Zeitzeichen

Die Rache des Hip-Seins

Die Suche nach einem griffigen Titel beschäftigt nicht nur Journalisten. Manchmal steht der Verständlichkeit aber auch allzu kreative Grafik im Wege. Das findet zumindest unser Kolumnist

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Mode, Design, Kunst, sogenannter Lifestyle, auch Medien und andere schnelllebige Branchen sind in ihrer wesensbestimmenden Systematik darauf angewiesen, Aktualität, vor allem aber Zukünftiges hochzuhalten, also über vieles andere zu stellen, das auch seine Berechtigung hat. Na ja, zumindest haben sollte. Wir könnten da jetzt so „uncoole“ Opa-Sachen wie Verlässlichkeit, Gründlichkeit, Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit ins Argumentationsfeld führen, bringt aber nichts, weil Trends-Setzen und Hip-Sein, aber eben auch hipper Text heute nun mal anders geht: Kryptisch englisch muss es formuliert sein und möglichst so mehrdeutig, dass man alles und nichts darunter verstehen kann, grafisch natürlich top und hip und bildstark aufbereitet, besonders in der Kunst, der traditionell zukunftsfrohsten aller sozialen Moden und Medien.

Wer sich noch über die Titel von Ausstellungen, Ballettabenden, Katalogen, Kongressen oder Festivals im Allgemeinen wundert, na ja, ist nicht nur selbst schuld, sondern spielt in diesem Kontext ganz buchstäblich keine Rolle mehr.

Apropos Rolle: Das Nationaltheater Mannheim gab in Vorbereitung zur ersten Sanierungsspielzeit über die noch andauernden Theaterferien ein Büchlein oder Katalögchen heraus, in dem das komplette Ensemble seitenweise einzeln vorgestellt wird. Eine hübsche, wenn auch nicht erstmals umgesetzte Idee. Rührig wie rührend ist es allemal, wäre da nicht der Einband (Cover) mit der kuriosen Head (Titel). Dort haben sich Grafik-Kundige Lustiges ausgedacht. Irgendetwas mit Tonband („tape) zehn („ten“), das weg oder „wech“ muss und (orthografisch falsch) verkauft („sel“/sell) werden soll.

Was sagen Sie dazu? Da denkt man sich nun ’nen Wolf, blättert im Heft, wo Menschen vor grellbunten Wänden stehen, komisch. Auf die Idee, die Silben in einem Wort und noch dazu auf Deutsch zu lesen, kommt man vor lauter schrägem Kunst-Getitele nicht. Täte man es, käme das hübsche Synonym für Neuanfang, das deutsche Wort „Tapetenwechsel“ dabei heraus. Manchmal schlägt das Hipster-Imperium eben zurück...

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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