie dann wirklich wieder zurück oder bleiben sie auf dem Sofa? Das alles betrifft nicht nur die Fasnacht. Es zeigt, dass das Virus unser Zusammenleben ändert – leider wohl langfristig.

Redaktion Chefreporter

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