"MM"-Debatte

Warum müssen wir die Pflege mehr wertschätzen, Herr Wendt?

Wer anderen helfen möchte, ergreift oft einen Pflegeberuf – und muss erfahren, dass der Arbeitsalltag von Druck und Personalmangel geprägt ist. Maximilian Wendt fordert: Der Mensch muss wieder im Mittelpunkt stehen. Ein Gastbeitrag.

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Maximilian Wendt
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Helfende Hände: In der Pflege gibt es derzeit zu wenige von ihnen, es mangelt an Personal. Darunter leiden vor allem die Patienten. © Istock/Monika Wandt

Der Berufszweig „Pflege“ ist das Fundament unseres im Vergleich zu anderen Ländern herausragenden Gesundheitssystems. Die Anforderungen an Pflegekräfte, egal ob in Pflege- oder Altenheimen, in Krankenhäusern oder in der ambulanten und mobilen Pflege, sind umfassend und vielseitig und reichen von den notwendigen „starken Nerven“ bis hin zur körperlichen Belastbarkeit, die tagtäglich gefordert wird.

Maximilian Wendt

  • Maximilian Wendt wurde 1987 in Nordrhein-Westfalen geboren. Nach dem Zivildienst im medizinischen Bereich machte er eine Ausbildung zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger.
  • Danach sammelte er Erfahrung in der ambulanten Krankenpflege sowie in der stationären psychosomatischen Rehabilitation, wo er als Pflegedienstleister einen Blick hinter die Kulissen der Pflege-Verwaltung werfen konnte.
  • Mit 30 Jahren beendete er seine pflegerische Karriere und trat eine Stelle im öffentlichen Gesundheitsdienst an.
  • Sein Buch „Warum die Pflege in Not ist. Erfahrungsberichte eines Gesundheits- und Kinderkrankenpflegers“ ist gerade im Verlag „Schwarzkopf & Schwarzkopf“ erschienen.

Die Betreuung und Pflege von Menschen aller Altersklassen ist auch deswegen herausfordernd, weil der Grundsatz der Betreuung im „Abholen des Pflegebedürftigen“ liegt. Das heißt, dass Pflegerinnen und Pfleger sich auf viele unterschiedliche Menschen und deren Ansichten, Bedürfnisse und Ängste einstellen müssen, um eine ganzheitliche Pflege gewährleisten zu können.

Denn die ganzheitliche Pflege, also nicht nur das reine Anlegen eines Wundverbands oder das Injizieren eines Medikaments, sondern auch die psychosoziale Betreuung. Denn auch das Eingehen auf die Sorgen und Nöte der Patienten ist ein Hauptbestandteil der heutigen Pflegetätigkeit. Nun kann man sich vorstellen, dass dies alleine schon eine Belastung darstellen kann, bekommt man somit ja auch viele Schicksale und Leidenswege mit, die einen nicht immer kalt lassen (können und sollten).

Zu diesem Tätigkeitsinhalt kommt dann aber natürlich noch die teils harte körperliche Arbeit. Die Menschen werden immer älter, aber auch immer schwerer. Als Pflegekraft ist man meist froh, wenn ein Patient unter 100 Kilogramm wiegt. Da die meisten Pflegefälle, also schwer erkrankten und eingeschränkten Menschen, durch ihre Bettlägerigkeit jedoch eher schwerer sind, können Sie sich einen Frühdienst im Krankenhaus oder Pflegeheim als recht schweißtreibend vorstellen. Natürlich gibt es Hilfsmittel. Doch aufgrund des zeitlichen Aufwands oder der nicht ausreichenden Anzahl vegetieren diese in irgendwelchen Abstellräumen dahin.

Besonders auf Stationen, auf denen Patienten viel Hilfe benötigen, steht das Pflegepersonal, meist deutlich unterbesetzt und patiententechnisch überbelegt, vor einer immensen Aufgabe. Die Pflegebedürftigen haben, wie viele Menschen, gerne ihren festen Rhythmus, was Tagesabläufe angeht. Manch einer möchte früh gewaschen und angezogen werden, ein anderer ist eher Langschläfer. All das muss die Pflegekraft nun im Organisationsablauf berücksichtigen – besonders vor dem Hintergrund, dass die Institution ja ebenfalls feste Rhythmen vorgibt, zum Beispiel wann das Essen serviert wird oder die ärztliche Visite stattfindet. Diese organisatorischen Konflikte muss die Pflegekraft kommunizieren und den damit verbundenen Unmut entgegennehmen, auch wenn dieser meist nicht persönlich gemeint ist oder so wahrgenommen wird.

All diese Aufgaben gilt es nun zu bewältigen. Und das mit einer durchschnittlichen Zeit von etwa fünf Minuten pro Patient und Schicht. Das permanente „auf Schelle laufen“, wenn also ein Patient Hilfe benötigt und den Stationsruf betätigt, sowie die Teilnahme an Visiten, das Ausarbeiten der Dokumentation, das Bereitstellen von Medikamenten, das Anreichen von Nahrung... und, und, und... noch gar nicht mit einberechnet.

All das stemmen sie nicht montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr sondern im Drei-Schicht-System, in einer Fünf- oder Sechs-Tage-Woche an mindestens jedem zweiten Wochenende und auch an Feiertagen. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass Pflegekräfte täglich sehr gefordert sind. Doch trotz der Wechselschichten und der Arbeit an Wochenenden und Feiertagen brauchen sie stets einen klaren Kopf und die nötige Konzentration. Denn sie tragen die Verantwortung für die Gesundheit und für die Leben anderer Menschen.

