Ihm drohte der Tod – damals, vor genau 500 Jahren, in Worms. Martin Luther sollte vor dem Kaiser seine Thesen widerrufen oder der Reichsacht anheimfallen, also rechtlos und geächtet sein. Aber er fürchtete sich nicht.
Sein Gewissen war stärker, sein Mut und seine Wut. Reliquienkult und Ablasshandel, die Selbstgefälligkeit der Priester und das luxuriöse Leben der Purpurträger stießen ihn derart ab, dass der kleine Augustinermönch sich weigerte, abzuschwören von dem, was er an der großen Kirche kritisierte. Der Bettelmönch blieb unbeugsam. Sein wagemutiger Auftritt löste jene weltweite Bewegung aus, die als Reformation die Kirche erneuerte.
Heute würde man zu dem, was Luther einst bewies, Zivilcourage sagen oder ihm bescheinigen, dass er Haltung bewiesen hat. Es droht zwar keine Reichsacht mehr. Aber der Vatikan springt immer noch nicht zimperlich mit allen um, die ihn kritisieren.
Doch selbst Deutschlands oberster Katholik wagt mittlerweile offene Kritik. Georg Bätzing, Vorsitzender der Bischofskonferenz, sagte kürzlich, das vatikanische Verbot der Segnung homosexueller Paare werde „in der Breite nicht mit einer Akzeptanz und einer entsprechenden Befolgung rechnen können“.
Das war, für katholische Verhältnisse, mutig, aber die richtige Umschreibung dessen, welchen Proteststurm das Verbot an der Basis ausgelöst hat. Schließlich ist die Stimmung da ohnehin aufgeheizt. Es gibt Irritationen, ja tiefe Verärgerung über Missbrauchsskandale, Vertuschung, kirchliche Finanzdebakel, männerbündlerisches Gehabe oder abgehobene, barocke Lebensweisen der oberen Kirchenfürsten, während das lebendige Gemeindeleben meist von viel zu wenigen Priestern und vielen engagierten Ehrenamtlichen getragen wird, die nichts zu sagen haben. Luther setzte dem einst das Priestertum aller Getauften entgegen, das Primat des Glaubens und des Gewissens über autoritäre Rituale. Solch eine Reformation bräuchten die Katholiken erneut, damit Freude und Zuversicht der Bibel wieder zur Geltung kommen.
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Die katholische Kirche braucht eine neue Reformation