Europa reibt sich die Augen. Noch beim Haushaltsgipfel im Februar 2020, also vor dem Ausbruch der Pandemie, gehörte die deutsche Kanzlerin zu den Sparmeistern der Union. Mehr Geld für die durch den Austritt der Briten klamme Gemeinschaft wollte auch Berlin nicht in die Hand nehmen. Gerade mal vier Monate und eine Covid-19-Krise später steht die Bundesregierung als Großinvestor des eigenen Landes und Europas da. Dieser Satz gilt auch dann noch, wenn man das hinter den Kulissen ausgebrochene Gezerre um Rabatte für die EU-Beiträge einbezieht. Will Berlin Nachlässe erreichen, sollte die Koalition das jetzt tun. Sobald Angela Merkel und ihr Kabinett am 1. Juli für sechs Monate die Ratspräsidentschaft übernommen haben, müssen sie vermitteln, anstatt in eigener Sache zu pokern.
Zumal die Hoffnungen auf Deutschland gerade in den Himmel wachsen. Denn wenn die hiesige Wirtschaft dermaßen befeuert wird, dürfte dies auch den Partnern zugutekommen, spekuliert man in den übrigen Hauptstädten. Noch vor wenigen Wochen gab es ganz andere Stimmen, die vor einer zu kraftvollen Bundesrepublik warnten, die ihre Partner in Grund und Boden wirtschaften könnte. Sie scheinen verstummt. Und in Berlin hat man erkennbar aus den Fehlern der Anfangszeit von Covid-19 gelernt, als sich ausgerechnet der Musterschüler mit nationalen Alleingängen Feinde machte.
Für die kommende deutsche Ratspräsidentschaft bedeutet das vor allem: Die Bundesregierung kann mit deutlich mehr Gewicht vor ihre Partner treten und auch von ihnen mehr Einsatz verlangen. Dabei geht es nicht ausschließlich um Geld, sondern um Ausgabendisziplin und einen klaren Kurs in den inhaltlichen Fragen. Nur ein gewichtiges EU-Mitglied wird in der Lage sein, den Green Deal durchzusetzen und die Zuwendungen an rechtsstaatliche und demokratische Bedingungen zu knüpfen.
Und lediglich eine engagierte Bundesregierung kann genügend Überzeugungskraft einbringen, um ein neues europäisches Asylsystem wenigstens auf den Weg zu bringen. Merkel ist längst klar, dass die EU in diesem fast schon existenziellen Tief nicht versagen darf, weil sie sonst zu Recht als Ganzes infrage gestellt wird. Diese Krise ist die Stunde der Zusammenarbeit. Diese darf man nicht nur auf Papier einfordern, sondern braucht dazu tatkräftige Solidarität. Allein der, der diese selbst einbringt, kann sie auch von anderen erwarten.
Natürlich weiß die Bundesregierung, dass ihr Einsatz Kreise ziehen wird. Auf dem Binnenmarkt geht es nicht nur darum, als Exportmeister anderen etwas zu verkaufen – was im Übrigen auch nur funktioniert, wenn sich andere deutsche Produkte leisten können. Wenn aber die unterbrochenen Lieferketten wieder in Gang kommen, profitieren nicht allein hiesige Unternehmen, sondern ganze Branchen überall in Europa. Auf diesen Effekt in Berlin und in anderen Hauptstädten zu setzen, macht einen gemeinsamen Wirtschaftsraum aus.
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Hoffnung
Detlef Drewes zur Wirkung des deutschen Hilfspakets in der EU: Die Investition kann der ganzen Staatengemeinschaft zugutekommen