Und wenn Sie nun noch im Hinterkopf haben, dass seit Jahren ein Pflegenotstand besteht, der sich in erster Linie in Personalnot an allen Ecken und Kanten bemerkbar macht, dann ergeben sich noch viel größere Herausforderungen. Zum Beispiel, dass die vorab erwähnten Tätigkeiten teilweise ohne Pause umgesetzt werden müssen, was also bedeutet, dass diese über acht Arbeitsstunden im Akkord durchgezogen werden müssen. Wenn man Glück hat, schafft man es mal in sein Brot zu beißen oder auf Toilette zu eilen, im Normalfall ist das aber eher nicht drin.

Wenn dann Kollegen krank werden und man einspringen muss, weil sonst die Versorgung der Patienten nicht sichergestellt ist, arbeitet eine Pflegekraft auch mal 14 bis 20 Tage am Stück, jeglichen Schutzzeiten zum Trotz und das in Wechselschicht. Manchmal wachen Sie auf und wissen gar nicht mehr, welcher Tag es ist. Und das ist auf Dauer natürlich alles andere als gesund und erholsam. Dabei ist gerade die Erholung in einem so fordernden Beruf von größter Wichtigkeit.

Da sich diese Problematik aber wie erwähnt bereits seit etlichen Jahren hält, ist es kein Wunder, dass Pflegekräfte im Normalfall lediglich sieben bis acht Jahre im Beruf verbleiben, bevor sie aus gesundheitlichen Gründen, Frust oder dem Verlangen nach besseren Rahmenbedingungen die Branche wechseln.

Nun kommt die Wertschätzung ins Spiel, die als sogenannte extrinsische, also äußere Motivation dienen kann. Wenn nun Leute Dank und Lob äußern, dann macht das schon sehr viel aus, was die Laune und Leistungsbereitschaft angeht, da eben diese wertgeschätzt wird. Das fängt an mit einem „Danke“ nach der Versorgung durch die Pflegekraft, über die Packung Schokolade am Ende eines Aufenthalts oder zu besonderen Anlässen, sollte aber keinesfalls dort enden. Denn Pflegekräfte haben im Gegensatz zu einflussreichen Berufsgruppen wenig Fürsprecher im Bereich der Berufspolitik, wenn man von den großen Gewerkschaften absieht, die aber nicht den Hauptfokus auf den Pflegeberufen haben. Daher ist es unheimlich wichtig, dass die Wertschätzung, die die Gesellschaft den Pflegeberufen entgegen bringen sollte und muss, sich auch in Form von Fürsprache in Politik und öffentlichen Diskussionen zeigt. Denn die Pflegeberufe sind auf genau diese Fürsprache angewiesen, wenn sich am bestehenden „kaputten“ System und dem Problem des Pflegenotstands etwas ändern soll.

Wer die aktuelle politische Entwicklung im Bereich „Pflege“ mitverfolgt, weiß, dass das Bundesgesundheitsministerium zwar einige Verbesserungen umsetzt, diese aber den Hauptfokus auf einer Reformierung der Pflegeberufe haben und diese Neuerungen auch erst in der Zukunft zum Tragen kommen werden. Das jedoch ist auch eher eine Milchmädchenrechnung.

Es ist zwar gut, die Ausbildung attraktiver zu gestalten und qualitativ verbessern zu wollen, jedoch ändert das weder etwas an der Personalnot noch an den Rahmenbedingungen, die für die meisten Pflegekräfte früher oder später untragbar werden. Es ändert nichts, wenn man mehr junge Menschen und Berufsanfänger in dieses System wirft und hofft, damit auf Dauer mehr Personal zu halten. Ganz im Gegenteil befürchte ich, dass es den Beruf umso unattraktiver machen wird, weil es mehr desillusionierte Pflegekräfte gibt, die der Pflege und dem Gesundheitssektor den Rücken kehren werden und die Personalproblematik sich somit noch steigert.

Wichtig wären Schritte, die die Politik im Finanzsektor bereitwillig geht, zum Beispiel das Bereitsstellen von Milliarden, um so genannte „Bad Banks“ aufzukaufen, damit den Anlegern kein finanzieller Schaden entsteht. Doch diese Maßnahmen werden eben vorrangig in anderen Sektoren als dem sozialen gewählt. Ich bin der Meinung, dass die menschliche Gesundheit und das Leben deutlich höher anzusiedeln sind als reine finanzielle Interessen. Daher sollte darüber nachgedacht werden, eine (Teil-)Verstaatlichung von Gesundheitseinrichtungen zu erreichen, um durch gesetzlich geregelte Bezahlung, Personalschlüssel und Rahmenbedingungen die Arbeit in der Pflege wertzuschätzen und vor allem wieder wertvoll zu machen, um dem Pflegenotstand die Stirn zu bieten.

Ich kann somit nur appellieren, die beruflichen Herausforderungen an Pflegekräfte und die damit einhergehende Verantwortung im Hinterkopf zu haben, vor allem wenn es um den Pflegenotstand geht und sich entsprechend in der Politik und Gesellschaft einzusetzen. Jeder von uns kann pflegebedürftig oder auf medizinische Versorgung angewiesen sein oder werden und dann von schlechter Versorgung betroffen sein.

Außerdem macht Untätigkeit uns zu Mittätern in einem System, das Menschen, die einer sozialen Berufung folgen, desillusioniert, frustriert und im schlimmsten Fall aus dem sozialen Bereich vertreibt, der so sehr auf sie angewiesen ist. Daher zeigen Sie bitte Wertschätzung für diese Berufe, sie verdienen es.

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