Kommentar Immer mehr Spektakel

Es gab einmal Tage, an denen schienen die Veranstalter der Tour de France zur Vernunft gekommen zu sein- doch der Trend dreht sich. Thorsten Hof zu den Auswüchsenbei der Tour de France.

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Thorsten Hof
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Es gab einmal Tage, an denen schienen die Veranstalter der Tour de France zur Vernunft gekommen zu sein. Kürzere Etappen, längere Ruhezeiten, weniger Transfers – mit Maßnahmen wie diesen wollten die Organisatoren vor rund 15 Jahren die Räder tatsächlich so weit zurückdrehen, bis die ohnehin schon herausfordernde Tortur einer dreiwöchigen Landesrundfahrt mit Hochgebirgsetappen vielleicht doch irgendwie mit menschenmöglichen Mitteln zu absolvieren sei. Die Doping-Auswüchse in den Jahren zuvor hatten diesen Denkanstoß gegeben. Inzwischen muss dies allerdings als romantische Vorstellung abgehakt werden, denn in der jüngsten Historie geht der Weg nur noch in eine Richtung: hin zu den Extremen und zu noch mehr Spektakel.

In der ohnehin schon hypernervösen ersten Woche erhöhen Kopfsteinpflaster-Passagen den Nervenkitzel. Hier noch eine scharfe Kurve, da noch ein Anstieg und in den Bergen gerne eine Schotterpiste mit 20 Prozent Steigung. Der Wahnsinn hat offenbar Methode, wobei es das größte und wichtigste Radrennen der Welt eigentlich gar nicht nötig hätte, so an der Aufmerksamkeitsspirale zu drehen. Dennoch beugen sich die Tour-Macher dem Zeitgeist, der nicht nur hinauf nach L’Alpe d’Huez möchte, sondern täglich eine Show braucht, bei dem die Sportler nur noch Staffage sind.

Damit sind schwere Stürze vorprogrammiert, die Frage ist nur, wann es passiert und wen es trifft. Und das alles vor dem Hintergrund, dass auch Corona die Mannschaften wie zuletzt in der Schweiz gehörig ausdünnen wird. Kritische Stimmen aus dem Fahrerfeld, das sich im Vorjahr sogar zu einem kurzzeitigen Sitzstreik durchrang, werden maximal zur Kenntnis genommen. Schließlich stehen hinter jedem Tour-Starter jede Menge Profis, die alles dafür tun würden, um in Frankreich zu fahren und dort im Rampenlicht zu stehen. Und solange das so bleibt, sind die Tage der Vernunft weiter eine ferne Erinnerung.

Redaktion Sportredakteur, Schwerpunkte SV Waldhof, Rhein-Neckar Löwen.