Fast langweilig

Walter Serif über den Parteitag der Grünen am Wochenende in Bielefeld: Umfragen und Stimmung sind gut – nur die K-Frage gärt

Veröffentlicht
Kommentar von
Walter Serif
Lesedauer

Vor 20 Jahren ging es beim Kosovo-Parteitag um Krieg und Frieden – am Wochenende müssen sich die Grünen am selben Ort mit der kriegsentscheidenden Frage befassen, ob die Kassen die Kosten für homöopathische Globuli übernehmen sollen. Dies mag für manche ein Aufreger-Thema sein, aber früher haben die Grünen über brisantere Dinge gestritten. Zum Beispiel darüber, ob ein Liter Benzin fünf Mark kosten sollte (für die Jüngeren: Das wären heute rund 2,50 Euro).

Selbst beim Klimaschutz übertreiben es die Grünen nicht. Sie wollen eine CO2-Steuer von 40 Euro pro Tonne. Also zu Recht viel mehr, als Schwarz-Rot beschlossen hat (zehn Euro), aber deutlich unter der von Klimaforschern geforderten Marke von 180 Euro. Selbst die geplante sachte Abkehr von der schwarzen Null oder die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro – mit solchen Forderungen tun die Grünen weder sich noch den Wählern so richtig weh. Auf dem Parteitag in Ostwestfalen stehen keine Anträge auf der Tagesordnung, die die Grünen entzweien oder den Bürgern gar große Angst einjagen könnten.

Kein Wunder, dass im Vorfeld der Bundesdelegiertenkonferenz die Stimmung fast schon verdächtig gut ist. Die Partei liegt in den bundesweiten Umfragen seit längerer Zeit konstant bei rund 20 Prozent oder darüber – ein Ergebnis, das sie auch bei der Europawahl im Mai bestätigte. Doch letztlich ist das alles nur Vorgeplänkel. Die Grünen wollen bei der nächsten Bundestagswahl ähnliche Zahlen liefern, die ihnen den langersehnten Abschied von der Opposition bescheren sollen. Dort sitzen sie schon seit 2005, und man muss kein Sozialdemokrat wie Franz Müntefering sein, um zu wissen, dass Opposition „Mist“ ist. Wer allerdings zu früh träumt, vergisst, dass Politik keine Mathematik ist. 2018 wähnten sich die Grünen ja schon in einer Jamaika-Koalition. Der damalige Parteivorsitzende Cem Özdemir hatte sich gedanklich darauf vorbereitet, als Außenminister um die Welt düsen zu können. Jetzt darf er als Vorsitzender den Verkehrsausschuss leiten und sich mit Andreas Scheuers Maut-Chaos befassen. Die FDP machte das möglich.

Dass es bei den Grünen so gut läuft, liegt natürlich auch an der neuen Doppelspitze. Robert Habeck und Annalena Baerbock ergänzen sich seit ihrer Wahl 2018 als Parteivorsitzende gut und beweisen, dass Teamwork auch bei den Grünen funktionieren kann. Und die früheren Flügelkämpfe gehören offensichtlich der Vergangenheit an. Da macht sich – je nach Standpunkt – Langeweile oder Professionalität in der alten Krawallpartei breit.

Kann also gar nichts mehr die Grünen stoppen? Nun ja, es gibt schon einen Punkt, der das Duo Habeck/Baerbock auf die Probe stellen könnte. Die K-Frage. Als Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann in einem weniger lichten Moment Habeck zu seinem Lieblings-Kanzlerkandidaten erkor, erntete er einen parteiinternen Shitstorm. Inzwischen ist zwar wieder Ruhe eingekehrt, aber die Frage gärt. Habeck gehört bundesweit zu den populärsten Grünen-Politikern, aber nicht nur Frauen in der Partei meinen, dass Baerbock bei Sachthemen wie der Pendlerpauschale mehr drauf hat. Auch deshalb dürfte es interessant sein, wer in Bielefeld mehr Stimmen bekommt – selbst wenn dort „nur“ die Parteispitze und kein Kanzlerkandidat gewählt wird.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft