Marienfigur auf dem Madonnenberg

Weinberg voller Geschichte

Die Marienfigur auf dem Madonnenberg oberhalb Schriesheims hat schon viel gesehen: Eine Grafenfamilie legt im 19. Jahrhundert Weinberge an, ein Chemiker in den 1930er Jahren eine Obstplantage.

Von 
Konstantin Groß
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© Stadt Schriesheim

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Zwei Zecher begeben sich nach einem weinseligen Abend in Richtung Heimat. Der gute Tropfen hat ihnen bestens gemundet, und so nimmt einer der beiden eine Flasche Roten als Schlaftrunk mit. Auf dem Heimweg stolpert derjenige, der die Rotweinflasche unterm Arm trägt, und stürzt zu Boden; man hört geradezu den Kopf aufschlagen, schon ist ein rotes Rinnsal zu sehen. „Mein Gott“, betet sein Kumpel, „lass‘ es Blut sein!“

Der derbe Kalauer – er ist einer der Lieblingswitze des legendären Gerhard Weiser, zwei Jahrzehnte Landwirtschaftsminister in Baden-Württemberg. Der barocke CDU-Politiker erzählt ihn, als er 1992 Ehrenpate des Schriesheimer Madonnenbergvereins wird. Bei seinen Zuhörern stößt er mit seiner Pointe auf vollstes Verständnis; Wein gilt für Freunde des Madonnenbergs als wertvolles Fluidum. Schon für das Jahr 1250 sind Reben hier verbürgt.

Rebstöcke raus und rein

Ein jähes Ende findet der Weinbau auf deutschem Boden und auch an der Bergstraße zunächst im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648), der weite Teile der Rebfläche Deutschlands vernichtet, damals 300 000 Hektar (heute wieder 100 000). Einen weiteren Schlag bildet Ende des 18. Jahrhundert die Säkularisierung: Die Verstaatlichung von Kirchenbesitz durch die napoleonische Besatzung beendet die jahrhundertealte Symbiose von Klöstern und Weinbau. Fürstenhöfe erwerben nun Weinberge – auch den Madonnenberg.

Das für ihn entscheidende Adelshaus wird das Geschlecht derer von Oberndorff aus Neckarhausen, dessen Bedeutung für die Region dank des Wegzugs des kurfürstlichen Hofes aus Mannheim nach München 1778 steigt: Franz Albert von Oberndorff (1720-1799) wird als Reichsgraf Repräsentant des Kurfürsten in dessen pfälzischen Stammlanden.

Madonnenberg-Besitzer: links Fritz Graf von Oberndorff 1932 mit Familie im Schlosspark Neckarhausen, rechts Erwin Scharf in den 1940er Jahren mit seinen Söhnen Alexander und Bernhard inmitten seiner Plantage auf dem Madonnenberg. © Privat

In der Folgezeit erwirbt die junge Dynastie umfangreichen Grundbesitz in der Region, in Schriesheim die Strahlenburg und eben den Madonnenberg. In den 1830er Jahren lassen die Nachfahren die inzwischen mit Kastanien bewachsenen Hänge roden, Terrassen anlegen, wieder Weinstöcke setzen, und zwar Riesling, den „König der Weißweine“.

Damals entstehen sieben riesige Granit- und Basalt-Mauern, die dem Weinberg bis heute sein unverwechselbares Gepräge verleihen. Mit schier unvorstellbarem Arbeitsaufwand, weil gänzlich ohne Maschinen, werden die bis zu fünf Tonnen schweren Granitblöcke den Berg hinauf gewälzt. Als Krönung lässt der Graf eine Madonnen-Figur aufstellen, die bis dahin im Schlosspark von Neckarhausen ihren Platz hat. Dadurch wird das Gelände im Volksmund zum „Madonnenberg“, auch wenn erst das Weingesetz von 1971 diese Bezeichnung offiziell macht.

Die Weltwirtschaftskrise 1929 jedoch setzt dem Eigentümer Fritz Graf von Oberndorff mächtig zu: Er will sowohl die Strahlenburg als auch den Madonnenberg verkaufen.

Während der klamme Adelige aus Neckarhausen dringend Kleingeld benötigt, freut sich zur gleichen Zeit ein Chemiker in Ludwigshafen über plötzlichen Geldsegen: Dr. Erwin Scharf gelingt es bei der BASF nach vielen Experimenten, eine bahnbrechende chemische Substanz zu entwickeln. Der Konzern lässt sich nicht lumpen und belohnt den Tüftler mit einer stattlichen Summe.

Der 50-jährige Anhänger der Jugendbewegung der „Wandervögel“ und Freund des Schriftstellers Hans Fallada erfüllt sich seinen Lebenstraum: Er sagt Reagenzglas und Bunsenbrenner ade, widmet sich der Natur: 1934 erwirbt er für 5700 Reichsmark den Madonnenberg mit drei Hektar Reben, Wiesen und Wald.

Orte und Informationen

  • Lage: Der Madonnenberg befindet sich im Nordosten der Stadt Schriesheim – am Übergang zwischen Rheinebene im Westen und Odenwald im Osten.
  • Zugang: Auto am Friedhof Schriesheim parken, dann zu Fuß gerade aus Richtung Leutershausen, über die Brücke (Zufahrt Branichtunnel), den zweiten Abzweig (asphaltierter Weg) nach rechts, dann immer gerade aus nach oben. Der Weg ist zwar steil, als Lohn wartet jedoch ein herrlicher Ausblick in die Region – vor allem bei Sonnenuntergang.
  • Der Wingert wird vom Obsthof Volk (Hirschberg) bewirtschaftet, der Sekt im Badischen Winzerkeller Breisach als separates Gebinde ausgebaut. Madonnenberg-Sekt ist zu 15 Euro je Flasche im Schriesheimer Rathaus (Zimmer 205) erhältlich (größere Mengen vorbestellen).
  • Als Träger des Projektes besteht seit 1989 der Madonnenbergverein. Vorsitzender ist Schriesheims Bürgermeister Hansjörg Höfer (Grüne).
  • An die Öffentlichkeit tritt der Verein jährlich mit einem Konvent im Zehntkeller. Dabei ernennt er auch Prominente zu Paten – Künstler wie die Mundart-Kabarettistin Elsbeth Janda (1990) oder „Pur“-Frontmann Hartmut Engler (1999), aber auch Spitzenpolitiker wie Bundesbauminister Klaus Töpfer (1997) sowie die Ministerpräsidenten Günther Oettinger (2009) und Winfried Kretschmann (2013).
  • Literatur: Die Geschichte des Madonnenbergs und seines Vereins beschreibt das Buch „Dem Himmel näher“ von Konstantin Groß, 120 Seiten mit etwa 100 großteils historischen Abbildungen. Inzwischen vergriffen, Einzelexemplare noch antiquarisch oder auf Ebay zu finden.
  • Weitere Infos auf der Internetseite: www.madonnenberg.de

Obstplantage statt Weinbau

Interessant ist Punkt 6 des im Mannheimer Notariat geschlossenen Vertrages, der die auf dem Grundstück stehende Madonna betrifft: „Der Käufer verpflichtet sich, und zwar für sich und seine Rechtsnachfolger, diese Figur auf dem Kaufobjekt zu belassen und ordnungsgemäß zu unterhalten.“ Scharf verpasst der Figur sogar einen vergoldeten Heiligenschein und geht, derart gesegnet, vor Ort an sein Werk.

Aus dem Weinberg wird eine der größten Obstplantagen Südwestdeutschlands. Scharf entfernt die 11 500 Reben und pflanzt Obstbäume, Aprikosen und vor allem Pfirsiche. Daneben experimentiert er mit Zitronen und Feigen, die den beschützten Standort lieben. Die Passion des Chemikers gilt seiner Walnuss-Plantage und den exotischen Nadelbäumen. Noch lange bestaunen Besucher eine gigantische Zypressen-Art, die den Eingang des Geländes ziert. Dieser Mammutbaum am Fuße des Berges wird neben der Madonna zu seinem Wahrzeichen.

Einfach ist die Bewirtschaftung des steilen Granitbodens nicht. Die Mauern an dieser windigen Ecke bröckeln und müssen permanent repariert werden. Das Unkraut gedeiht auf dem sonnenüberfluteten Boden ebenso prächtig wie das Obst. Größtes Problem bleibt die Trockenheit: Scharf plant eine technisch anspruchsvolle Bewässerung mit einem Stausee als Basis. Der Krieg ab 1939 verhindert die Umsetzung.

Der Madonnenberg in den 1990er Jahren: Vorn links die schlagzeilenträchtige Hütte, die nach jahrelangem Rechtsstreit Anfang 2000 abgerissen wird. Seither darf die Madonnenfigur wieder in Ruhe über die Region blicken. © Stadt Schriesheim

20 Jahre bewirtschaftet Scharf den Berg, bis seine Kräfte nachlassen – in jeder Hinsicht. Die Probleme zehren fast das Geld auf, das er sich durch seine Erfindung erworben hat. Ein Jahr nach seinem Tod 1959 geht der Berg an Wilhelm Grüber (Vater des gleichnamigen Hoteliers in Großsachsen und späteren Präsidenten des SV Waldhof Mannheim). Dieser vermacht ihn seiner Tochter Renate, die ihn als Mitgift in die Ehe mit Jens Bartsch einbringt, dem Begründer des gleichnamigen überregional renommierten Weingutes.

Doch auch dieser scheitert an den Gegebenheiten. 1980 stellt Bartsch den Weinbau ein und lässt den Brennnesseln freien Lauf – und dem Mannheimer Apotheker Reinhold Dewald. Dieser lebt am Fuße des Berges als Aussteiger in Bretterbuden mit Ziegen, Hühnern und Gänsen. Die Schriesheimer bestaunen ihn: Sonntags bringen sie Kuchen, kaufen seinen Ziegenkäse.

Doch für die Stadt Schriesheim ist das kein Zustand, auch die Umweltbehörden haben Anderes vor. 1988 verkauft Bartsch das Gelände an das Land, das es an die Stadt verpachtet. 1,5 Hektar sollen als Naturschutzgebiet, 0,5 Hektar für historischen Weinbau genutzt werden. Die alten Mauern werden wieder hergestellt – trocken, ohne Mörtel, damit in den Ritzen Kleintiere ihr Domizil finden: Eidechsen, Nattern, Insekten. Umgesetzt wird dies in einem Projekt der Handwerkskammer Mannheim, deren Lehrlinge damit Natursteinbearbeitung erlernen können.

Für den Weinbau werden 1200 Reben gesetzt. 1990 kann die erste Lese erfolgen: 350 Kilogramm Riesling-Trauben mit 100 Grad Öchsle – „Spätlese-Qualität“. Die Idee „Historischer Weinbau“, also ohne jede Chemie, lässt sich aber auf Dauer leider nicht halten.

Über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wird der 1989 gegründete Trägerverein jedoch durch ein kleines Bauwerk: Im Frühjahr 1997 lässt er eine vier mal fünf Meter große Holzhütte errichten. Problem: Das Areal liegt im Landschaftsschutzgebiet, auch wenn das Landratsamt mit der Baugenehmigung eine Ausnahme gewährt. Gegen diese reicht der BUND Beschwerde beim Petitionsausschuss des Landtages ein.

Blockhaus als Politikum

Zum wahren Politikum wird die Sache dadurch, dass führende Repräsentanten der Region mit dem Verein verbunden sind: der Bürgermeister von Schriesheim, Peter Riehl, als sein Initiator, Landrat Jürgen Schütz als Vorsitzender seines Kuratoriums.

Im Oktober 1997 leitet der für Korruption zuständige Mannheimer Oberstaatsanwalt Ulrich Dietz auch noch ein Ermittlungsverfahren wegen „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ ein – schweres Geschütz also. Doch am 17. Februar 1999 wird das Verfahren „mangels Nachweis einer Straftat eingestellt.“

Dennoch: Als Folge der Diskussion erteilt Wirtschaftsminister Walter Döring (FDP) als Chef der obersten Baurechtsbehörde des Landes dem Landratsamt Weisung, die Baugenehmigung zurückzunehmen. Den Widerspruch des Vereins weist das Regierungspräsidium im Dezember 1998 zurück: „Die Blockhütte muss abgebrochen werden.“

Dagegen wiederum erhebt der Verein Klage vor dem Verwaltungsgericht. Am 21. September 1999 kommt es zu einem Ortstermin. Nach einer Verhandlung im Ratssaal des Rathauses bestätigen die Richter den Abriss. Im Januar 2000 wird die Hütte abgebrochen – und im Oktober 2001 etwa 200 Meter weiter an einem vereinbarten besseren Standort erneut aufgebaut. Seither gilt auch hier: Über allen Gipfeln ist Ruh‘.

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